Der erzwungene Rücktritt des Berliner Staatsekretärs Andrej Holm zeigt deutlich: SPD-Rechte, lokale Wirtschaftsgrößen und die konservative Presse werden alles tun, um einen echten Politikwechsel zu blockieren. Die LINKE handelt blauäugig, wenn sie das ignoriert. Von Georg Frankl und Stefan Bornost
Nach den Wahlen in Berlin im September zog die LINKE selbstbewusst in die Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen. Mit einer gewissen Berechtigung, denn die Sozialisten hatten deutlich zugelegt, während ihre Verhandlungspartner Verluste verkraften mussten. Mit dem Erfolg im Rücken konnten die Unterhändler einen Koalitionsvertrag vereinbaren, der zahlreiche Fortschritte und umfangreiche Reformen verspricht, darunter auch eine Wende auf dem heiß umkämpften Gebiet der Wohnungspolitik.
Auf dieser Grundlage stimmten knapp 90 Prozent der Parteimitglieder für die Annahme des Koalitionsvertrags und den Gang in die Regierung. Anschließend ließ die neue Senatorin der Linkspartei für Stadtentwicklung und Bauen, Katrin Lompscher, eine kleine Bombe platzen: Zum Staatssekretär in ihrer Behörde berief sie den renommierten Gentrifizierungskritiker und Mietenaktivisten Andrej Holm – ein Signal an die Mieterbewegung, dass die LINKE es ernst meine mit einer Wohnungspolitik, die sich nach den Interessen der großen Mehrzahl der Mieterinnen und Mieter richtet.
Die Immobilienwirtschaft schäumte
Dieses Signal ist natürlich auch bei denen angekommen, die sich in den vergangenen Jahren hemmungslos an den explodierenden Mieten bereichert haben. Bereits nach der Veröffentlichung des Koalitionsvertrags schäumte die Immobilienwirtschaft gegen »sozialistische« Preisvorgaben im privaten Wohnungsbau. Dirk Wohltorf, Vorsitzender des Immobilienverbands Deutschland in Berlin-Brandenburg, rief den neuen Senat auf, sich aus dem Markt herauszuhalten. Der Koalitionsvertrag strotze nur so »von Misstrauen gegen die Marktkräfte«, stimmte Jacopo Mingazzini, Vorstandsmitglied des Wohnungsprivatisierers Accentro, mit ein. Und bezüglich Holm warnte der FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja: »Er steht der Hausbesetzerszene näher als einem Investor.«
Gerade einmal sechs Wochen blieb Andrej Holm im Amt. Seine eigentlich längst bekannte Stasi-Vergangenheit war ein gefundenes Fressen und lieferte die Vorlage für die Angriffe der schwarz-blau-gelben Opposition und der Hauptstadtpresse. Statt sich vor ihren Staatssekretär zu stellen, fielen ihm bald auch die Koalitionspartner in den Rücken. Einer der ersten, die öffentlich in die Anti-Holm-Kampagne einstiegen, war Sven Kohlmeier von der SPD: »Nach den mir bekannten Tatsachen – hauptamtliche Mitarbeit beim MfS und Lüge im Lebenslauf – ist Herr Holm als Staatssekretär und politische Führungskraft für mich nicht tragbar«, erklärte der Rechtspolitiker bereits Mitte Dezember der Boulevardpresse.
Die SPD und der Immobilienfilz
Holm war für Kohlmeier aber wohl auch persönlich nicht tragbar: Der Sozialdemokrat betreibt selbst eine Anwaltskanzlei, die sich in den Dienst von Immobilienspekulanten stellt: »Neubauwohnungen, Altbauwohnungen, Villen, Mietshäuser oder Wohn- und Geschäftshäuser sind besonders gefragte Immobilieninvestments«, heißt es auf der Website der Kanzlei. Und weiter: »Wir unterstützen Sie dabei, Ihre Traum-Immobilie in Berlin rechtlich abgesichert zu erwerben.« Ein Wechsel zu einer mieterfreundlichen Wohnungspolitik à la Holm wäre wohl Gift für dieses Geschäftsmodell.
Kohlmeier fällt in der Berliner SPD keineswegs aus dem Rahmen: Die Partei regiert die Hauptstadt seit beinahe drei Jahrzehnten mit und ist eng verbandelt mit der Immobilienszene. Nicht umsonst hat zum Beispiel der Immobilienmagnat Klaus Groth sie im Wahlkampf mit üppigen Spenden bedacht. Es war der heutige Bürgermeister Müller, der in seiner Zeit als Bausenator die Bebauung des Tempelhofer Feldes mit Luxuswohnungen gegen den erfolgreichen Widerstand der Anwohnerinnen und Anwohner durchsetzen wollte. Und auch in den Reihen der Berliner Grünen finden sich so manche mit engen Kontakten zur Hausbesitzerszene wie Marc Urbatsch, bis vor kurzem Geschäftsführer in der familieneigenen Operatio GmbH, eine Vermögensverwaltung mit Schwerpunkt auf Baurecht.
Der Druck der Bewegung
Bei der Umkehr in der Berliner Wohnungspolitik auf die ehrliche Unterstützung von SPD und Grünen zu bauen, wäre reichlich naiv. Die Fortschritte im Koalitionsvertrag sind nicht der Einsicht der Koalitionspartner in die richtigen und guten Argumente der LINKEN zu verdanken, sondern dem Druck der Bewegungen in den vergangenen Jahren – Mediaspree, Tempelhofer Feld, Mauerpark, Oeynhausen und Mietenvolksentscheid – und dem Wahlergebnis der LINKEN, die diese Bewegungen im Wahlkampf am stärksten unterstützt und repräsentiert hat.
»Sich gegenseitig beim Scheitern zuzusehen, wie es in der Großen Koalition der Fall war, darf es nicht wieder geben«, sagte Klaus Lederer noch vor Beginn der Koalitionsverhandlungen. Die Performance von Rot-Rot-Grün in der Causa Holm macht jedoch genau den Eindruck, als ob Sozialdemokraten und Grüne die LINKE in der Wohnungspolitik gerne scheitern sähen. Und nicht nur auf politischer Ebene wird der Koalitionsvertrag torpediert: Zum 1. Januar haben die landeseigenen Wohnungsunternehmen Mieterhöhungen von zumeist 10 bis 15 Prozent an über 20.000 Haushalte verschickt, obwohl der Koalitionsvertrag Steigerungen von maximal 2 Prozent im Jahr vorsieht. Ein klarer Angriff auf die Koalitionsvereinbarungen.
Holm ist nicht über seine Stasi-Vergangenheit gestürzt
Die Darstellung, Andrej Holm sei vor allen Dingen über seine Stasi-Vergangenheit gestürzt, täuscht. Als damals junger Auszubildender trug Holm für keines der von der Stasi begangenen Verbrechen die Verantwortung, noch kann man ihm heute irgendwelche Sympathien zur Repression in der ehemaligen DDR unterstellen. Nach seinem Rücktritt ist in mehreren Medien die verpasste Chance für eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Lebenswirklichkeit in der DDR beklagt worden. Dabei haben die meisten Verantwortlichen in Politik und Medien daran gar kein Interesse. Kaum etwas eignet sich besser als das Bild der Stasi-Partei, um die LINKE zu diskreditieren, ohne sich mit ihren Inhalten und Argumenten beschäftigen zu müssen.
Dass SPD und Grüne diesem Spiel zusahen und es am Ende sogar mitspielten, wirft ein deutliches Licht auf das Vorhaben, mit R2G ein linkes Projekt für einen echten Politikwechsel zu initiieren, an welchem die drei Koalitionspartner auf Augenhöhe zusammenwirken. Regierungskoalitionen sind immer Zweckbündnisse, in denen die Beteiligten ihre eigenen Ziele, allem voran den Machterhalt, verfolgen. Bereits nach der ersten rot-roten Regierungsperiode 2002 bis 2006 erklärte der damalige Bürgermeister Klaus Wowereit mit Blick auf die Linkspartei.PDS: »Wir haben die PDS nicht hoffähig, wir haben sie klein gemacht, und wir werden sie noch kleiner machen.«
Und in der Tat: Da die Führung der damaligen PDS Wowereits Kurs nichts entgegensetzte, stürzte die Partei in eine tiefe Krise. Bei der Abgeordnetenhauswahl im Jahr 2006 verlor sie 181.000 Stimmen und rutschte von 22,6 Prozent auf 13,4 Prozent. Fünf Jahre später verlor die LINKE und erreichte nur noch 11,7 Prozent. Daraufhin schmiedete Wowereit ein Bündnis mit der CDU.
Mobilisierung der eigenen Kräfte
Nichts spricht dafür, dass die SPD-Spitze ihre Strategie geändert hat. »Wir beanspruchen zu Recht die Führungsrolle in der Koalition«, erklärte ihr Fraktionschef Raed Saleh im Januar. Wie soll die LINKE mit dieser Situation umgehen? Ein Blick nach Griechenland kann helfen, die Wiederholung von Fehlern zu vermeiden: Auch die Reformregierung unter der Führung der Linkspartei Syriza war seit ihrem Start von Kräften umstellt, die keine sozialen Reformen wollten: Zuvorderst die EU-Troika unter deutscher Führung, aber auch die konservativ-sozialdemokratische Bürokratie im Staatsapparat und natürlich die parlamentarische Opposition. Gleichzeitig hegte die Bevölkerung hohe Erwartungen und zeigte wiederholt ihre Bereitschaft, aktiv für einen Wandel zu kämpfen. Aber Ministerpräsident Alexis Tsipras entschied sich dafür, die parlamentarischen und diplomatischen Gepflogenheiten und Abläufe zu respektieren. Er glaubte, in nicht-öffentlichen Verhandlungen kraft der besseren Argumente Schäuble und Co. von seinem Kurs überzeugen zu können.
Doch die Troika wollte und konnte nicht nachgeben. Weniger aus ökonomischen Erwägungen – Griechenland wird seine Schulden niemals zurückzahlen können, das weiß auch Herr Schäuble – sondern aus politischen: Die öffentliche Demütigung und Nötigung einer Linksregierung sollte jegliche Hoffnung auf Wandel zunichtemachen und die Bewegungen demoralisieren. Schäuble und Merkel haben ein Exempel statuiert und deutlich gemacht, was droht, wenn die Bevölkerung sich wehrt. Tsipras hat die Chance der Mobilisierung der eigenen Kräfte – in Griechenland und darüber hinaus – verpasst und ließ sich zu einer 180-Grad-Wende erpressen. Im Ergebnis hat sich die Partei gespalten und ist in Umfragen abgestürzt.
Vorwärtsverteidigung unter rechtem Feuer
Die Berliner LINKE ist in einer ähnlichen Situation wie Syriza bei Regierungsantritt: In vielen Fragen weiß sie die Mehrheit der Stadt, insbesondere der Mieterinnen und Mieter, hinter sich. Ein politischer Kurswechsel wäre aber ein echtes Problem – nicht nur für die Unternehmen und Vermögenden, die dafür kürzer treten sollen, sondern auch für die anderen Parteien, die der Konkurrenz von der LINKEN keine wahrnehmbaren Erfolge durchgehen lassen wollen.
Die LINKE darf sich trotz aller Widrigkeit nicht in eine Position der Schwäche drängen lassen. Andrej Holm hat ein Beispiel gegeben, wie linke Vorwärtsverteidigung unter rechtem Feuer aussehen kann: Noch in seiner Rücktrittserklärung rief er zu einem öffentlichen Strategietreffen auf, wo Konsequenzen und die Perspektiven für die Mieterbewegung diskutiert wurden. Und nach seinem Rücktritt besetzten Studierende das Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität. Gemeinsam sind Studierende und Mieterinitiativen zum Roten Rathaus gezogen. In der Besetzung werden inzwischen auch die drohenden massiven Kürzungen an der Universität diskutiert. In dieser Situation kann die gesellschaftliche Linke – und darin die Partei DIE LINKE – an Stärke zulegen und sich Rückenwind verschaffen, wenn sie sich klar auf der Seite der Protestierenden positioniert.
»Die Regierung vor uns hertreiben«
Ein wirklicher Politikwechsel gegen die Baumafia und die SPD-Rechte wird nicht durch linke Senatorinnen und ihre Staatssekretäre im Koalitionsausschuss unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgesetzt. Will die LINKE sich durchsetzen, so ist sie auf gesellschaftliche Mobilisierung angewiesen und muss diese daher selbst vorantreiben. Andernfalls droht die Wiederholung der Fehler, welche die PDS unter Wowereit machte. Damit Rot-Rot-Grün nicht zu einer Falle für die LINKE wird, muss der Druck auf die Regierung erhöht werden – die Auseinandersetzung um die Wohnungspolitik in Berlin ist hier von großer Bedeutung.
Der Berliner Landesverband hat im Jahr 2016 stolze 722 Mitglieder gewonnen – viele davon sind jung und bereit, sich aktiv für eine andere Politik einzusetzen. Dieses Potenzial gilt es zu nutzen, aber nicht im Parlament oder in Verhandlungszimmern, sondern auf den Straßen und Plätzen, in Schulen, Hochschulen und Betrieben. Dort müssen die Mitglieder der LINKEN eine aktive Rolle einnehmen, die über die Vermittlung der Regierungspolitik hinausreicht, oder wie es Andrej Holm am Schluss des öffentlichen Strategietreffens formulierte: »Wir müssen die Regierung jetzt vor uns hertreiben.« Denn obwohl der Koalitionsvertrag mit seinen zahlreichen Leerstellen und Mängeln in vielen Fragen nicht weit genug geht, gilt es jetzt, die verabredeten Fortschritte und Reformen gegen die zunehmenden Angriffe von Rechts zu verteidigen.
Foto: @holmbleibt
Schlagwörter: Berlin, Gentrifizierung, Holm, Immobilienfilz, Lompscher, Mieten, Mietenpolitik, Politikwechsel, R2G, Rot-Rot-Grün, Senat, SPD, Stadtpolitik