Seit Tagen breitet sich im Iran eine Welle des Protests aus. Doch die Feinde der Bewegung für Freiheit und Gerechtigkeit sitzen nicht nur im eigenen Land. Von Nick Clark
Die landesweiten Proteste gegen Arbeitslosigkeit, Armut, Korruption und die politische Elite werden von der Regierung brutal unterdrückt. Tausende wurden in den größeren und mittleren Städten Irans verhaftet. Mindestens 15 Menschen haben bis zum 1. Januar, dem fünften Protesttag, in Zusammenstößen mit der Polizei ihr Leben verloren.
Die Proteste begannen am Donnerstag, den 28. Dezember 2017, in Maschhad, der zweitgrößten Stadt Irans, nachdem Präsident Rohani den Haushaltsentwurf für 2018 verkündet hatte, der Kürzungen und Preiserhöhungen vorsieht. Die Demonstrationen radikalisierten sich schnell und weiteten sich auf andere Städte zur größten Protestwelle seit dem Jahr 2009 aus.
Die neoliberale Lüge im Iran
All dies findet statt vor dem Hintergrund einer sich verschärfenden Wirtschaftskrise, begleitet von steigenden Preisen, niedrigen Löhnen und hoher Arbeitslosigkeit. Der »Reformer« Hassan Rohani, der die Wahl 2013 gewonnen hatte, versprach, das Land für Großkonzerne und Auslandsinvestitionen zu öffnen. Der neue Reichtum würde durch Schaffung neuer Arbeitsplätze und durch höhere Löhne auch die unteren Schichten begünstigen. Praktiziert wurde aber eine Austeritätspolitik – begleitet von einer zunehmenden Zahl von Streiks. Asad Keshavari, ein in Großbritannien lebender iranischer Aktivist, meint hierzu:
»Das lässt sich an der wachsenden Staatsverschuldung gegenüber Banken, an der Auszehrung der Pensionsfonds, den vielen Pleiten von Finanzinstitutionen und dem schier unglaublichen Ausmaß an Korruption und Unterschlagung messen. Während der letzten drei oder vier Jahre kam es zu großen Arbeitsniederlegungen und Streikpostenketten in Arak und den an Erdöl und Gas reichen Gebieten im Süden des Landes.«
Zwischen Repression und Widerstand
Es wird behauptet, dass die Proteste anfänglich von hartgesottenen Reformgegnern aus dem politischen Establishment organisiert wurden. Aber weder die Hardliner noch die Reformer des iranischen Regimes können die Forderungen der einfachen Menschen befriedigen. Die letzte große Protestwelle von 2009, die »Grüne Bewegung«, richtete sich doch gerade gegen die Regierung des »Hardliners« Mahmoud Ahmadinedschad. Diese Bewegung wurde mithilfe massiver Repression niedergeschlagen – die Hardliner verloren dennoch die Wahl von 2013.
Am Sonntag wandte sich Rohani an die Bevölkerung: Protestierenden sollte »Raum für Kritik« an der Regierung gegeben werden, »gewalttätige Demonstrationen« würden allerdings mit aller Härte bekämpft. Noch während seiner Rede gab es bereits massive Polizeiübergriffe. In manchen Städten sollen daraufhin Polizeireviere besetzt worden sein.
Asad meint: »Jedesmal, wenn das Regime eine Politik der harten Hand betrieb, bekam es dafür die Rechnung präsentiert. Die Menschen legen einen unglaublichen Mut an den Tag, sie sind wütend und sehnen sich nach Freiheit und sozialer Gerechtigkeit.«
Nationalistische Töne und westliche Heuchler
Die Protestwelle im Iran ist keineswegs frei von Widersprüchen. So wurden zumindest vereinzelt auch rechte und araberfeindliche Parolen gerufen. Zudem wurde Kritik laut, dass auch Kräfte wie die USA und Israel die Proteste unterstützen, also Staaten, die in der gesamten Region unermessliches Leid verursacht haben.
Der Iran kämpft mit den US-Verbündeten Israel und Saudi-Arabien um die Vorherrschaft im Nahen Osten. Er hat in die Kriege im Irak und Syrien interveniert, um seinen Einfluss zu erweitern. Der dahinterstehende Konflikt droht bereits seit Monaten, in einen neuen blutigen Krieg auszuarten. Die Demonstrierenden im Iran sind daher auch wütend auf eine Regierung, die lieber Geld für Kriege als zur Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit ausgibt. Manche Demonstranten skandieren: »Vergesst Syrien – denkt an uns!« Andere haben hingegen auch nationalistischere Töne angeschlagen: »Weder für Gaza noch für den Libanon, für den Iran opfere ich mein Leben«. Slogans wie »Wir sind Arier, wir verehren keine Araber« zeigen, dass manche Protestierende für rassistische Ideen offen sind.
Jenseits der Kontrolle imperialistischer Mächte
US-Präsident Trump twitterte: »Das Volk realisiert langsam, wie ihnen Geld und Reichtum gestohlen und für Terrorismus verprasst wird. Sieht danach aus, als ob es sich das nicht länger gefallen lässt.« Die israelischen Medien wiederum stellen die Proteste als radikale Ablehnung des anti-westlichen Kurses des Iran dar. Iranische Offizielle bezichtigen hingegen Saudi-Arabien, im Hintergrund die Strippen zu ziehen.
Trump und seine Verbündeten sind Heuchler. Jahre der US-Sanktionen gegen den Iran, die Trump jüngst erneuert hat, bringen Leid für das einfache Volk. Zudem hat er wiederholt einen vernichtenden Krieg gegen den Iran heraufbeschworen. Und die von Saudi-Arabien und Israel geführten Kriege haben die ganze Region ins Chaos gestürzt.
Die Proteste von unten haben aber offensichtlich ein Eigenleben. Sie könnten sich zu einer Bewegung ausweiten, die der Kontrolle aller Regionalmächte entgleitet und die Herrschenden im ganzen Nahen Osten erschüttert. Die tausenden Arbeiterinnen und Arbeiter, die momentan auf die Straßen gehen, müssen sich jedoch davor in Acht nehmen, dass ihre Bewegung nicht von imperialistischen Mächten vereinnahmt wird.
Dieser Artikel erschien zuerst bei socialistworker.co.uk. Aus dem Englischen von David Paenson.
Foto: voanews.com
Schlagwörter: Demonstration, Iran, Israel, Jemen, Krieg, Nationalismus, Polizei, Protest, Repression, Rohani, Saudi-Arabien, Syrien, Teheran, Trump, USA