Parteiausschlüsse, Unvereinbarkeitsbeschlüsse und innerparteiliche »Säuberungen« gehören zum traurigen Erbe linker Parteien. Genutzt haben sie höchstens ihren Gegnern
Ausschlüsse von Mitgliedern und Mandatsträgern oder auch »Unvereinbarkeitserklärungen« gehören zum überkommenen Instrumentarium politischer Parteien. Innerparteiliche »Säuberungen« sind ein hochproblematischer Teil der Geschichte der Linken. Ganz überwiegend dienten solche Praktiken nicht dazu, getarnte politische Gegner sozialistischer oder kommunistischer Gesellschaftsentwürfe loszuwerden. Vielmehr ging es um die Einschränkung der innerparteilichen Diskussion, um Verpflichtung auf den Kurs der jeweiligen Parteiführung, häufig auch darum, Disziplin durchzusetzen bei Wendemanövern in der Politik einer Partei.
Die Spaltung der deutschen Sozialdemokratie
Die Spaltung der historischen deutschen Sozialdemokratie im Ersten Weltkrieg begann damit, dass der Parteivorstand aus der Reichstagsfraktion diejenigen Abgeordneten »hinaussäuberte«, denen die Bewilligung der Kriegskredite für den deutschen Imperialismus Gewissensnöte bereitete. Antimilitaristischer Protest sollte als »parteischädigend« dargestellt und ausgegrenzt werden.
Mit dramatischen Folgen für die Betroffenen und für die gesamte Parteigeschichte vollzogen sich die »Säuberungen« in der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und in Parteien, die deren Regieanweisungen folgten, zur Zeit der Durchsetzung und Absicherung des stalinschen Machtmonopols und in den Jahren nach 1945. Massen von überzeugten Kommunisten wurden zu »Parteifeinden« erklärt, in Haft gebracht oder getötet, in »leichteren Fällen« von der politischen Teilnahme ausgeschlossen. Innerparteiliche Opposition wurde so erstickt, Kritiker als »Trotzkisten«, später auch als »Titoisten« und »Zionisten« gebrandmarkt.
Parteiausschlüsse gegen Linke
Wenn auch nicht lebensgefährlich, so doch politisch verwüstend ging es in der deutschen Sozialdemokratie nach 1945 beim Umgang mit Oppositionellen zu. Mit Parteiausschlüssen und »Unvereinbarkeitserklärungen« hatten all jene Sozialdemokraten zu rechnen, die sich einer Anpassung der SPD an das »atlantische Bündnis« und dessen Militärpolitik widersetzten oder die Zusammenarbeit mit Linken links neben der Partei suchten. Schnell zur Hand für diese »Säuberungen« war unter den Bedingungen des Kalten Krieges stets der Vorwurf, innerparteiliche Opposition sei gleichzusetzen mit »kommunistischer Unterwanderung«. Schon 1948 verabschiedete der SPD-Vorstand eine »Unvereinbarkeitserklärung« zur Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN). Im Jahr 1961 wurde die Partei von Mitgliedern und Förderern des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) »gereinigt«. Vergleichbare Abgrenzungen und Ausgrenzungen nach rechts hin hat die SPD nicht betrieben. Aktuell wäre über den Fall Sarrazin nachzudenken: Zwar hat hier selbst der Parteivorstand sich am Ausschlussantrag beteiligt, aber das Verfahren brach mit einem »Kompromiss« ab, der es dem »Deutschlandretter« ermöglicht, seine Ansichten als SPD-konform unters Volk zu bringen.
Unvereinbarkeitsbeschluss statt Kontroverse
Der Drang, innerparteiliche Kontroversen durch Ausschlüsse stillzulegen, tritt auch bei anderen Parteien auf. Mitunter gerät er ins Kuriose. Ein Beispiel dafür: Der Kreisverband der Grünen in Kleve wollte ein querköpfiges Mitglied mit der Begründung ausschließen, es beschädige das Ansehen der Partei durch öffentliches Auftreten in »ungepflegter Kleidung«. Die Grünen in Kleve regieren kommunal zusammen mit der CDU, da ist Gutbürgerliches auch im Outfit vonnöten. Über »Unvereinbarkeiten« können die Vorstände von Parteien selbstherrlich entscheiden. Ausschlüsse einzelner Mitglieder sind schwieriger zu handhaben, weil hier die Bestimmungen des Parteiengesetzes zu beachten sind. Ein »Parteiordnungsverfahren« gemäß der Satzung der Partei ist durchzuführen, ein innerparteiliches Schiedsgericht wird tätig, der »erhebliche Schaden« für die Partei ist nachzuweisen.
Was schadet einer Partei?
Aber was schadet einer Partei? Als plausibel gilt in der Regel, dass der Schaden in einem Ansehensverlust liegen könnte, der die Partei möglicherweise Stimmen kostet. Ein machttaktisches Verständnis von »Schädigung« also, bei dem außer Acht bleibt, welchen Schaden dem Charakter einer Partei die Disziplinierung innerparteilicher Kritik zufügen kann. Die Androhung, aufmüpfiges Verhalten werde einen Ausschlussantrag zur Folge haben, wirkt wie ein Maulkorb: Kritischen Parteimitgliedern fehlt dann der argumentative Biss.
Und wenn bestimmte Positionen in einer Partei das Etikett »unvereinbar mit dem Nutzen der Partei« aufgeklebt bekommen, erlahmt die demokratische Willensbildung, vor allem dann, wenn dieser Nutzen erstrangig als Fähigkeit zum Regieren oder Mitregieren definiert ist. Wer sich dem Müntefering-Leitsatz »Opposition ist Mist« unterwirft, wird geneigt sein, beim Marsch in die Regierungsämter Gleichschritt für eine politische Tugend zu halten. Oder auch so: Wenn »Regierungsfähigkeit« auszuweisen das oberste Ziel ist, erscheint Vorauseilen zu demselben als nützlich für die Partei. Zu praktizieren ist dies unter den gegebenen Umständen vor allem durch Ergebenheitsgesten gegenüber massenmedial herrschenden Meinungen und erhofften Koalitionspartnern. Das Bestehen auf oppositionelle Auffassungen hingegen gilt dann als »Steckenbleiben«, als schädlich für die Partei.
Unvereinbarkeitsbeschluss: Was macht DIE LINKE?
Zu vermuten ist, dass solchen Motiven der Beschluss entstammt, den die Mehrheit der anwesenden Fraktionsmitglieder der Linkspartei im Bundestag zum Verhalten gegenüber der israelischen Regierungspolitik gefasst hat. Dass er darauf angelegt wäre, nach wie vor in der Bevölkerung vorhandenen antisemitischen Gefühlen oder Weltbildern entgegenzuwirken, ist nicht zu sehen. Auch nicht, dass er geeignet wäre, zur Aufklärung über antisemitische Tendenzen in der Geschichte der Linken oder zur aktuellen Diskussion über Wege zum Frieden in Nahost beizutragen. Dieser Fraktionsbeschluss lässt den Wunsch ahnen, DIE LINKE machttaktisch zu »säubern«, »Unvereinbarkeiten« zu dekretieren. Mit dem Existenzrecht der Israelis und der Palästinenser hat ein solches Bedürfnis nichts zu tun, es ist an einem anderen politischen Ort angesiedelt.
Lehren aus der Geschichte
Würde sich DIE LINKE auf diese Weise »reinigen«, wäre ihre »Regierungsfähigkeit« dennoch höchst ungewiss. Ganz gewiss aber hätte sie ihre Oppositionsfähigkeit, ihre Chance als offene, sich selbstbestimmt entwickelnde Partei eingebüßt. Eine gesellschaftspolitisch alternative Kraft mit einem »Sauberkeits«-Zertifikat von Springer und Co. – das geht nicht. Vielmehr ist aus der langen Geschichte linker Parteien zu lernen, dass ungehemmte innerparteiliche Demokratie die Voraussetzung dafür ist, dass eine Partei sich nicht ihrer Substanz entledigt.
Schlagwörter: Arno Klönne, Demokratie, Geschichte, Grüne, Linke, Magazin, marx21, Opposition, Parteivorstand, SPD