Als Reaktion auf den wachsenden Rassismus und den Aufstieg von Naziparteien gründeten britische Musikerinnen und Musiker in den 1970er Jahren Rock Against Racism. Und plötzlich war es cool, gegen Nazis zu kämpfen. Von Phil Butland und Rosemarie Nünning
Birmingham 1976: Die zweitgrößte Stadt Großbritanniens hat einen relativ hohen Anteil von Einwohnern mit Migrationshintergrund.
Rassistische Vorfälle sind nicht selten. Im Jahr 1964 führte Peter Griffiths von der Konservativen Partei im Stadtteil Smethwick Wahlkampf mit der Parole: »Willst du einen Neger zum Nachbarn, wähle Labour!« Während seine Partei landesweit große Verluste erlitt, gewann Griffiths deutlich vor dem Labour-Kandidaten. Vier Jahre später trat Enoch Powell, Parlamentsabgeordneter der Tories, in Birmingham auf. Er beschwor »Ströme von Blut« herauf, wenn Schwarze weiterhin unkontrolliert einwanderten. Im Jahr 1976 sitzt Powell immer noch im Parlament, jetzt für eine ultrareaktionäre nordirische Partei.
Eric Clapton, David Bowie und die National Front
Am 5. August 1976 steht in Birmingham aber zunächst ein Kulturereignis an: Eric Clapton gibt ein Konzert. Der ehemalige Gitarrist von bekannten Bands wie The Yardbirds und Cream hat soeben eine Coverversion von Bob Marleys »I Shot the Sheriff« herausgebracht. Eine hervorragende Gelegenheit, schwarze Musik in dieser Multikultistadt zu feiern. Clapton betritt die Bühne. Er sagt, das Land werde von Schwarzen überrannt und Powell solle Ministerpräsident werden, damit England nicht zu einer »schwarzen Kolonie« werde. »Wir sollten die Ausländer rausschmeißen, die Kanaken, die Neger!« Er ruft die Parole der faschistischen Partei National Front (NF), dass Großbritannien »weiß bleiben« müsse. Später behauptet Clapton, er sei bei dem Auftritt betrunken gewesen, distanziert sich aber nicht von seinen Äußerungen. Im selben Jahr soll David Bowie auf dem Londoner Bahnhof Victoria den Hitlergruß gezeigt haben. In einem Interview mit dem »Playboy« schwadroniert der Musiker: »Ich glaube, Großbritannien täte ein faschistischer Führer gut. Adolf Hitler war einer der ersten Rockstars.« Unterdessen verzeichnet die NF große Wahlerfolge: fast zwanzig Prozent der Stimmen in Leicester und 5,7 Prozent bei den Londoner Kommunalwahlen. In Blackburn erhalten zwei Naziorganisationen 38 Prozent der Stimmen.
Rock Against Racism wird geboren
Der Wahlerfolg der NF wird von rassistischen Angriffen begleitet. Am 4. Juni 1976 ermorden Rassisten in London den 18-jährigen Gurdip Singh Chaggar. John Kingsley Read von der NF merkte dazu an: »Einen haben wir erwischt, jetzt sind es noch eine Million.«
Angesichts dieser Stimmung waren Claptons und Bowies Äußerungen hochgefährlich. Der Fotograf Red Saunders verfasste zusammen mit Gleichgesinnten einen offenen Brief an Clapton: »Komm schon Eric, gib es zu: Die Hälfte deiner Musik ist schwarz. Du bist der größte Kolonialist der Rockmusik. Wir wollen eine Bewegung gegen die rassistische Giftmusik ins Leben rufen (…) wir fordern Unterstützung für Rock gegen Rassismus. P. S. Wer erschoss den Sheriff, Eric? Du warst es todsicher nicht!«Der Brief wird in mehreren Zeitungen und Musikzeitschriften veröffentlicht und Rock Against Racism (RAR) ins Leben gerufen. Drei Monate später findet das erste RAR-Konzert mit der Sängerin Carol Grimes in Ostlondon statt, wo die NF besonders aktiv ist.
»Anarchy in the UK«?
Saunders und Co haben Glück, dass sie ihre Kampfansage gerade 1976 machen, dem Geburtsjahr des Punk. Zum silbernen Thronjubiläum der Queen im Jahr 1977 steht »God Save the Queen« von den Sex Pistols auf Platz zwei der Charts. In dem Song bezeichnet die Band Großbritannien als »faschistisches Regime«. Mit seiner »Drei-Akkorde-Musik« war Punk etwas, das Jugendliche aus der Arbeiterklasse selbst machen konnten. Punk war aber auch eine politische Reaktion. Im Jahr 1974 wurde eine Labour-Regierung gewählt, die versprach, »die Reichen wie eine Zitrone auszupressen«. Zwei Jahre später verfolgte sie eine rigide Sparpolitik und bereitete damit Margaret Thatcher den Boden. Die Regierung griff Gewerkschaften an und die Arbeitslosigkeit stieg. Die Enttäuschung über Labour führte den Punk allerdings nicht automatisch nach links. Sid Vicious und Siouxsie Sioux trugen regelmäßig T-Shirts mit Hakenkreuzen, um zu schockieren. In »Anarchy in the UK« lautete die Botschaft der Sex Pistols: »Saufen! Zerstören!« Andere Punks sangen über Langeweile und Zukunftslosigkeit.
Rock Against Racism und Punk
Rock Against Racism impfte dem Punk Hoffnung ein, wie Roger Huddle, einer der Organisatoren, später sagte: »Ohne RAR wäre Punk nur Nihilismus gewesen.« Die RAR-Konzerte brachten Musiker verschiedener Herkunft zusammen. Frauen waren als führende Musikerinnen beteiligt. Einer der aktivsten Musiker bei RAR war Tom Robinson, der mit »Glad to be Gay« die Rechte von Homosexuellen auf die Tagesordnung setzte. Rock Against Racism sollte dem Rassismus auf kultureller Ebene etwas entgegensetzen. »Wir wollen rebellische Musik, Straßenmusik, Musik, die den Leuten die Angst voreinander nimmt. (…) Musik, die den wirklichen Feind benennt. Rock gegen Rassismus«, hieß es in der ersten Ausgabe des eigens gegründeten Musikmagazins, in dem es auch Tipps für politischen Aktivismus gab. Mit RAR wurde es cool, antirassistisch zu sein und sich mit Aufklebern, Buttons und Plakaten dazu zu bekennen. Noch aus den entlegensten Orten riefen Leute an und fragten, wie sie Mitglied werden konnten.
Die Rolle der Anti-Nazi League
Die große Wirkung von RAR wäre aber ohne die Gründung der Anti-Nazi League (ANL) im August 1977 kaum denkbar gewesen. Die ANL entstand aus der »Schlacht von Lewisham«, einem Nordlondoner Stadtbezirk mit einem hohen Anteil schwarzer Einwohner, in dem Nazis regelmäßig aufmarschierten. Mitgliedern der Socialist Workers Party (SWP) gelang es zusammen mit Jugendlichen aus dem Viertel, alten Antifaschistinnen und Gewerkschaftern, durch Polizeiketten zu brechen und den Marsch der Nazis zu sprengen.
Ein Bruch mit der üblichen Strategie
Das war ein Bruch mit der üblichen Strategie der Linken, einer direkten Konfrontation aus dem Weg zu gehen und vom Staat das Verbot von Naziaufmärschen zu fordern, oder Gegendemonstrationen zwar zur selben Uhrzeit, aber an einem anderen Ort zu organisieren. Die ANL wies auf die Bedeutung der Naziaufmärsche für den Aufbau einer terroristischen Straßenbewegung hin, die eine Gefahr für Migranten, Gewerkschafterinnen, Linke, Homosexuelle und religiöse Minderheiten darstellt. Dem »kleinen armseligen Menschen die stolze Überzeugung« einbrennen, »als kleiner Wurm dennoch Glied eines großen Drachens zu sein«, nannte es Hitlers Propagandaminister Goebbels. Die ANL machte auch klar, dass es bei dem organisierten Zusammenstoß mit Naziaufmärschen nicht um Schlachten einer kämpferischen Avantgarde gehen konnte, sondern dass eine Massenbewegung aufgebaut werden musste. Sie bestand darauf, in den Mittelpunkt den Kampf gegen die organisierten Faschisten zu stellen und nicht allgemein gegen Rassismus. Auf diese Weise war es möglich, Leute mit einzubeziehen, die vielleicht rassistische Vorurteile hegten, aber Bündnispartner im Kampf gegen Nazis waren. Das galt auch für den Umgang mit Labour-Wählerinnen und -Mitgliedern, welche die ANL trotz der Rolle der Labour-Regierung mit ansprach.
Breit aber entschlossen
Deswegen war die ANL immer eine breite Organisation. Zu ihren Mitgliedern gehörten Fußballtrainer Brian Clough, Boxer Henry Cooper und Abgeordnete wie Neil Kinnock, später Chef der Labour Party. Gleichzeitig arbeitete die ANL eng mit RAR zusammen. Presse und Politiker versuchten, die ANL als linke Hooligans darzustellen, nicht besser als die Nazis. Diese Hetze verfing aber bei vielen nicht, weil ihr Lieblingsfußballer oder Lieblingsmusiker auch ANL-Mitglied war. Für die ANL war es wichtig, über die linke Szene hinaus auszugreifen und Musiker zu gewinnen, deren Fangemeinde problematisch war. Dazu gehörte zum Beispiel Jimmy Pursey von Sham 69 – eine Band aus der Arbeitsklasse, die unerwünschten Zuspruch von manchen Nazigruppen erhielten. Vor dem RAR-Karneval in Ostlondon im Jahr 1978 bekam Sham 69 Morddrohungen und sagte die Teilnahme ab. Pursey blieb dabei, sang mit der Reggaegruppe Aswad und hielt eine inspirierende Rede gegen Rassismus. Diese Zusammenarbeit von weißen und schwarzen Musikern war eine Strategie von RAR. Bei jedem Konzert war der Hauptakt eine schwarze Reggaegruppe, auch wenn berühmtere Punkbands vorher spielten. Bob Marley lebte damals in London und sang über eine »Punky Reggae Party«. The Clash spielte die Reaggaetitel »Police and Thieves« und »Armagideon Time«.
Die ersten Erfolge von Rock Against Racism
RAR und die ANL konnten bedeutsame Erfolge verbuchen: Bei der Parlamentswahl im Jahr 1979 kandidierte die National Front nur in der Hälfte aller Wahlbezirke und bekam 0,6 Prozent der Stimmen. Bei einer Gerichtsverhandlung behauptete der NF-Führer Martin Webster, dass er vor 1977 auf dem Weg zum Amt des Ministerpräsidenten gewesen sei. Dann sei plötzlich die ANL überall aufgetaucht und habe es der NF unmöglich gemacht, ihre Mitglieder auf die Straße zu bringen. Webster gab zu, dass die ANL (zusammen mit RAR) hauptverantwortlich für ihre Niederlage war.
Im Jahr 1981 organisierte RAR ein letztes großes Festival. Fünf Jahre lang hatten sie Konzerte und Festivals mit Punkbands wie The Clash, Reggaemusikern wie Steel Pulse, neuen Ska-Musik-Gruppen wie The Specials und alten Rockern wie Alex Harvey veranstaltet. Diese Musiker – und ihre Fans – haben einen entscheidenden Beitrag zur Zurückdrängung der organisierten Nazis geleistet.
Rock Against Racism entwickelt sich weiter
Später haben Andere Musik und Politik miteinander verbunden. Manche Beitrage verdienen Anerkennung – die Unterstützung von Rage Against The Machine für die antikapitalistischen Proteste von Seattle zum Beispiel, oder Steven Van Zandts Artists Against Apartheid. Seit dem Jahr 2002 gibt es die Initiative »Love Music Hate Racism«, die sich in die Tradition von RAR stellt und Konzerte gegen rechts organisiert. Bei anderen war das Ergebnis eher zweifelhaft. So boten Live Aid und Live 8 für die verhungernde Bevölkerung in Afrika dem Steuersünder Bono die Plattform, um öffentlich George W. Bush in den USA und Tony Blair in Großbritannien zu loben, die mit ihrer Politik für diese Katastrophen verantwortlich waren.
Rock Against Racism hat etwas für immer verändert
Das letzte Wort über RAR gebührt Gurinder Chadha. Heute ist sie eine erfolgreiche Filmregisseurin, die zum Beispiel »Kick it like Beckham« gedreht hat. In den 1970er Jahren war sie Schülerin und wohnte über dem Londoner Laden ihrer Eltern. Die Familie musste jederzeit fürchten, dass ein rassistischer Schläger den Laden betreten könnte. Gurinder schlich sich im Jahr 1978 auf ein RAR-Konzert und sah einen Park voller Leute. In diesem Moment erkannte sie, dass sich »in Großbritannien etwas für immer verändert hatte. Vor Rock Against Racism war es offenbar okay, Rassist zu sein. Aber RAR machte plötzlich die Vielen sichtbar, die gegen Rassismus waren und ein anderes Großbritannien wollten.«
Und heute?
Rock Against Racism und die Anti-Nazi League wurden zum Vorbild für die Initiative Rock gegen rechts in Westdeutschland, die seit dem Jahr 1979 erfolgreich gegen die NPD vorging. Angesichts der verstörenden Straßenaufmärsche organisierter Nazis und Rassisten in den vergangenen Monaten, ihrer Angriffe auf Flüchtlinge und des Rechtsrutsches bei den bürgerlichen Parteien gibt es für uns viel von Rock Against Racism und der Anti-Nazi League zu lernen. Die Linke muss eine große Antinazibewegung auf die Beine stellen, die es sich zur Aufgabe macht, die Faschisten zu stoppen. Damit sollte auch eine kulturelle Bewegung verbunden werden, die alle sichtbar macht, die meinen, dass es nicht okay ist, Rassist zu sein.
Foto: dannybirchall
Schlagwörter: Faschismus, Großbritannien, Kampf gegen Rechts, marx21, Nazis, Neofaschismus, Protest, Rechte, Refugees, Strategie