Der Tarifkonflikt bei der Deutschen Post AG ist kein gewöhnlicher. Die Privatisierung des ehemaligen Staatsbetriebs hat zu massiven Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten geführt. Yaak Pabst erklärt, warum der Streik längst überfällig ist und wie du ihn unterstützen kannst
Der Arbeitskampf bei der Deutschen Post AG (DPAG) spitzt sich weiter zu. Seit Montag, den 8. Juni, befinden sich tausende Post-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter im unbefristeten Streik. Es geht um die Arbeitsbedingungen von rund 138.000 Beschäftigten. Ihre Forderungen: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, gleicher Lohn für alle und die Abschaffung befristeter Verträge. Ihre Befürchtungen: Die Bosse der Post wollen den Konzern weiter zerschlagen und flächendeckend prekäre Beschäftigungsverhältnisse durchsetzen.
Der Post-Vorstand will niedrigere Löhne
Die Deutsche Post AG steht, was Umsatz und Gewinn angeht, besser da als je zuvor. Doch Postchef Frank Appel will mehr. »Wir sind mit unseren Löhnen nicht wettbewerbsfähig«, behauptete er bei der Hauptversammlung des Konzerns in Frankfurt am Main. Mit anderen Worten: Die Profite sollen noch stärker steigen. In diesem Jahr will das ehemals staatliche Unternehmen einen operativen Gewinn von über drei Milliarden Euro erreichen. 2016 sollen es schon bis zu 3,7 Milliarden Euro sein.Um dies zu erreichen will die Konzernführung das Unternehmen weiter umbauen und flächendeckend niedrigere Löhne durchsetzen.
Wie das Post-Management Tarifflucht betreibt
Zu diesem Zweck hat der Konzern zu Jahresbeginn 49 Tochtergesellschaften gegründet, in denen der bisherige Tarifvertrag nicht mehr gilt, sondern die Beschäftigten nach den Tarifen der Speditions- und Logistikbranche bezahlt werden. Für die betroffenen Kolleginnen und Kollegen bedeutet das zwanzig Prozent weniger Lohn, mehr Arbeitsstunden und weniger Urlaubs- und Weihnachtsgeld.
Schon jetzt arbeiten unter dem Dach der »DHL Delivery Group« 6.000 Paketzusteller zu deutlich niedrigeren Löhnen und mit einem ungesicherten Status, obwohl sie die gleiche Arbeit machen wie die Angestellten des Mutterkonzerns. Je nach Vertrag bekommen sie bis zu 1.000 Euro weniger im Monat als ihre regulär angestellten Kolleginnen und Kollegen. Achtzig Prozent der jetzt neu eingestellten Paketzusteller hatten vorher einen befristeten Vertrag bei der DPAG.
Das Prinzip – erst ausgründen und dann Niedriglöhne zahlen – ist nicht neu: Auch andere Unternehmen wie Telekom, Amazon oder Vattenfall haben versucht, durch Tarifflucht Löhne zu senken. Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung und des ifo-Instituts ist in den vergangenen zwanzig Jahren der Anteil der Unternehmen, die nach Tarif zahlen, von 60 Prozent auf mittlerweile 35 Prozent gesunken. Der Anteil der tarifgebundenen Beschäftigen fiel von 82 auf 62 Prozent. Bei der Post arbeitet jeder vierte Vollzeitbeschäftigte zum Niedriglohn, jeder Zehnte hat nur einen befristeten Vertrag und viele Zusteller tragen als Minijobber oder Zeitarbeiter Briefe und Pakete aus.
Der Vorstand will sich mit allen Mitteln durchsetzen
Der Konflikt wird von Seiten des Post-Managements mit aller Härte geführt. Die ver.di-Führung hatte schon in der Vergangenheit unnötige Zugeständnisse gemacht. Und auch in dem jetzigen Verhandlungen, die seit Mitte März laufen, gab es ein »Kompromissangebot«: Im Gegenzug für die Rückkehr der Regionalgesellschaften in den Haustarif wollte die Gewerkschaft für 2015 auf eine lineare Lohnerhöhung verzichten. Zudem sollten die Löhne neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter langsamer ansteigen. Doch dem Post-Vorstand reichte das nicht aus. Vorstandschef Frank Appel erklärte gegenüber »Bild«, die Vorschläge von ver.di seien »leider kein Beitrag zur Lösung unseres Kernproblems«. Auch Post-Vorstand Jürgen Gerdes schloss kategorisch aus, dass der Konzern auf die neu gegründeten Töchter mit niedrigen Löhnen verzichten werde.
Die miesen Tricks der Post-Manager
Um sich gegenüber den Forderungen der Beschäftigten durchzusetzen, ist dem Post-Management jedes Mittel recht. In der bisherigen Auseinandersetzung haben die Post-Bosse gezielt Beschäftigte eingeschüchtert. In einem Bericht der »Süddeutschen Zeitung« zitierte eine Arbeitnehmerin eine Führungskraft mit den Worten, die »übergeordneten Stellen« schauten darauf, wer streike und wer nicht: »Und die haben auch schon den Hinweis gegeben, dass sie gerade bei befristeten Kräften genau auf die Verträge schauen«. In einem Zustellstützpunkt habe der Leiter mit allen befristet Beschäftigten, die an einem Warnstreik teilnahmen, Einzelgespräche geführt. »Einige sind total eingeschüchtert und erklärten mir, dass sie an keinem Streik mehr teilnehmen«, berichtete daraufhin eine Betriebsrätin.
Propaganda via Flatscreen
Betriebsräte müssten vor Gericht dagegen klagen, dass das Unternehmen mit Hilfe von 3.700 installierten Flachbildschirmen – sie erreichen mehr als 100.000 Angestellten bei ihrer Arbeit – die Beschäftigten gegen den Streik aufbringen wollte. Post-Mitarbeiter berichteten, dass dort den ganzen Tage Botschaften laufen wie: »Die Post ist ein sozialer Arbeitgeber« und »Wir begehen keine Tarifflucht«. Auch die postinterne Zeitung titelte: »Ein Streik nützt nur den anderen« und hat damit versucht, die Kolleginnen und Kollegen einzuschüchtern.
Nach den Vorkommnissen beschwerte sich ver.di daraufhin auch bei der Bundesregierung, die Hauptaktionär der Post AG ist. Doch Berlin hat den Lohndumpingkurs des Post-Managements politisch gestützt und profitiert ökonomisch von den gesteigerten Gewinnen. Trotzdem sah sich der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel genötigt, dem Vorstandsvorsitzenden Appel einen Brief zu schreiben: »Offenbar haben Vorgesetzte Druck ausgeübt, um ver.di-Mitglieder gegen ihre Gewerkschaft in Stellung zu bringen«. Allen Arbeitgebern, »ganz besonders aber den großen Unternehmen mit Bundesbeteiligung«, müsse jedoch die »unbedingte Achtung sowohl persönlicher wie kollektiver Arbeitnehmerrechte abverlangt werden«.
Papier ist allerdings geduldig. Die Einschüchterungen gehen weiter und das Post-Management versucht mit allen Mitteln den Streik zu brechen.
Einsatz von Streikbrechern
Im Konzern sind noch etwa 38.000 Beamte beschäftigt, die nicht streiken dürfen. Diese hat die Konzernleitung angewiesen, die Tätigkeit streikender Kolleginnen und Kollegen zu übernehmen.
In Berlin und Brandenburg werden nun auch Beschäftigte aus Polen eingesetzt, um Briefe und Pakete auszutragen. Die polnischen Aushilfsboten sind laut »Tagesspiegel« bei einer der neuen DHL-Tochterfirmen angestellt, deren Gründung ver.di als Vertragsbruch bezeichnet. Rechtlich ebenso umstritten sind der Einsatz von Leiharbeitern und die Sonntagsarbeit, durch welche die Wirkung des Streiks abgefedert werden soll.
Doch beim Einsatz von Streikbrechern stärken Gerichte und Politik dem einstigen Staatskonzern den Rücken. So hat das Bonner Arbeitsgericht einen ver.di-Antrag auf eine einstweilige Verfügung gegen die Versetzung von Beamten auf bestreikte Arbeitsplätze abgelehnt. Und auch die Landesregierungen, zum Beispiel in Hessen, weigern sich gegen die illegale Anordnung von Sonntagsarbeit einzuschreiten.
Wer sich jetzt über die Streiks bei der Post ärgert, sollte nicht über ver.di oder die Postbotin schimpfen. Die Verantwortung für die schlechten Arbeitsbedingungen bei der Post liegt beim Management und bei der Politik, die in den vergangenen 25 Jahren die Deregulierung des Postsektors massive vorangetrieben haben.
Die Deregulierung des Postsektors
Bis zu Beginn der 1990er Jahre befand sich das bundesdeutsche Post- und Fernmeldewesen vollständig in staatlicher Hand. Erst die Regierungskoalition aus Union und FDP unter Kanzler Helmut Kohl leitete mit der »Postreform I« gegen den Widerstand der Beschäftigten die Privatisierung ein. Im Jahr 1994 folgte die »Postreform II«, die die Grundlage für die Zerschlagung des Staatskonzern in die Deutsche Post AG, die Deutsche Telekom AG und die Postbank AG schuf. Auch unter der ab 1998 regierenden rot-grünen Koalition, wurde die Privatisierung der Post weiter vorangetrieben und der Gang an die Börse vorbereitet. Am 20. November 2000, dem ersten Handelstag, wurden 29 Prozent des Unternehmens – und damit 320 Millionen Aktien im Wert von 6,6 Mrd. Euro – an die Börse gebracht.
Heute hält der Staat nur noch 21 Prozent der Aktien, während sich die übrigen Anteilsscheine in Streubesitz befinden. Nach dem deutschen Staat ist der Hedgefonds Blackrock der zweitgrößte Post-Eigentümer. Hinter Blackrock rangiert die US-amerikanische Investmentgesellschaft Capital Group. Dann folgen unter anderem die Norwegische Nationalbank, Lyxor International, Vanguard Group, Henderson Global Investors und Artisan Partners.
Die Konzernspitze ließ sich ihre Taten vergolden: Der sechsköpfige Vorstand der Deutschen Post AG konnte sich 2012 über Bezüge von 1,5 bis 3,5 Mio. Euro freuen. Doch während Gewinne und Vorstandsbezüge stiegen, brachte die Privatisierung nicht nur den Beschäftigten, sondern auch den Steuerzahlern und Kunden vor allem eines: spürbare Verschlechterungen.
Massenentlassungen und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bei der Post
Allein zwischen 1989 und 2006 baute die Deutsche Post AG rund 173.000 Stellen ab. Laut dem Geschäftsbericht 2012 sind heute nur noch 176.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeit in Deutschland für das Unternehmen tätig. Die seit der Liberalisierung tätigen Mitbewerber der Post haben im gleichen Zeitraum nur etwa 46.000 neue Stellen geschaffen. Thorsten Brandt vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung bilanziert: »Mehr Wettbewerb hat nicht zu mehr Beschäftigung geführt, sondern zu Beschäftigungsabbau«.
Die Kolleginnen und Kollegen, die noch bei der Post arbeiten, bezahlten für die Arbeitsplatzvernichtung mit massiven Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen. So werden die Zustellbezirke jährlich neu bemessen und größer, obwohl gleichzeitig das Postaufkommen beispielweise durch Wurfsendungen zunimmt. Die Folge: Mehr und mehr Kolleginnen und Kollegen werden krank und halten der Belastung nicht stand. Besonders ältere Beschäftigte (die in der Regel mehr verdienen, weil sie ältere und daher bessere Verträge haben) werden herausgedrängt. Gleichzeitig stieg die Zahl derer, die befristet bei der Post beschäftigt sind – derzeit rund 14.700. Schlagzeilen machte etwa der Fall einer Postbotin aus Ostdeutschland, die nacheinander 88 befristete Verträge erhielt, bevor sie vor Gericht eine Festanstellung erstritt.
Die Post AG arbeitet auf Kosten seiner Beschäftigten: Personalabbau, steigender Krankenstand, Arbeitsverdichtung, Missbrauch von Befristungen – so sieht die Realität der Postmitarbeiter aus.
Streik bei der Post ist die richtig Antwort
Der Streik der Postbeschäftigten ist die richtige Antwort den Kurs der Konzernspitze. Doch die Auseinandersetzung wird für ver.di nicht leicht. Der Konzern hat es geschafft die Belegschaft zu spalten: In Vollzeitbeschäftigte und Teilzeitbeschäftigte, Leiharbeiter und andere befristet Beschäftigte und die Beamten. Der Aufruf zum unbefristeten Vollstreik ist richtig. Aber ver.di muss eine Antwort auf den Einsatz der Streikbrecher finden. Während die Beamten bei der Post noch das Recht haben, den Einsatz in bestreikten Bezirken zu verweigern, machen das die Kolleginnen und Kollegen aus den Tochterunternehmen oftmals aus Angst den Job zu verlieren nicht. Die Einbeziehung der Beschäftigten in den 49 Tochtergesellschaften in den Streik ist daher eine wichtige Aufgabe der Gewerkschaft. Gleichzeitig ist das Verständnis in der Bevölkerung für den Streik gegen Lohndumping groß. ver.di könnte sich deswegen um mehr öffentlichkeitswirksame Kundgebungen und Demonstrationen während der Streiks bemühen. Diese können dabei helfen das Selbstbewusstsein der Beschäftigten zu stärken und die Forderungen in der Bevölkerung bekannter zu machen.
Politisierung des Arbeitskampfes
Nötig wäre ebenso eine Politisierung des Arbeitskampfes. Denn die Zustände bei der Post sind eine Folge der Deregulierungspolitik, die von allen Parteien, außer der LINKEN, forciert und mitgetragen wurde. Der Bund ist mit 21 Prozent noch immer größter Anteilseigner der Post und die Bundesregierung hat in den letzten zehn Jahren fast 1,7 Milliarden Euro an Dividenden bekommen. Damit hat der Arbeitskampf auch eine direkte politische Dimension. Ebenso wichtig wäre, auch ein Schulterschluss mit anderen Beschäftigten. Während der Post-Streik läuft, kämpfen auch die Kolleginnen und Kollegen bei der Bahn und bei den Sozial-und Erziehungsdienste für bessere Arbeitsbedienungen. Ebenso streiten die Kolleginnen und Kollegen von Amazon seit 2013 für ihre Eingruppierung in den Tarifvertrag Einzelhandel und auch Beschäftigten der Post-Konkurrenz von GLS, DPD oder Hermes, die zu Dumpinglöhnen arbeiten müssen, sollten zu Solidaritätsaktionen aufgerufen werden.
Den Streik unterstützen: Kampagne »Das muss drin sein!« nutzen
Bernd Riexinger, Vorsitzender der Partei DIE LINKE, fordert zu recht: »Die Bundesregierung hat massiven Einfluss auf den Post-Konzern. Als größte Einzelaktionärin muss sie ihrer Verantwortung für die Beschäftigten nachkommen und sich gegen miese Bezahlung und Lohndrückerei stark machen. Wir unterstützen den Arbeitskampf der Postbeschäftigten und treten für eine breite Kampagne zur Verteidigung und Wiederherstellung der öffentlichen Daseinsvorsorge, gegen Privatisierung, Lohndumping, Prekarisierung und Abbau von Gewerkschaftsrechten ein.«
Im Rahmen der bundesweiten Kampagne der LINKEN »Das muss drin sein!« kann jeder und jede jetzt mithelfen, auf die Situation bei der Deutsche Post aufmerksam machen und Solidarität mit den streikenden Beschäftigten zum Ausdruck bringen. Bei Aktionsständen der Kampagne können Mitglieder und Sympathisanten der LINKEN ihre Kritik an der Politik des Post-Vorstandes und der Politik der Bundesregierung, mit der Debatte um weitergehenden Forderungen verbinden. Beispielsweise die Diskussionen um die Rücknahme der Privatisierung und die Forderung für eine entschädigungslose Verstaatlichung der Post unter der demokratischen Kontrolle und Leitung der Beschäftigten und der Gewerkschaft.
Was du tun kannst
- Spreche mit deinem/deiner Postboten/in über den Streik
- Klebe einen Zettel auf deinen Briefkasten »Ich unterstützte den Streik« oder nutze unseren Vordruck »Ja zum Streik«
- Frage deine Nachbarn, ob sie auch einen Soli-Zettel auf dem Briefkasten haben wollen
- Mach mit bei der Kampagne »Das muss drin sein!« von der LINKEN. Mehr Informationen gibts hier
- Verteile das Soli-Flugblatt der LINKEN zum Poststreik. Zum Download hier klicken
Schlagwörter: Bernd Riexinger, Bundesregierung, Gewerkschaften, Linke, marx21, Privatisierung, Streik, Ver.di