Fast 30.000 Unterschriften in nur drei Wochen hat das Hamburger Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus gesammelt. Mit der Volksinitiative gegen den Pflegenotstand haben sie den Nerv der Hamburgerinnen und Hamburger getroffen. Wir sprachen mit Meike Saerbeck und Florian Stender über die Gründe für den Erfolg
Meike Saerbeck ist Krankenschwester in der privaten Asklepios Klinik St. Georg. Florian Stender arbeitet bei einer Krankenkasse. Beide sind aktiv im »Hamburger Bündnis für mehr Personal«
marx21: Meike, fast 30.000 Unterschriften für die Volksinitiative für mehr Personal und eine bessere Krankenhausfinanzierung in Hamburg in nur drei Wochen. Hattet ihr damit gerechnet, als ihr am 8. März mit der Unterschriftensammlung angefangen habt?
Meike: Diese massive Zustimmung hat uns schon überrascht. Wir waren aber immer zuversichtlich, dass wir es schaffen können und es hat sich gezeigt, dass dieses Thema wirklich viele Menschen bewegt. Vor den Unterschriftenlisten haben sich richtig Schlangen gebildet und jeden Tag kamen immer mehr Menschen mit ausgefüllten Listenstapeln in unserem Büro vorbei. Das war phantastisch. Die sind von sich aus losgegangen und haben massenhaft gesammelt. Wir haben so viele engagierte Menschen kennengelernt, die nun auch weiter aktiv für den Volksentscheid sind. Dieser enorme Zuspruch hat mich als Krankenpflegerin sehr berührt und mir viel Mut gemacht.
Wie sieht Euer Zeitplan aus, wann soll die Abstimmung stattfinden?
Florian: Es gibt da strenge Fristen. Wenn alles nach Plan läuft, kommt der Volksentscheid zur Hamburger Bürgerschaftswahl im Jahr 2020.
Warum wollt ihr überhaupt in Hamburg eine Volksinitiative? Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition wurde doch die Ausweitung der Personaluntergrenzen für alle bettenführenden Bereiche im Krankenhaus und die Finanzierung der Personalkosten außerhalb der DRG´s (Fallpauschalen) vereinbart. Das ist doch ein großer Erfolg.
Florian: Das sind zunächst mal Absichtserklärungen. An denen mangelte es auch in der Vergangenheit nicht. Sie sind auch völlig unzureichend, weil nicht am tatsächlichen Bedarf orientiert. Die katastrophalsten Personalsituationen, also die allerschlimmsten Fälle würden lediglich ganz leicht angehoben – auf ein immer noch sehr schlechtes Niveau. Dieses völlig unzureichende Niveau wäre dann der Richtwert. Als Erfolg würde so etwas nur die Groko feiern. Die Patientinnen und Patienten wären weiter gefährdet und die Pflegekräfte weiter unerträglich überlastet. Eine gute und schnelle Bundeslösung würden wir natürlich begrüßen und feiern – da packen wir unseren Kram sofort ein. Aber uns fehlt einfach das Vertrauen in Jens Spahn und die Groko. Allgemein haben wir auch nicht den Eindruck, dass die Ernsthaftigkeit der Situation dort wirklich gesehen wird. Die Volksinitiative ist also dringend notwendig – auch um Druck im Bund zu machen.
Was sind die Forderungen der Volksinitiative?
Meike: Wir fordern verbindliche und konsequente Personalvorgaben in den Krankenhäusern, die im Hamburgischen Krankenhausgesetz festgelegt werden sollen. Für Intensivstationen fordern wir feste Quoten, das heißt je nach Pflegebedarf betreut eine Pflegekraft maximal zwei Patienten und auf den IMC Stationen (Überwachungsstationen) maximal drei. Für alle anderen Stationen soll der Personalbedarf auf Grundlage der Pflege-Personal-Regelung (PPR) ermittelt werden. Für kurze Zeit gab es die schon in den 90ern, sie wurde dann aber im Zuge der stärkeren Wettbewerbsorientierung im Gesundheitswesen abgeschafft. Mit dieser Methode lässt sich der tatsächliche Personalbedarf anhand der Pflegebedürftigkeit der Patienten ermitteln. Außerdem fordern wir Personalvorgaben auch für andere Bereiche, wie den OP, die Anästhesie, den Kreißsaal und die Reinigung.
Mit welchen Gegenargumenten müsst ihr euch auseinandersetzen?
Florian: Die sind sehr dünn. Es wurde zunächst gern mit dem Steuerzahler argumentiert, der ja alles zahlen müsse. Wir haben darauf hingewiesen, dass es ja genau diese Steuerzahler sind, die stundenlang in ihren Ausscheidungen auf den Stationen liegen, weil kein Personal da ist. Nachdem sie die Bankenrettung und die Elbphilharmonie bezahlt haben, sollen sie nun ausgerechnet an ihrer eigenen Gesundheitsversorgung sparen wollen? Das ist bizarr. Seitdem wird lieber formaljuristisch argumentiert. Die Gesundheitssenatorin wird nicht müde zu betonen, dass sie unsere Initiative für verfassungswidrig hält. Wir halten das für unbegründet und konstruiert. Es ist der klar erkennbare Versuch, sich einer politischen Auseinandersetzung zu verweigern und sich auf eine formaljuristische Ebene zurückzuziehen. Das macht nur, wer um die Schwäche seiner Argumente weiß. Der Senat verzögert damit eine schnelle Hamburger Lösung und er tut es auf Kosten der Patienten und Pflegekräfte.
Meike: Wir geben aber nicht nach, sondern fordern den Hamburger Senat auf, jetzt nicht für Verzögerungen zu sorgen, sondern sofort zu handeln. Mit dem Zustandekommen der Volksinitiative hat der Senat jetzt die Möglichkeit, sich anzuschließen und das Gesetz sofort umzusetzen. Die Zustände erlauben es nicht, noch länger abzuwarten. Wir starten jetzt mit einer Postkartenaktion, mit der dann tausende Hamburgerinnen und Hamburger die Bürgerschaft auffordern können, sich der Initiative anzuschließen. Wenn die SPD jetzt nicht die Hinhaltetaktiken und Ausweichmanöver einstellt, steht sie am Ende als Bremser und Verhinderer da. Und als Verlierer.
Die SPD unter Martin Schulz hatte in den letzten Wahlkampfwochen auch auf das Thema Pflege gesetzt. Der neue Finanzminister von der SPD, Olaf Scholz, kommt aus Hamburg. Nach alledem müsste euch die Hamburger Lokalpolitik doch begeistert aufnehmen.
Meike: Das Gegenteil ist aber der Fall. Wir werden speziell aus der SPD hart bekämpft. Und zwar richtig aufwändig. Gleich nach unserer Übergabe der Unterschriften ist in der SPD hektische Betriebsamkeit ausgebrochen und sie hat eine Gegenveranstaltung im Rathaus organisiert. So beeindruckt war man von der massiven Zustimmung. Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks behauptete dort unter anderem, wir würden mit unserer Initiative Jens Spahn helfen – abenteuerlich. Und verzweifelt.
Florian: Und nicht nur die SPD, auch die Grünen greifen uns an. Anjes Tjarks soll auf einer Veranstaltung behauptet haben, wir wüssten selbst, dass das alles nichts wird und wollten nur Unruhe stiften. Offiziell heißt es von beiden Parteien immer, man teile unsere Ziele, nur unser Weg sei der Falsche. So redet man eben, wenn man auf der richtigen Seite stehen will aber nichts machen möchte. Mal sehen: Vielleicht bringt ja unser »falscher« Weg die Regierung auf den richtigen…
In der Bevölkerung ist die Initiative dagegen sehr schnell abgehoben wie eine Rakete. Die tolle Stimmung in der Stadt und in den Krankenhäusern gibt euch mächtig Rückenwind. Was ist so besonders in Hamburg, dass euch das so schnell und nachhaltig gelungen ist?
Meike: Wir haben in Hamburg einen Nerv getroffen. Das ist beim Sammeln ganz deutlich geworden. In Hamburg ist noch radikaler privatisiert worden, als anderswo. Und das sogar gegen den erklärten Willen der Bevölkerung, die sich ja in einem Volksentscheid schon 2004 gegen den Verkauf der Krankenhäuser ausgesprochen hat. Das wurde dann schlicht ignoriert. Die Hamburgerinnen und Hamburger haben das nicht vergessen und sind darüber immer noch wütend und enttäuscht. Das haben wir beim Sammeln oft gehört. Glücklicherweise ist die Volksgesetzgebung seitdem entscheidend gestärkt worden. Die Entscheide sind jetzt bindend. Und die Hamburger Bevölkerung sieht jetzt die Chance den Pflegenotstand in den Krankenhäusern zu beenden. Die Situation ist aber bundesweit entsetzlich und es gibt überall Initiativen und Bewegungen, die viel Zuspruch erhalten und stark wachsen. Eine sehr hoffnungsvolle Entwicklung.
Florian, du hast viele Unterschriften im Stadtteil gesammelt. Was war deine wichtigste Erfahrung dabei?
Florian: Ich lebe in Hamburg-Altona und habe versucht mein ganz direktes Wohnumfeld zu begeistern. Ich habe dabei ganz erstaunliche Erfahrungen gemacht. Entscheidend war, die Listen einfach überall auszulegen, in allen Geschäften, Cafés, Apotheken, Arztpraxen usw., und die Betreiber und Angestellten um Unterstützung beim Sammeln zu bitten. Ich habe diese »Sammelstellen« dann intensiv begleitet und war mindestens jeden zweiten Tag dort um Listen einzusammeln und zu motivieren. Es hat sich gezeigt, dass die Art des Geschäfts fast gar nichts über das soziale Engagement der dort Arbeitenden aussagt. Beispielsweise hat ein Wettbüro in meinem Viertel ganz sensationell gesammelt, während ein alternativer FairTrade-Laden direkt daneben eine absolute Niete war. Den habe ich dann in Ruhe gelassen und mich nach engagierteren Läden umgesehen. Beispielsweise ein winziges Geschäft mit zwei alten Damen, die Wolle verkaufen – die haben jeden Kunden angesprochen und einfach toll gesammelt. So ist ein sehr gut funktionierender Verteiler entstanden, der in drei Wochen 2500 Unterschriften zusammenbekommen hat.
Aber ist die Problematik nicht viel zu schwierig und komplex, um sie der Bevölkerung nahe zu bringen?
Florian: Überhaupt nicht. Das hat mich auch überrascht. Die entscheidende Aussage, dass die Versorgung sich an dem orientieren muss, was die Menschen brauchen und nicht an den Profiten von Privatunternehmen, wird von einer überwältigenden Mehrheit geteilt und auch so formuliert. Das berichten alle aktiven Unterschriftensammler aus sozial ganz verschiedenen Stadtteilen. Angesichts der Zustände, die die Profitorientierung verursacht, sind die Hamburgerinnen und Hamburger aller Schichten und jeden Alters regelrecht angewidert vom Neoliberalismus im Gesundheitswesen und stimmen ganz entschlossen einer im Grunde marxistischen Forderung zu: Bedarf statt Profit. Dieses Thema öffnet eine Perspektive für eine ganz andere gesellschaftliche Diskussion.
Habt ihr auch noch andere Organisationen und Initiativen für das Gesundheitsthema begeistern können?
Meike: Wir werden natürlich von linken Parteien und Organisationen unterstützt. Aber auch kirchliche Organisationen sind an Bord und eine große Hilfe. Außerdem Einwohnervereine, Sozial- Patienten- und Ärzteverbände, politische Gruppen wie zum Beispiel Stadtteil- oder Antifagruppen, Betriebsgruppen und Gewerkschaftsgliederungen. Ver.di Hamburg hat uns zum Erfolg gratuliert. Da hoffen wir auf noch mehr.
Wie habt ihr euch im Stadtteil verankert?
Florian: Es ist ja die ganz normale Bevölkerung, die uns trägt – in den Geschäften, Betrieben, in den Kneipen und Cafés, beim Arzt und in der Apotheke und allgemein auf der Straße ist der Pflegenotstand ein großes Thema geworden – und unsere Initiative wird überall unterstützt. Viele machen begeistert mit und organisieren sich sogar in ihren Vierteln.
Meike: Das freut uns besonders. Es sind schon in vier Stadtteilen lokale Bündnisse entstanden, in denen sich Anwohnerinnen und Organisationen, die in den Vierteln aktiv sind,
zusammengefunden haben. Das ist etwas Großartiges, wenn die Menschen in einem Viertel sich zu diesem Thema und rund um »ihr Stadtteilkrankenhaus« selbst organisieren. Auch eine Vernetzung mit den Kolleginnen aus den Kliniken findet dort statt, unsere ver.di-Betriebsgruppe wird jetzt aktiv in dem neu gegründeten »St. Georger Gesundheitsrat«, das ist für uns eine ganz neue und super motivierende Erfahrung.
Meike, in deiner Klinik, der Asklepios Klinik St. Georg habt ihr 2000 Unterschriften gesammelt. Wie erklärst du dir den besonderen Elan?
Meike: Die Initiative ist bei den Kolleginnen und Kollegen richtig gut angekommen. Viele von uns wollen das alles ja nicht länger hinnehmen und wollen sich wehren. Da ist es wichtig, dass wir auch im Betrieb Wege aufzeigen. Die Volksinitiative ist so ein Weg. Dort können die Kolleginnen sehr schnell und unkompliziert aktiv werden, indem sie einfach in ihrem eigenen privaten Netzwerk Unterschriften sammeln. Wir haben nicht nur Unterschriften von den Kolleginnen und Kollegen gesammelt, sondern sie motiviert, in ihrem persönlichen Umfeld das Thema anzusprechen und Unterschriften zu sammeln. In ihrer Familie, im Freundeskreis, in ihren Vereinen.
Waren das nur Einzelne, besonders Aktive, die gesammelt haben? Oder habt ihr auch ganze Teams von der Begeisterung anstecken können?
Meike: Beides. Es hat sich gezeigt, dass es Kolleginnen gibt, die ganz besonders aktiv geworden sind und richtig für die Sache Feuer gefangen haben. Die haben dann über ihr persönliches Netzwerk hunderte Unterschriften gesammelt. Die Kolleginnen haben die wichtige Erfahrung gemacht, dass Familie und Freunde – aber auch das erweiterte Umfeld, z.B. Nachbarn sie in der Sache unterstützen und auch anfangen zu sammeln. Das war wie ein Lauffeuer und diese Kolleginnen sind wichtige Multiplikatorinnen. Aber auch in vielen Teams ist eine Dynamik entstanden. Wenn etwa ein Kollege viele Unterschriften gesammelt hat, dann hat das andere angespornt, das auch zu schaffen und doch noch mal ein paar Listen mit zu nehmen. Einige kennen auch Menschen, die einen kleinen Laden betreiben und konnten da die Listen auslegen, oder sie haben Listen mit in ihre Sportkurse, in die Kirchengemeinde oder einfach zu einer Party mitgenommen. Die Kolleginnen und Kollegen haben angefangen Erfahrungen auszutauschen, und sich so gegenseitig inspiriert und motiviert.
Haben vor allem diejenigen gesammelt, die schon lange in ver.di aktiv sind, oder habt ihr auch Neue bewegen können?
Meike: Natürlich haben die aktiven ver.di-Kolleginnen viel gesammelt. Aber wir haben uns als Aktive auch gezielt vorgenommen, solche Kolleginnen und Kollegen anzusprechen und für die Sache zu gewinnen, die bisher noch nicht aktiv sind. Und das hat richtig gut geklappt. Ein besonders schönes Beispiel ist eine Kollegin, die an dem Tag, an dem wir mit der Volksinitiative gestartet sind, in die Gewerkschaft eingetreten ist und mit ihrer Familie zusammen dann 500 Unterschriften gesammelt hat.
Florian: Ich bin selbst ein Neuer und erst seit einigen Wochen dabei. Ich habe mich der Initiative erst kurz vor der Sammelphase angeschlossen. Ich arbeite bei einer Krankenkasse. Die Kassen sind ja so ziemlich die letzten von denen man entschlossenes Handeln für mehr Personal in den Krankenhäusern erwarten kann. Bei den Mitarbeitern sieht das aber ganz anders aus. Die fühlen sich als Teil der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Auch deshalb habe ich mich der Initiative angeschlossen. Ich habe das als »verbindende Klassenpolitik« interpretiert, wie sie Bernd Riexinger vorschlägt.
Auch in Berlin werden aktuell für einen solchen Volksentscheid Unterschriften gesammelt. Was ratet ihr aus eurer Erfahrung denjenigen, die in anderen Bundesländern darüber nachdenken, einen ähnlichen Schritt zu gehen, um Druck für mehr Personal zu machen?
Florian: (lacht) Darauf kann ich nur mit dem Slogan aus »Rocky V« antworten: Go for it!
Meike: Jede Initiative in die richtige Richtung ist gut. Es gibt ja auch betriebliche und tarifliche Kämpfe um mehr Personal – speziell dort wo ein Volksentscheid noch schwieriger zu erreichen ist, nämlich in den Flächenländern wie zum Beispiel NRW oder Baden-Württemberg. Insgesamt muss man von einer bundesweiten Bewegung sprechen, die immer noch wächst und sich verschiedener Methoden bedient, je nach Situation. Ein Volksentscheid in einem Flächenstaat wäre aber ein phantastisches Signal.
Florian: Da muss dann ganz stark die Vernetzung der Regionen und der betrieblichen Bewegungen, sozialen Initiativen, linken Parteien und Gewerkschaften vorangetrieben werden. Das Thema Gesundheitsversorgung ist überall in Deutschland so präsent, dass mir das auch gut realisierbar erscheint. In Zukunft müssen dann auch Themen wie Altenpflege integriert werden. Ich wünsche mir eine große Solidarisierung im gesamten Gesundheitswesen. Da geht was!
Das Interview führte Heinz Willemsen
Schlagwörter: DRG, Gewerkschaft, Hamburg, Krankenhaus, mehr Personal, Personalmangel, Pflege, Pflegenotstand, Ver.di, Volksentscheid