Mit »Shirley – Visionen der Realität« will Gustav Deutsch die Kunst Edward Hoppers verfilmen und gleichzeitig eine politische Botschaft vermitteln. Am 3. März erscheint die DVD. Unser Rezensent Phil Butland war fasziniert aber nicht völlig überzeugt
Der neue Film des österreichischen Künstlers Gustav Deutsch ist ein Versuch, die Geschichte einer Frau und ihrer Zeit in 13 Bildern zu erzählen. Jede Szene spielt an einem 28. August in einem Jahr zwischen 1931 und 1965. Alle der sechs- bis siebenminütigen Sequenzen beinhalten einen Moment, der ein Bild des US-amerikanischen Malers Edward Hopper nachstellt. Damit will der Regisseur zeigen, »was kurz vor und kurz nach diesem Moment, wo das Bild in Hoppers Gemälde eingefroren ist, passiert«.
Für dieses »Ausstellungsprojekt«, wie Deutsch selbst es nennt, eignet sich Hopper wie wohl kein anderer Maler. In den mehr als dreißig Jahren seines Schaffens hat er seinen Stil kaum verändert – viele der Bilder, die im Film verarbeitet sind, zeigen einen ähnlichen Raum mit Fenstern, Sonnenstrahlen und Schatten. Sein Leben lang hat Hopper mit demselben Modell gearbeitet, seiner Frau Josephine Nivison, die auf den Bildern älter wird. In »Shirley« spielt die kanadische Tänzerin Stephanie Cumming Nivison.
Chronist der Einsamkeit
Aber es ist nicht nur Hoppers Stil, der ihn für solch ein Projekt geradezu prädestiniert. Stärker als alle seiner Zeitgenossen hat er die Verfremdung und die Einsamkeit in der Zeit zwischen der Großen Depression und der Nachkriegszeit dargestellt. Die Kunstkritikerin Olivia Laing schreibt in ihrem Buch »The Lonely City« über Hopper: »Sein zentrales Thema, seine Szenen mit Männern und Frauen in verlassenen Cafés, Büros und Hotellobbies bleiben Signaturbilder von städtischer Isolation. Hoppers Figuren sind oft allein oder zu zweit und zu dritt in angespannten, schweigsamen Gruppierungen, eingefroren in Posen, die Verzweiflung zu zeigen scheinen.«
Auch im Film gibt es Szenen mit mehr als einer Person, doch reden sie selten miteinander. Manchmal teilen sie schweigend eine Zigarette. Manchmal schauen sie aus dem Fenster oder sitzen nebeneinander, während wir die inneren Monologe der Frau hören. Häufiger noch sitzt – oder liegt oder steht – die Frau allein im Raum und wir lauschen ihren Gedanken.
Jede Szene spielt in dem Jahr, in welchem das dargestellte Bild gemalt wurde. Zu Beginn hören wir jeweils Rundfunknachrichten über aktuelle Ereignisse – mal bedeutsam, mal trivial. Im Jahr 1939 wird zum Beispiel über die drohende deutsche Invasion in Polen und die Hitzewelle in New York, im Jahr 1957 über eine Einschüchterungskampagne gegen »Neger« (O-Ton Radio), die ihre Kinder auf »weiße Schulen« schicken wollen, und die Premiere des Films »3:10 to Yuma« berichtet.
Film als Experiment
Irgendwo im Film ist die Geschichte der Schauspielerin Shirley eingebaut, die »die Wirklichkeit der Depressionsjahre des Weltkriegs, der McCarthy-Ära, der Rassenkonflikte und Bürgerrechtsbewegungen nie als Gegebenheit ansieht, sondern als gemacht und veränderbar. Eine Frau, die als Schauspielerin mit der Inszenierung von Realität, mit der Darstellung von Wirklichkeit vertraut ist, die nicht in der Einzelkarriere und als Star ihre Zukunft und Bestimmung sieht, sondern als Mitglied eines Kollektives gesellschaftliche Wirksamkeit des Theaters anstrebt«.
Diese Beschreibung stammt aus dem Presseheft des Films »Shirley« – und, ehrlich gesagt, ist das Beschriebene meist schwierig im Film zu erkennen. Die Erzählstruktur ist zu undurchsichtig, um der Geschichte folgen zu können. Das ist aber eigentlich nicht schlimm: Als Kunstwerk funktioniert der Film auch ohne Story sehr gut.
Mit dem Anspruch, dass »Shirley« auch ein politischer Film sein solle, hat sich Deutsch vielleicht einfach übernommen. Zum Beispiel wählte er gerade den 28. August als Datum, weil an diesem Tag im Jahr 1963 Martin Luther Kings »Marsch auf Washington« stattfand – ohne zu erklären, wie das zum Rassisten Hopper passt. Ebenso ist die selbstbewusste und emanzipierte Linke Shirley ganz anders als Nivison, die auf Hoppers Wunsch ihre eigene Karriere als Malerin aufgab. Ein Jahr nach dem Tod ihres Manns beging sie Selbstmord. All dies kann man in der Literatur nachlesen, durch den Film erfährt man es nicht.
Als politisches Manifest ist »Shirley« ein ehrenwerter Misserfolg, aber sein Charme liegt sowieso woanders: Statt eine Geschichte zu erzählen, reißt der Film uns visuell mit. Besonders die Übernahme von Hoppers Farb- und Lichtkomposition verleiht ihm eine außerirdische Stimmung, irgendwo zwischen Trick- und Dokumentarfilm.
Ist »Shirley« deshalb ein guter Film? Die Frage finde ich schwierig zu beantworten. Ohne Frage ist er schön, und auch interessant. »Klarerweise bleibt es ein Experiment. Ich habe so einen Film noch nie gesehen und freue mich darauf, ihn zu sehen.« So beschreibt Regisseur Deutsch selbst seine Motivation, »Shirley« zu drehen. In der richtigen Stimmung lohnt es sich durchaus, neunzig Minuten seiner Zeit darauf zu verwenden. Vergleichbares bekommt man sonst nicht zu sehen.
Der Film:
Shirley: Visionen der Realität
Regie: Gustav Deutsch
Österreich 2013
good!movies
ab 15,99 Euro
Schlagwörter: DVD, film, Filmkritik, Filmrezension, Kultur, Martin Luther King