Streik bei Audi, Demos gegen Orbán – in Ungarn regt sich Widerstand. Die rechte Regierung hält sich, indem sie Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus schürt. Von Bob Oxley
Ende Januar dieses Jahres ereignete sich für ungarische Verhältnisse etwas Bemerkenswertes im Audi-Werk in Gyor, in einer Stadt mit einer Bevölkerung von 130.000, 120 Kilometer von der ungarischen Hauptstadt Budapest entfernt. Etwa 900 gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte traten in einen einwöchigen Streik. Der Grund für den Streik war, dass ihr Lohn 20 bis 30 Prozent niedriger war als bei Beschäftigten mit ähnlichen Jobs bei Audi in Polen und der Slowakei.
Noch bemerkenswerter war, dass das Unternehmen ihnen am Ende des Streiks eine Lohnerhöhung von 18 Prozent gewährte. Dies war vermutlich unvermeidlich, da der Streik Domino-Effekte hatte, die bis zur Schließung des Audi-Stammwerks in Ingolstadt in Deutschland führten. Natürlich hätten sie noch mehr erreichen können, wenn die eher kraftlose Gewerkschaftsführung mehr organisiert hätte. Das Werk Gyor trägt rund 12 Prozent zum Betriebsgewinn von Audi bei. Aber es dennoch ein Sieg in jeder Hinsicht.
Proteste gegen Orbán
Der Streik folgte auf militanten Widerstand gegen eine von der rechten Orbán/Fidesz-Regierung vor Weihnachten angekündigte Gesetzgebung. Sie sah vor, dass ungarische Beschäftigte verpflichtet werden sollten, bis zu 400 Überstunden pro Jahr zu leisten, wobei die Arbeitgeber sich das Recht vorbehielten, die Bezahlung der Überstunden zu verzögern. Zusätzlich würde es radikale Veränderungen im Verwaltungsgerichtssystem geben, die es der Regierung ermöglichen würden, ihre Lakaien bei genau den Gerichten zu installieren, deren Aufgabe es eigentlich ist, die Rechtmäßigkeit des Regierungshandelns zu überwachen.
Die erste Maßnahme war auf den ungarischen Fachkräftemangel zurückzuführen, der sich in der Abwanderung von Fachkräften begründet, die wegen zu niedriger Löhne das Land verlassen. Gleichzeitig besteht ein Mangel an Einwanderung, da die Regierung eine Null-Einwanderungspolitik von außerhalb der EU verfolgt. Die Nettoauswanderung aus Ungarn beläuft sich aktuell auf etwa 32.000 pro Jahr. Letzteres ist Teil von Orbáns Streben nach einer »illiberalen Demokratie«, die sehr illiberal und keineswegs demokratisch ist.
Antisemitismus im Wahlkampf
Die Streiks und die Straßenkämpfe, bei denen es zu blockierten Brücken und Konfrontationen mit der Bereitschaftspolizei kam, waren zwei Lichtblicke in einer politisch sehr düsteren Lage in Ungarn. Im vergangenen März wurde Orbán mit weniger als 50 Prozent der Stimmen gewählt, aber mit einer noch größeren Mehrheit im Parlament, die ihm die Zweidrittelmehrheit verschaffte, die er brauchte, um die Verfassung nach Belieben zu ändern.
Seine Wahl folgte auf einen klar antisemitischen und islamfeindlichen Wahlkampf, in dem das Gesicht des ungarisch-jüdischen Milliardärs und Spekulanten George Soros in ganz Ungarn plakatiert wurde, und behauptet wurde, er stehe hinter einem Plan, Musliminnen und Muslims ins Land zu holen, um die christliche Identität Ungarns zu aufzulösen und Lohndumping auf Kosten ungarischer Beschäftiger zu fördern.
Jobbik und Fidesz
Der Wahlkampf war so antisemitisch, dass sich der israelische Botschafter schließlich beschwerte, als Soros‘ Gesicht auf den Boden von Straßenbahnen geklebt wurde, damit die Leute darüber laufen konnten. Aber Orbáns Verbündeter, der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, ließ die Beschwerde sofort zurückziehen, und die Beziehungen zwischen der israelischen und der ungarischen Regierung sind seitdem noch enger geworden. Netanyahu hat schließlich aus seiner Sicht die gleichen Feinde wie Orbán – Muslime und George Soros.
Der rassistische Wahlkampf hat für Orbán hervorragend funktioniert. Er stahl das Gewand der offen antisemitischen, faschistischen Jobbik-Partei. Die Jobbik-Partei hat sich inzwischen gespalten, aber bei den Wahlen im März bekam sie zusammen mit der rechten Fidesz-Partei weit über 60 Prozent der ungarischen Wählerstimmen. Das war nicht immer so.
Ungarn nach 1989
Nach dem Fall der Berliner Mauer strich die Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei (die angeblichen Kommunisten) die »Arbeiter« aus dem Namen und wurde zur Ungarischen Sozialistischen Partei. Sie übernahm weitgehend die von Tony Blair und Gerhard Schröder bekannte Philosophie der neoliberalen Sozialdemokratie. Sie privatisierte einen Großteil der Wirtschaft und befürwortete begeistert die Integration der Europäischen Union (EU). Sie erzielten zunächst beträchtliche Wahlerfolge und bildeten eine Reihe von Regierungen.
Im Jahr 2006 wurde der damalige Premierminister auf Band aufgenommen, als er zugab, dass die Regierung die Menschen bewusst belogen hatte. Im Jahr 2008 kam das Sparprogramm, das in der gesamten EU im Zuge der Finanzkrise eingeführt wurde, dazu. 2010 wurde dann Fidesz mit einem ungarisch-nationalistischen Programm ins Amt gewählt. Seitdem führt sie die Regierung mit wachsenden Mehrheiten erfolgreich durch mehrere Wahlen. Unterstützt durch eklatante Schiebungen vor den Wahlen, eine jetzt hauptsächlich von Regierungsanhängern kontrollierte Presse und ein zynisches rassistisches und nationalistisches Wahlprogramm.
Die EU und Orbán
In seiner faschistisch angehauchten Allegorie der »zwielichtigen Kosmopoliten«, die entschlossen sind, die armen Ungarn auszubeuten, hat Orbán nicht nur George Soros beschuldigt, sondern sich selbst als Beschützer des armen kleinen Ungarn (das nach dem Ersten Weltkrieg zwei Drittel seines Territoriums im Vertrag von Trianon verloren hat) inszeniert, der sich gegen die EU-Liberalen stellt, die angeblich Europa mit muslimischen Einwanderern überschwemmen wollen.
Im Europäischen Parlament hat es einige Rückschläge gegeben, so musste etwa die von Soros finanzierte Central European University Budapest verlassen. Viele Gegnerinnen und Gegner von Orbán und Fidesz hoffen weiterhin, dass die EU den liberalen Werten in Ungarn irgendwie zur Hilfe eilen wird.
Aber es gab keine Sanktionen der EU gegen Ungarn, das weiterhin großzügige EU-Zuschüsse erhält, die auf wundersame Weise den Weg zu den Unternehmen der Freunde von Viktor Orbán finden. Insbesondere in den sogenannten Visegrad-Ländern Polen, Slowakei und Tschechien hat Orbán Beschützer. Und generell wollen die europäischen Mächte Ungarn nicht destabilisieren.
Schimmer der Hoffnung
Es gibt immer Hoffnung, und die Straßenproteste vor Weihnachten wie auch der Streik im Audi-Werk sind gute Nachrichten. Aber es ist schwierig, kurzfristig optimistisch zu sein. Die Regierung zerstört derzeit die Überreste der akademischen Unabhängigkeit und in seiner jüngsten Rede zur Lage der Nation kündigte Orbán eine Reihe von Maßnahmen an, um die ungarische Geburtenrate zu erhöhen, um sicherzustellen, dass »ethnisch reine« Ungarn weiterhin Ungarn dominieren. Die Mehrheit der ungarischen Opposition ist resigniert, weil Orbán trotz seines rechten Programms der »illiberaler Demokratie«, Nationalismus und Rassismus an der Macht bleibt.
(Übersetzung: Franziska Wöckel)
(Foto: Ronan Shenhav – das Bild zeigt eine Demonstration gegen Orbán von 2014)
Schlagwörter: Antisemitismus, Demonstration, Faschismus, Streik, Ungarn