Die SPD ist mit ihrem neuen Kanzlerkandidaten Martin Schulz im Aufschwung. Schon mehren sich die Stimmen für eine Linksregierung nach der Bundestagswahl. Wie soll DIE LINKE reagieren? 7 Thesen von marx21 zur Debatte
1. Der Erfolg des neuen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz ist Teil der Gegenreaktion auf Trump und den Aufstieg der Rechten weltweit.
Die Wahl von Donald Trump hat die weltweite politische Polarisierung vorangetrieben. Wir erleben, wie mit dem Aufstieg neuer rechter Führungsfiguren und ihrer Parteien zugleich das Bedürfnis einer linken Antwort größer wird. Millionen Menschen wünschen sich ein Ende der neoliberalen Politik, der rassistischen Hetze und der imperialistischen Außenpolitik. In den USA erreichte die Kampagne von Bernie Sanders Millionen und machte ihn zum populärsten linken Präsidentschaftskandidaten der Nachkriegsgeschichte. Aber auch in vielen anderen Ländern gibt es dieses Phänomen. In England steht für die Wiederbelebung des Linksreformismus Jeremy Corbyn. In Frankreich hat überraschenderweise der Parteilinke Benoît Hamon die Stichwahl um die Präsidentschaftskandidatur der Sozialisten gewonnen. In Deutschland erleben wir nun, wie nach dem bedrohlichen Aufstieg der AfD auch in die deutsche Sozialdemokratie neue Bewegung kommt. Der Prozess der Wiederbelebung sozialdemokratischer Parteien, die wegen ihrer marktliberalen Ausrichtung in eine tiefe Krise stürzten, kann gelingen, weil sich in diesen Parteien vermeintlich linkere Führungsfiguren durchsetzten. So stellt sich auch Martin Schulz klar gegen rechts, fordert mehr soziale Gerechtigkeit und will die SPD an der Seite der Gewerkschaften für höhere Löhne für die »hart arbeitenden Menschen« positionieren.
2. Die linke Rhetorik von Schulz wird die grundsätzlich markt- und unternehmerfreundliche Politik der SPD nicht verändern.
Martin Schulz hat die Agenda 2010 nie kritisiert , CETA gegen den Widerstand der belgischen Wallonie durchgesetzt und mitgeholfen Griechenland die drakonischen Kürzungen aufzuzwingen. Die deutsche Sozialdemokratie und auch die Grünen teilen das Ziel der EU, sie zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Im Konkurrenzkampf mit den USA und China hat die EU Kürzungspakete und Lohn-und Sozialdumping vorangetrieben. In Deutschland haben SPD und Grüne diese Standortpolitik mit der Agenda 2010 im Interesse der deutschen Konzerne umgesetzt und halten im Kern daran fest. SPD und Grüne sind fest dem Kapital verpflichtet, aber sie unterscheiden sich in ihrer Methode, ihrer sozialen Basis und ihrer Rhetorik vom bürgerlichen Block Schwarz/Gelb. Die beiden Vorsitzenden der LINKEN, Bernd Riexinger und Katja Kipping, haben treffend erklärt: »Bisher ist Martin Schulz nicht als Kritiker der Agenda 2010 und der unsozialen EU-Politik aufgefallen. Die SPD und ihr Kanzlerkandidat müssen liefern, wir werden sie an ihren Taten messen. Sind sie wirklich bereit die Reichen zu besteuern, die solidarische Mitte zu stärken, Kinder- und Altersarmut wirksam zu bekämpfen, Rüstungsexporte zu beenden und eine Militarisierung Europas zu verhindern?«
3. Glaubwürdige Trump-Kritik heißt: US-Atomraketen aus Büchel abziehen, US Basis -Rammstein dicht machen, Bundeswehr abrüsten.
Mit Donald Trump steht ein Präsident an der Spitze der US-Army, der von der Atombombe sagt: »Wenn wir sie haben, warum setzen wir sie dann nicht ein?«. Martin Schulz setzt im Wahlkampf auf eine rhetorische Abgrenzung gegenüber Trump, doch die Bundesregierung treibt die Aufrüstung der Bundeswehr und die Militarisierung der EU voran. Ein erster, friedenspolitischer Schritt wäre der sofortige Abzug der US-Atomraketen aus Büchel und die Schließung der US-Drohnenbasis Rammstein. Martin Schulz schweigt zur Militarisierung der deutschen Außenpolitik und der Aufrüstung der NATO. DIE LINKE muss ihre Kritik an den Auslandseinsätzen und der Aufrüstung der Bundeswehr weiter deutlich machen – auch gegen die aktuellen US-Truppenverlagerungen nach Osteuropa sowie der Stationierung von 450 Bundeswehr-Soldaten in Litauen. Das Grundsatzprogramm der LINKEN gibt die richtige Antwort: »Die Bundeswehr muss aus allen Auslandseinsätzen zurückgeholt werden«. DIE LINKE hat mit dieser Forderung ein Alleinstellungsmerkmal und sollte dies im Wahlkampf zum Thema machen.
Zahlreiche SPD-Mitglieder haben gegen Trump protestiert, doch die Große Koalition und Hamburgs Bürgermeister Scholz (SPD) gehören zu den Gastgebern des G20-Gipfels, auf dem Trump am 7. Juli als Staatsgast empfangen werden soll. Gegen diese »Herren der Welt« werden viele Tausend auf die Straße gehen. DIE LINKE kann hier an vielen Orten in der Gegenmobilisierung zu Trump und Co eine vorwärtstreibende Rolle spielen und den Wahlkampf mit der Mobilisierung verbinden.
4. Dennoch mobilisiert Schulz Hoffnungen auf soziale Veränderungen, von denen sich DIE LINKE nicht abschneiden sollte. DIE LINKE muss im Wahlkampf ihre scharfe Kritik an der Politik der SPD mit politischen Angeboten an die Sozialdemokratie für eine gemeinsame Aktionseinheit auf der Straße verbinden.
Im Wahlkampf wird die soziale Frage eine wichtige Rolle spielen. DIE LINKE reagiert richtig, wenn sie die SPD scharf attackiert und aufzeigt, dass die Partei nicht glaubwürdig ist. Als sozialistische Partei hat DIE LINKE die Aufgabe die historische Erfahrung vom Verrat der Sozialdemokratie in die aktuelle Debatte einzubringen. Sie darf aber nicht nur abseits stehen und kritisieren, sondern muss selbst den gemeinsamen Kampf für soziale Gerechtigkeit und gegen Rassismus einfordern und organisieren. Beispiel höhere Löhne: Wir müssen einfordern, dass die SPD sich praktisch in den gemeinsamen Kampf um höhere Löhne einbringt. DIE LINKE sollte zugleich klarmachen, dass Lohndumping nur beendet werden kann, wenn das Hartz-IV System angegriffen wird, d.h. eine sanktionsfreie Mindestsicherung eingeführt, der Mindestlohn erhöht und Leiharbeit abgeschafft wird. Im gemeinsamen Kampf können sich sozialdemokratische Wählerinnen und Wähler selbst davon überzeugen, wer den Kampf entschlossen führt. Das gilt auch für den Kampf gegen rechts. Angesichts der Welle von Protesten gegen Trump ist es möglich und auch nötig, diese Stimmung in Deutschland zu nutzen und einen gemeinsamen, breiten und entschlossenen Widerstand gegen die AfD einzufordern. Wir müssen die Hoffnungen ernst nehmen, ohne die Illusionen zu stärken. So kann DIE LINKE in die sozialdemokratische Anhängerschaft ausgreifen.
5. Das Angebot auf Bundesebene »rot-rot-grüne Regierungsoptionen« zu diskutieren, ist vergiftet. Das Kalkül der SPD in den Gesprächsrunden zu R2G ist die Schwächung der LINKEN.
SPD und LINKE haben in den Fragen der Militarisierung, der Europapolitik und der Flüchtlingspolitik und der sogenannten »Inneren Sicherheit« sehr unterschiedliche Positionen. Während DIE LINKE die Asylrechtsverschärfungen abgelehnt hat, hat die Mehrheit der SPD-Abgeordneten zugestimmt – allerdings mit einer großen Anzahl von Nein-Sagern. Auch in der Frage der Sammelabschiebungen nach Afghanistan kommt die SPD stark unter Druck von Protesten und fängt an zu lavieren.
Die SPD hat schon länger beschlossen, Koalitionen mit der LINKEN nicht mehr auszuschließen. Sie hat aber auch sehr deutlich gemacht, dass sie von der LINKEN Zustimmung zur Nato, zu Militäreinsätzen und zur Europapolitik erwartet. Angesichts dessen sind die Einladungen zu informellen Treffen, um zukünftige rot-rot-grüne Regierungsoptionen auf Bundesebene zu diskutieren, ein vergiftetes Angebot. Durch die Treffen mit linken Abgeordneten kann sich die SPD linker geben, als sie ist und DIE LINKE wirkt weniger radikal in ihrer Kritik und wird geschwächt. Die SPD hält denjenigen in der LINKEN, die eine Regierungsbeteiligung wollen, die Karotte hin und befeuert den Realo-Flügel und den innerparteilichen Streit. So fand Dietmar Bartsch, Spitzenkandidat der LINKEN, dass »nicht alles an der Agenda 2010 schlecht« gewesen sei.
Das Weichspülen der Positionen der LINKEN und die Stärkung des Realoflügels sind aus Perspektive der SPD-Spitze wichtig, um einerseits DIE LINKE als Konkurrentin zu schwächen und andererseits, zukünftig rot-rote Regierungsoptionen im Bund zu ihren Bedingungen zu haben. Ein zentrales Motiv der SPD, die Linkspartei in die Regierung zu nehmen, ist die Einbindung der stärksten linken Oppositionspartei. Eine derartige Konstellation führe dazu, dass DIE LINKE »gemäßigter« auftrete, sagte der SPD-Vize und Vertreter des linken Flügels, Ralf Stegner. DIE LINKE darf ihre Kritik an der SPD nicht abmildern oder ihre eigenen Positionen abschwächen oder aufgeben.
6. Tolerierung einer Minderheitenregierung durch DIE LINKE ist keine Alternative zur Regierungsbeteiligung.
DIE LINKE sollte die Strategie der Tolerierung ablehnen. Erstens erfordert auch eine Minderheitenregierung die Zustimmung der LINKEN zu einem Haushalt, damit zu den Grundlinien der Politik und zum Beispiel dem Militärhaushalt. In Sachsen-Anhalt hat die PDS Kürzungen im Kitabereich im Magdeburger Modell zugestimmt und damit viel Kritik geerntet. An der Zustimmung der LINKEN zum Haushalt scheiterte auch die rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen. Zweitens hängt das Modell von der unwahrscheinlichen Bereitschaft von SPD und Grünen ab, sich im Bund in eine solche fragile Konstellation zu begeben.
Grundsätzlich steht einer Regierungsbeteiligung der kapitalistische Charakter des bürgerlichen Staatsapparates entgegen. Der Staatsapparat ist nicht demokratisch strukturiert, sondern wird von oben nach unten bestimmt. Von daher hat eine Regierung nur eingeschränkte Kontrolle über ihn. Zudem fehlt der Regierung die Kontrolle über die zentralen Konzerne und Banken. Dadurch ist sie erpressbar und letztlich relativ machtlos. Jede mitregierende linke Partei wird für die sozialen und politischen Angriffe des Kapitals mitverantwortlich gemacht und verliert dadurch an politischer Glaubwürdigkeit und Fähigkeit, Widerstand zu organisieren.
7. Im Wahlkampf wäre es falsch, eine Regierungsbeteiligung der LINKEN von vornherein auszuschließen. Doch es gibt Schlimmeres als Merkel – einen Verrat der LINKEN. Deshalb muss DIE LINKE politische und soziale Mindestbedingungen für eine Beteiligung an der Regierung stellen.
Viele Wählerinnen und Wähler erwarten von der LINKEN und einer rot-roten oder rot-rot-grünen Regierung, dass diese die drängenden Probleme angeht. Deshalb muss DIE LINKE im Wahlkampf, neben einer scharfen Kritik an der Politik der SPD, politische und soziale Mindestbedingungen für eine Beteiligung an der Regierung stellen. Die Orientierungspunkte stehen im Grundsatzprogramm von 2011: »An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Privatisierungen der Daseinsvorsorge oder Sozialabbau betreibt, deren Politik die Aufgabenerfüllung des Öffentlichen Diensts verschlechtert, werden wir uns nicht beteiligen.«
Dazu müssen aktuelle Forderungen kommen, wie beispielsweise die Reichensteuer, die Rücknahme von TTIP und CETA, der Kampf gegen Altersarmut, ein Ende der Erpressung der von der Krise besonders betroffenen EU-Länder und die Beendigung der Massensterbens im Mittelmeer durch die Öffnung der Fluchtrouten. Solche Mindestbedingungen sind unabdingbar, weil eine Beteiligung der LINKEN ohne Politikwechsel die Glaubwürdigkeit der Partei zunichte macht. DIE LINKE ist kein Korrektiv für andere, sondern eine eigenständige Oppositionspartei. Es führt in eine politische Sackgasse, sie zu einer Mehrheitsbeschafferin für Rot-Grün zu degradieren. Der Kampf um wirkliche Veränderung findet vor allem außerhalb der Parlamente statt. Statt auf eine Regierungsbeteiligung zu hoffen, sollte DIE LINKE sich mehr dafür einsetzen gesellschaftliche Gegenmacht aufzubauen. Veränderung beginnt mit Opposition.
Foto: campact
Schlagwörter: Agenda 2010, Bundestagswahl, Bundestagswahl 2017, Bundeswehr, DIE LINKE, EU, Große Koalition, Haltelinien, Hartz-IV, Kanzler, Koalition, Martin Schulz, Merkel, R2G, Regierungsbeteiligung, Rot-Rot-Grün, Schulz, SPD, Trump