Im Iran demonstrierten erneut Hunderttausende gegen Ahmadinedschad. Der US-Journalist Lee Sustar über Hintergründe und Perspektiven der iranischen Protestbewegung.
Nach dem Tod des regimekritischen Klerikers Großajatollah Hossein Ali Montaseri im vergangenen Monat und den sich anschließenden Protesten hat sich die politische Krise im Iran verschärft. Die gesellschaftliche Basis der Bewegung hat sich seit dem Protesten vom Sommer 2009 erweitert. Die Zusammenstöße vertiefen die Risse im herrschenden iranischen Establishment. An dem schiitisch-islamischen Feiertag Aschura spitzten sich nun die Proteste erneut zu. Bei den Demonstrationen am 27. Dezember 2009 wurden mehr als sieben Menschen getötet, hunderte verletzt und ebenfalls hunderte verhaftet wurden. Schon eine Woche zuvor protestierten die Menschen, um an Montaseris Tod zu gedenken. Zuvor hatte es große Studentenproteste am 7. Dezember gegeben, einem traditionellen Demonstrationstag, mit dem der Ermordung von drei Studenten im Jahr 1953 gedacht wird. Dieses Jahr diente er als Gelegenheit, gegen Ahmadinedschad und das Regime zu protestieren. Besonders alarmierend für Ahmadinedschad waren Szenen, in denen Trupps der Revolutionären Garden von Protestierenden eingekesselt und entwaffnet wurden. Letztere zeigten anschließend mit ihren Fingern das V für Victory, Sieg. Da die Revolutionären Garden, die militärische Elitetruppe des Irans schlechthin, sich als zunehmend unzuverlässig bei der Umsetzung der Repressionsmaßnahmen erwiesen haben, musste sich das Regime immer mehr auf die Basidschi stützen, eine paramilitärische Kraft, die mit einem Netz konservativer Moscheen verbunden ist.
Das Regime schlägt zurück
Im Mittelpunkt des scharfen Vorgehens gegen die Opposition steht die Ansar-i-Hisbollah, eine kleinere Kraft mit eher faschistischen Zügen, die auch in Morde an reformistischen Politikern verwickelt ist und die sich auf Angriffe auf Demonstranten spezialisiert hat. Rund 500 Macheten und Messer schwingende Ansar-Schläger griffen am 31. Dezember in der Stadt Maschad Universitätsstudenten an. Acht Studenten mussten ins Krankenhaus und viele weitere wurden durch Messerangriffe verletzt. Das Regime hat signalisiert, dass es noch heftiger zuschlagen wird, wenn die Opposition wieder auf die Straße geht. Im Staatsfernsehen werden die Drohungen der führenden konservativen Kleriker gesendet. Haeri Schirasi, der meinte, dass Protestierende auf der Stelle erschossen statt erst verhaftet werden sollten, sagte: »Wenn sie verhaftet sind, ist das schlecht; wenn sie gefangen sind, ist das schlecht. Macht keine Opfer aus ihnen.« Schirasi behauptete, das Töten von Demonstranten sei »durch Gehorsam gegenüber Allah und seinen Propheten gebilligt und der Oberste Religionsführer damit betraut. Wenn es durch solch eine Macht gebilligt wird, dann gibt es keinen Grund, daraus eine Regierungsangelegenheit zu machen.« Angesichts eines sich ausweitenden Folter- und Mordskandals an inhaftierten Gefangenen bei früheren Protesten, könnte diese bluttriefende Ansprache nicht deutlicher sein. Der Oppositionsführer Mussawi konterte, indem er Schirasi beschuldigte, zu einem Bürgerkrieg aufzurufen. Das scheint korrekt zu sein angesichts der Tatsache, dass das Regime jetzt die Reihen um die höchsten Ränge der Revolutionären Garden, Ahmadinedschads Basis, wie auch um die reaktionärsten Geistlichen im Umkreis von Irans oberstem Rechtsgelehrten Ajatollah Ali Chamenei schließt. Das ist ein Problem für Ajatollah Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, den ehemaligen Präsidenten, der Mussawi bei den Wahlen vom Juni 2009 unterstützt hat. Rafsandschani, ein mächtiger Konservativer, der sowohl der größte Kapitalist und Chef des von Klerikern beherrschten Expertenrats ist, hat kein Interesse an einer sich radikalisierenden Bewegung, die sich tiefer in der Arbeiterklasse verankert. Sein Reichtum und sein Einfluss sind aber ebenfalls bedroht durch die Clique um Ahmadinedschad, die die Revolutionären Garden als Sprungbrett für ein riesiges Unternehmensnetz und politisches Gewicht benutzt haben. Um nur ein jüngstes Beispiel zu nennen: Die Revolutionären Garden erhielten im November den Zuschlag für einen 2,5 Milliarden schweren Regierungsauftrag zum Bau eines Eisenbahnnetzes, das zu einem Hafen führen soll.
Ahmadinedschads Manöver
Gleichzeitig versucht Ahmadinedschad, nachdem er den neuerlichen Anstieg der Ölpreise für populistische Almosenverteilung nutzte, seine engere Kontrolle über die Wirtschaft einzusetzen, um sich angesichts von Wirtschaftskrise und wachsender Oppositionsbewegung seine Basis in der Bevölkerung zu erhalten. Parallel senkt er aber die Preissubventionen auf Grundnahrungsmittel. Der Wissenschaftler Nader Habibi schrieb: »Zusätzlich zur Ausweitung des Einflusses der Revolutionären Garden auf die Wirtschaft versucht die herrschende Fraktion auch, Wirtschaftsressourcen durch Stärkung ihrer Kontrolle über das vorgeschlagene Einkommensunterstützungsprogramm zu bekommen. Während der kürzlich abgehaltenen Parlamentsdebatten über die Ersetzung der gegenwärtigen Preissubventionen durch die direkte Subventionierung der Einkommen hat Präsident Ahmadinedschad hart darum gekämpft sicherzustellen, dass das Präsidentenbüro nach Beseitigung der Preissubventionen auf Güter und Dienstleistungen, die sie der Öffentlichkeit verkaufen, Zugriff auf die zusätzlichen Einkommen in öffentlichen Unternehmen hat. Kritiker machen sich auch Sorgen, dass der Präsident sein Privileg nutzen wird, um das Bargeld und die Einkommenssubventionen zur Ausdehnung seiner politischen Basis einzusetzen und die Zuwendungen Haushalten zu verweigern, die Sympathien für die nach den Wahlen entstandene Protestbewegung hegen.« Im Gegenzug versuchen Rafsandschani und der Parlamentssprecher Ali Laridschani eine Mitte-rechts-Alternative zu Ahmadinedschad aufzubauen und kritisieren die Protestierenden dafür, zu weit zu gehen. Sie wenden sich aber auch gegen die schlimmsten Auswüchse der Repression durch das Regime. Der US-Journalist S. Sepheri, der den Iran während der Wahlkrise besuchte meint dazu: »Die Frage ist, ob Rafsandschani mehr Angst hat vor dem Militärapparat oder den Massen«, sagt. Das ist auch Laridschanis Dilemma.« In der Vergangenheit, so Sepheri, wären die Differenzen in der iranischen herrschenden Klasse und dem politischen Establishment in der Madschlis, dem Parlament, verhandelt worden, um dann ein Abkommen zu schließen, oder Chamenei griff ein, so wie während der reformistischen Präsidentschaft von Mohammed Chatami von 1997 bis 2005. »Aber mit der gestohlenen Wahl zerbrach dieser Gesellschaftsvertrag«, sagt Sepheri, »jetzt finden diese Auseinandersetzungen auf den Straßen statt.«
Mussawi unter Druck
Während das Regime entschlossen ist, die Opposition zu zerschlagen, haben die Protestierenden zunehmendes taktisches Geschick und Unerschrockenheit beim Aufbau von Blockaden, der Entwaffnung der Basidschi-Milizen und dem Verbrennen der Markenmotorräder, die die Basidschis bei ihren Einsätzen benutzen, gezeigt. Gleichzeitig haben die Proteste in Teheran zunehmend mehr Menschen aus den Arbeitervierteln angezogen, was ein Zeichen für die sich ausweitende gesellschaftliche Basis der Bewegung ist. Die Opposition war immer sehr viel breiter als nur die Mittelschicht, sie war nicht nur die von Studenten beherrschte Bewegung, wie sie von Ahmadinedschads einheimischen wie internationalen Unterstützern gezeichnet wird. Dennoch haben sich die Arbeiter dem Kampf bisher noch nicht als Klasse angeschlossen – mit der Art von Streik und anderen ökonomischen Aktionen, wie sie im Iran in den Jahren 2004 bis 2006 ausbrachen. Das kann sich ändern – oder zumindest fürchtet das Regime, dass es dazu kommt. Im November wurden zwei Gewerkschafter in Iranisch-Kurdistan verhaftet, Pedram Nasrollahi und Farsad Ahmadi. Ein paar Wochen später wurde der inhaftierte Teheraner Führer der Busgewerkschaft, Mansur Osanlu, aus seinem Job entlassen. Aber auch ohne breite Arbeiteraktionen hat die Radikalisierung der Bewegung Mussawi zu einem Balanceakt gezwungen. Einerseits hat er erklärt, dass er keine Angst habe zu sterben – und sein Neffe, Ali Mussawi, war einer derjenigen, die am 27. Dezember getötet wurden. Mussawi unterbreitete aber auch eine Reihe von Vorschlägen für einen Dialog mit der Regierung – ein Schritt, den einige Aktivisten der Opposition für ein Zugeständnis halten. Andere sehen in Mussawis Initiative den Versuch, das Regime als entstehenden Polizeistaat bloßzustellen, der unfähig ist, irgendeine Art von Opposition zu tolerieren. Aber die Oppositionsbewegung steht vor deutlich wichtigeren Fragen als die, ob sie mit dieser oder jener Taktik Mussawis übereinstimmt.
Perspektiven der Bewegung
Als ehemaliger Ministerpräsident während des Iran-Irak-Kriegs der 1980er Jahre ist Mussawi selbst eine wichtige Figur im politischen Establishment. Er repräsentiert eine Schicht Politiker einer älteren Generation, die sich wünschen, dass die Wirtschaftspolitik des Irans stärker an einer nationalen Entwicklung ausgerichtet wird statt an Ahmadinedschads Privatisierungsprogrammen, die nur seinem kleinen herrschenden Kreis zugute kommen wird. Mussawi hat aber auch kein Interesse an der Entstehung einer unabhängigen Arbeiterbewegung. Tatsächlich hat Mussawis Regierung in den 1980er Jahren die Linke unterdrückt und die Arbeiterbewegung unter Staatskontrolle gebracht. Was als nächstes passiert, ist unmöglich vorherzusagen. Ahmadinedschad mag eine Art von Kriegsrecht vorbereiten. Aber die Opposition ist durch die bisherige Repression noch nicht in die Knie gezwungen worden. Im Gegenteil: Das Blutvergießen, die Verhaftungen und die Folter haben nur die Entschlossenheit der Protestierenden gestärkt. Der Kampf wird wohl weitergehen und sich verschärfen.
Zum Text:
Veröffentlichung auf marx21.de mit freundlicher Genehmigung des US-Onlinemagazins SocialistWorker.org. Übersetzung: Rosemarie Nünning.
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