Wer sich für die spanische Linke jenseits von Podemos und 15M interessiert, wird in Nikolai Hukes Buch fündig. Doch für Einsteigerinnen und Einsteiger ist es eher nicht zu empfehlen. Von Rebecca Offermann
Platzbesetzungen von tausenden Menschen, eine kometenhaft aufsteigende Linkspartei: Im Jahr 2011 machte erst die spanische Bewegung 15M Schlagzeilen, dann die Partei Podemos mit ihrem Einzug in das Europaparlament 2014. Doch was geschah eigentlich in den Jahren dazwischen?
Das vor kurzem erschienene Buch von Nikolai Huke gibt einen detaillierten Überblick über jene Kämpfe, die bis 2016 im Zusammenhang mit Sparpolitik und Repräsentationskrise des politischen Systems in Spanien stattfanden. Der Autor beleuchtet dabei gleichberechtigt die verschiedenen Widerstände und zeichnet so ein umfassendes Bild jenseits der medialen Schwerpunktsetzung. Zwar geht er auch auf die bekannten Phänomene 15M und Podemos ein, doch er widmet anderen linken Akteuren ebenso viel Platz – etwa den oft von Migrantinnen angeführten Proteste der Plattform von Hypotheken Betroffener gegen Zwangsräumungen oder jenen Arbeitskämpfen im Gesundheits- und Bildungsbereich, die von Nutzerinnen, Nutzern und Beschäftigten ohne Unterstützung der Gewerkschaften ausgefochten wurden.
Parteien als Sprachrohr sozialer Bewegungen
Im letzten Teil des Buches werden verschiedene linke Parteien und Wahlinitiativen vorgestellt, die ihre politische Arbeit mehr oder weniger auf das Parlament beschränken. Zu nennen ist hier die traditionelle Linkspartei IU (Vereinigte Linke), die es nicht geschafft hat, der gesellschaftlichen Unzufriedenheit ein Gesicht zu geben. Des Weiteren stellt Huke die katalanische basisdemokratische Partei CUP vor, die am ehesten ein Sprachrohr sozialer Bewegungen im Parlament ist. Auch Wahlplattformen wie Guanyem Barcelona (Wir gewinnen Barcelona) und Ganemos Madrid (Wir gewinnen Madrid) behandelt er. Diese haben sich zu den Kommunalwahlen des Jahres 2015 gegründet und stellen nun in beiden Großstädten die Bürgermeisterinnen.
Leserinnen und Lesern mit wenig Vorwissen über die spanischen Verhältnisse wird es teilweise schwerfallen, das Gelesene einzuordnen. Denn es gibt keine Einleitung zum Verlauf der ersten Jahre der Krise, zur Vorgeschichte des 15M und auch nur wenig Kontextinformationen.
Ein Ende der Sparpolitik in Spanien
Die Bewegung 15M verband ihre Kritik am politischen Establishment mit der Forderung nach einem Ende der Sparpolitik. Diese soziale Ausrichtung geht bei Huke etwas verloren, da er sich sehr auf die basisdemokratische Funktionsweise der Bewegung konzentriert. Interessant wäre auch eine genauere Analyse gewesen, warum Bewegungen wie der 15M politisch wenig erreicht haben. Eine mögliche Erklärung ist, dass soziale Bewegungen und Organisationen in Zeiten von Sparpolitik und wirtschaftlicher Stagnation kompromisslosen Staatsapparaten gegenüberstehen. Massenmobilisierungen auf der Straße werden ausgesessen, es fehlt ihnen an wirkmächtigen Druckmitteln.
Zu schlussfolgern, dass Menschen aufgrund des Scheiterns außerparlamentarischer Bewegungen für parteipolitische Projekte offen sind, liegt da nahe. Doch es bleibt offen, warum nicht auch über die Machtübernahme in der ökonomischen Sphäre diskutiert wird. So thematisiert Huke die Rolle der großen Gewerkschaften CCOO und UGT nur am Rande. Die Wiederbelebung von Basisgewerkschaften wie der andalusischen SAT oder die »Märsche für die Würde«, die durch ländliche Gebiete bis nach Madrid gingen, um gegen die Arbeitsmarktreform und die Sparpolitik zu protestieren, waren auch Teil der Protestbewegungen der vergangenen Jahre. Sie bleiben leider weitestgehend unberücksichtigt.
Ziel von Hukes Buchs ist es, aus dem erfolgreichen Scheitern der spanischen Bewegungen zu lernen und Rückschlüsse auf die eigene politische Praxis zu ziehen. Wie diese aussehen kann, muss der Leser oder die Leserin allerdings alleine entscheiden.
Das Buch: Nikolai Huke, Krisenproteste in Spanien. Zwischen Selbstorganisation und Überfall auf die Institutionen, Edition Assemblage, Münster 2016, 175 Seiten, 14,80 Euro
Foto: petra_aurora
Schlagwörter: 15M, Austerität, Buch, Bücher, Krise, Podemos, Proteste, Rezension, Spanien