Die anhaltenden Massenproteste in den USA finden in einem neuen Kontext statt. Alex Callinicos über die Präsidentschaftswahl-Pläne von Trump und den Widerstand gegen Polizeigewalt und Rassismus in Zeiten von Covid-19 und Wirtschaftskrise
Die Proteste gegen die Ermordung des Schwarzen US-Amerikaners George Floyds durch die Polizei von Minneapolis entwickeln sich zu einem Aufstand nationalen Ausmaßes. Dies ist nicht der erste Aufstand dieser Art, wie wir wissen. Es gab große innerstädtische Aufstände in den 1960er Jahren, die Revolte von Los Angeles im Jahr 1992 und die Proteste von Black Lives Matter, die im Jahr 2014 begannen (Lies hier der marx21-Artikel »Ferguson ist überall« von Keeanga-Yamahtta Taylor). Der afroamerikanische Marxist August Nimtz zitiert Tony Bouza, einen ehemaligen Polizeichef von Minneapolis, der zugibt: »Der Kern des Problems der Kriminalität wie der Polizeiübergriffe in Amerika ist der, dass wir stillschweigend eine Klassenstruktur hinnehmen, die die Privilegierten von den Armen trennt, und damit einhergehend den systematischen Rassismus, dem sich die Gesellschaft nicht zu stellen bereit ist.«
Rassismus und die Covid-19-Pandemie in den USA
Die neue Revolte findet natürlich in einem neuen Kontext statt, der Covid-19-Pandemie, die in den USA inzwischen über 100.000 Menschen das Leben gekostet hat. Das hat die Spannungen auf zweierlei Weise noch verstärkt: Erstens, wie ABC News es drastisch formulierte: »Die weltweite Covid-19-Pandemie hat sich in Amerika zu einer Epidemie der Schwarzen, Braunen und der Arbeiterklasse entwickelt«. Es folgen die erschreckenden Statistiken: In Washington, D. C., war die Ansteckungsgefahr für Latinos um siebenmal höher als für weiße Bewohner. In Georgia sind 80 Prozent der Covid-19-Erkrankten in den Kliniken Afroamerikaner. In New York City ist die Gefahr, an der Coronavirus-Infektion zu sterben, für Afroamerikaner zweimal höher als für weiße Einwohner. In 20 von 21 New Yorker Postleitzahlbezirken mit den meisten neuen Covid-19-Krankenhauseinweisungen leben überdurchschnittlich viele Schwarze und/oder Latinos. Der Kolumnist der New York Times, Charles M. Blow, hat es noch deutlicher ausgedrückt: »Diese Krise enthüllt die Klassenbarbarei der amerikanischen Demokratie und die ökonomischen Verheerungen, die sie geduldet hat.«
Die durch die Pandemie unter den arbeitenden Armen verursachte Angst und das Leiden hat die schon lange vorhandenen Spannungen noch verschärft. Das Time Magazine berichtet: »Der Wohnbezirk Powderhorn Park, in dem Floyd mit der Polizei in Konflikt geriet, gehört laut Angaben der Stadt zu den am stärksten betroffenen Gemeinden.« Ein örtlicher Gewerkschaftsaktivist sagt: »Die Polizeikontrollen und der Rassismus sind Fragen der öffentlichen Gesundheit.« Mit Floyds Ermordung wurde eine Lunte an ein Pulverfass gelegt.
Wie Trump Öl in das Feuer gießt
Und zweitens gibt es Donald Trump, der eifrigst Öl in das Feuer gegossen hat (Lies hier den marx21-Artikel: »Die extreme Rechte hinter Trump«). Ende Mai schrieb er auf Twitter, den rassistischen Polizeichef von Miami, Walter Headley, aus dem Jahr 1967 zitierend: »Wenn das Plündern beginnt, wird geschossen.« Er höhnte, dass die Protestierenden vor dem Weißen Haus bei einem Durchbruch durch die Absperrungen »von beißwütigen Hunden und den gefährlichsten Waffen, die ich je gesehen habe, empfangen werden. Dann werden Menschen wirklich schwer verletzt, oder Schlimmeres.« Trump versucht auch, die Verantwortung für die Proteste den Linken zuzuschieben. Er tweetete Anfang Juni: »Die Vereinigten Staaten von Amerika werden die ANTIFA zu einer terroristischen Organisation erklären« – eine irrwitzige Drohung, da die »Antifa« ein loses Netz kämpferischer Antifaschistinnen und Antifaschisten darstellt.
Trump und seine Präsidentschaftswahl-Pläne
Es wäre zu einfach, diese Hetzreden damit zu erklären, dass Trump ein irrationaler rassistischer Idiot sei. Er ist ein rassistischer Idiot, aber er ist auch gerissen. Wegen der Pandemie sind die Pläne Trumps, im November die Präsidentschaftswahl auf Grundlage einer relativ robusten Wirtschaft wieder zu gewinnen, zunichte gemacht. Deshalb hat er es eilig, den Lockdown schnell wieder zu beenden, auch um den Preis von noch mehr Toten. Aber obwohl sich die Aktienkurse wieder erholt haben, sieht das Gesamtbild der Ökonomie eher düster aus. Jerome »Jay« Powell, Präsident der US-Notenbank, hat gewarnt, dass selbst bei einer wirtschaftlichen Erholung die USA eine »längere Zeit niedrigen Produktivitätswachstums und stagnierender Einkommen« erleben könnten.
Dazu kommt noch, wie der Kolumnist Edward Luce von der Financial Times meint, dass wegen Trumps gefühlloser Stümperei bei seinem Umgang mit der Pandemie viele über 65-Jährige jetzt auf den Kandidaten der Demokratischen Partei, Joe Biden, umschwenken. Biden liegt in den Wählerumfragen derzeit um 10 Punkte vor Trump. Angesichts dessen setzt Trump jetzt auf seine Version der alten »Südstrategie« der Republikaner, die zum ersten Mal im Jahr 1968 mit Erfolg von Richard Nixon angewandt wurde. Nixon reagierte auf den Aufschwung der Black-Power-Bewegung und die Aufstände nach der Ermordung Martin Luther Kings, indem er die rassistischen Ängste von Weißen schürte, um die Präsidentschaftswahl zu gewinnen. Trump gibt den rassistischen Cops und den Nationalgardisten mit seiner Rhetorik grünes Licht für ihren Amoklauf (Lies hier den marx21-Artikel: »USA – Gibt es einen Krieg gegen die Polizei?«). Er hofft ganz offensichtlich, dass die rassistische Polarisierung ihm dazu verhilft, im Weißen Haus zu bleiben.
Zum Text: Zuerst erschienen auf Socialist Worker. Aus dem Englischen von Rosemarie Nünning
Foto: dsgetch
Schlagwörter: Black lives matter, BLM, Donald Trump, Polizeigewalt, USA