Lösung der Wirtschaftskrise, soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz – das alles soll der »Green New Deal« leisten. Aber können die Konzepte halten, was sie versprechen? Christian Zeller über die Vorstellung, dass der Kapitalismus grün wird
Seit den späten 1980er Jahren haben verschiedene Kräfte in Deutschland Vorstellungen einer sozial-ökologischen Reformpolitik mit dem Begriff des Green New Deals zusammengefasst. Sozial-ökologische Strömungen in der SPD und in den Grünen wollten eine Umverteilungspolitik und eine Ökologisierung der Wirtschaft miteinander verbinden. Im Vorfeld der Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 nahm die Diskussion Fahrt auf. Grüne Parteien in Europa nahmen den Begriff Green New Deal in ihre Programme auf. Sie meinten damit eine ökologisch verträgliche Modernisierung des Kapitalismus (Lies hier den marx21-Artikel: »Was war der »New Deal«?«).
Green New Deal überall?
In Großbritannien veröffentlichte die Green New Deal Group um die grüne Abgeordnete Caroline Lucas und die Ökonomin Ann Pettifor 2008 einen Plan, um die Finanz-, Klima- und Energiekrise gleichermaßen zu bekämpfen. Auch das United Nations Environment Programm (UNEP) machte sich zur Fürsprecherin einer grünen Ökonomie und plädierte dafür, dass ein Green New Deal eines globalen Programms bedarf.
Die Vorschläge von Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez in den USA sowie von Jeremy Corbyn in seinem Wahlprogramm 2019 in Großbritannien verliehen den Debatten über einen Green New Deal neuen Schwung und strahlten auch international aus. Naomi Klein hat mit ihrem in mehrere Sprachen übersetzten Buch den Green New Deal international popularisiert. DIE LINKE beschloss ebenfalls einen umfassenden Aktionsplan für Klimagerechtigkeit, der auch einen Investitionspakt im Rahmen eines Green New Deals fordert.
Herausforderungen für den Green New Deal
Jeder Green New Deal, der die kapitalistische Produktionsweise mit einer ökologisch verträglichen gesellschaftlichen Entwicklung versöhnen will, steht vor zwei grundlegenden Herausforderungen. Erstens stellt sich die Frage, ob die neuen »grünen« Sektoren der Wirtschaft eine Profitrate ermöglichen, die so hoch ist, dass Kapital in genügendem Maße in die ökologisch verträglichen Bereiche der Wirtschaft fließt, und gleichzeitig die gesamtgesellschaftliche Nachfrage so hoch ist, dass der erzeugte Mehrwert realisiert werden kann. Beide Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Unternehmen weiterhin investieren. Zweitens stellt sich die Frage, ob ein Green New Deal überhaupt das Ziel einer klimaneutralen Gesellschaft bis zur Mitte des Jahrhunderts erreichen kann.
Zwei Gruppen des Green New Deal
Trotz aller Vielfalt der GND-Programme lassen sie sich in zwei Gruppen einteilen: die Modernisierung und die sozial-ökologische Reformierung des Kapitalismus. Die zweite Gruppe enthält auch Vorschläge, die den GND als Einstieg in eine, allerdings nicht näher bestimmte, weitergehende sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft konzipieren. Alle Modelle verbleiben im Rahmen der kapitalistischen Eigentumsordnung, Akkumulationslogik und Konkurrenz. Auch die stärker reformorientierten und eher wachstumskritischen GND-Modelle akzeptieren den Rahmen und die Zwänge der kapitalistischen Gesellschaft.
»Grüne« Modernisierung des Kapitalismus
Der von der EU Kommission eingebrachte European Green Deal und Jeremy Rifkins Global Green New Deal zielen auf eine »grüne« Modernisierung des Kapitalismus. Beide Modernisierungsvorstellungen gehen davon aus, dass es weder grundsätzliche gesellschaftliche und ökonomische Widersprüche noch einen Widerspruch zwischen der kapitalistischen Produktionsweise und den Wirkungsmechanismen des Erdsystems und der Ökosysteme gibt. Demzufolge sei es möglich, das wirtschaftliche Wachstum vom Energie- und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln, also die Kapitalakkumulation voranzutreiben und gleichzeitig den Energie- und Ressourcenverbrauch zu senken. Die auf eine sozial-ökologische Reform zielenden GND-Varianten, wie sie beispielsweise von Bernd Riexinger im Buch »Plädoyer für einen linken Green New Deal« vorgestellt werden, orientieren sich mehr oder weniger deutlich am historischen Vorbild des New Deal der Roosevelt-Ära.
Dekarbonisierung der Wirtschaft
Allen GND-Vorschlägen gemein ist eine konsequente Dekarbonisierung der Wirtschaft bis spätestens 2050. Alle wollen die öffentlichen Investitionen zur Förderung grüner Wirtschaftssektoren massiv steigern. Bezüglich der Finanzierung der Programme legen die Autor:innen die Schwerpunkte unterschiedlich. Das Spektrum reicht von einer Erhöhung der Steuern für Vermögende sowie auf hohe Einkommen und Unternehmensgewinne, über grüne Anleihen, Eurobonds durch die Europäische Zentralbank, Kreditschöpfung durch Zentralbanken und Geschäftsbanken, Kreditfinanzierung durch Geschäftsbanken, Nutzung der Profitrücklagen von Unternehmen, Einsparungen bei den Rüstungsausgaben bis hin zur Streichung der Subventionen für fossile Energieträger.
Grüne Konzerne sollen mehr Geld kriegen
Dass das politische Kräfteverhältnis massiv zu verändern ist, darüber sind sich die Fürsprecher:innen der sozial-ökologische Reformprogramme im Klaren. Sie alle sehen ihre GND-Vorschläge explizit als Instrument zur Mobilisierung sozialer Bewegungen und der Gewerkschaften. Die sozial-ökologischen Green New Deals gehen von der Prämisse aus, dass sich unter kapitalistischen Bedingungen zugleich Vollbeschäftigung, grünes Wachstum und Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2050 erreichen lassen. Hierfür müsste den großen Konzernen insgesamt eine befriedigende Profitabilität bei einer genügenden Nachfrage zugestanden werden, sodass sie weiterhin investieren und eine erweiterte Reproduktion sichergestellt ist. Diese Ausrichtung müsste für Jahrzehnte stabil sein, um ein neues Wachstumsmodell zu ermöglichen.
Das grundlegende Dilemma
Jeder GND steht in diesem Kontext vor einem grundlegenden Dilemma. Um die Flucht in profitable Direkt- und Portfolioinvestitionen zu vermeiden, die weder ökologisch noch sozial sind, müssten die Profite aus Investitionen in heimische grüne Anlagen höher sein. Die Profitabilität in den Bereichen der erneuerbaren Energien und der auf große Energiespeicher angewiesenen Unternehmen hängt aber auch davon ab, inwiefern es gelingt, zum einen die Löhne niedrig zu halten und zum andern die Preise der Rohstoffe zu senken, das heißt, hierarchische imperialistische Beziehungen aufrechtzuerhalten. Das widerspräche allerdings jeder weltweit solidarischen Perspektive.
Alle GND-Vorschläge behinhalten Aspekte eines »Klima-Imperialismus«
Gerade darum ist es bedenklich, dass keine der GND-Varianten eine grundsätzliche Kritik an der Orientierung der Konzerne und nationalen Regierungen auf internationale Wettbewerbsfähigkeit übt. Auch Riexinger stellt sich dem deutschen Exportmodell höchstens zaghaft entgegen. Die meisten Vorschläge für einen GND vermeiden eine klare Positionierung zugunsten der Verpflichtungen gegenüber den abhängigen und armen Ländern. Das schlösse eine deutlich überproportionale Verminderung der Treibhausgasemissionen in den reicheren Industrieländern ein. Auch die Forderung nach einer Abschaffung des Handels von Emissionszertifikaten ist zwar im besten Falle formuliert, bleibt jedoch unklar. Letztlich beinhalten alle GND-Vorschläge, obgleich in unterschiedlichem Maße, Aspekte eines »Klima-Imperialismus«.
Der Spielraum für sozial-ökologische Reformpolitik wird enger
Zudem: Die gegenwärtige Krise treibt die Verschuldung der öffentlichen Haushalte, der Unternehmen und der Individuen massiv in die Höhe. Die Zunahme der Staatsverschuldung im Zuge der Krise ab 2007 und ihrer nachfolgenden »Sanierung« lässt erwarten, dass die Regierungen erneut zu einer harten Austeritätspolitik übergehen werden, sobald sie die Pandemie wieder einigermaßen im Griff haben. Das wird den Spielraum für sozial-ökologische Reformpolitik deutlich einschränken. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist nicht zu erwarten, dass sich das Kapital auf einen GND einlassen wird, der auf Vollbeschäftigung und ökologischen Umbau zielt.
Den Ökologische Anforderungen ungenügend
Die diskutierten Green New Deals geraten nicht nur in Widerspruch zu zentralen wirtschaftlichen Gegebenheiten. Sie genügen auch den ökologischen Anforderungen nicht. Erstens orientieren sich alle seit 2019 vorgelegten GND-Varianten am Ziel, die Erderhitzung gegenüber der vorindustriellen Zeit auf 1,5° C zu begrenzen. Doch die Vorschläge vermeiden es, die Rahmenbedingungen für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels klar zu benennen. Sie schließen weder den Einsatz von Kernenergie oder Geoengineering aus noch von zweifelhaften Emissionstechnologien, etwa Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung. Letztere Technologien sind unausgereift und mit großen Risiken behaftet. Das gilt noch stärker für Geoengineering. Würde man das für Mensch und Natur sinnvollste erste Szenario im sogenannten 1,5°C-Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC 2018) zum Ausgangspunkt für eine Strategie nehmen, allerdings unter Ausschluss zusätzlicher Kernenergie und mit Berücksichtigung der historischen Schuld der frühindustrialisierten und imperialistischen Länder, müssten die Treibhausgasemissionen in eben diesen Ländern bis zum Jahr 2030 um schätzungsweise 80 Prozent reduziert werden.
Energieverbrauch verringern
Zweitens vermeiden es die GND-Vorschläge, klar zu benennen, dass es notwendig ist, den Energieverbrauch, die materielle Produktion und den Transportumfang wesentlich zu verringern. Insofern unterscheiden sich die Fürsprecher:innen eines GND nicht grundsätzlich von den Anhänger:innen eines grünen Kapitalismus, die betonen, dass es gelungen sei, die sogenannte Ressourcen- und Energieeffizienz zu steigern. Das trifft relativ zu. Es gibt eine relative Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch. Wir brauchen jedoch eine absolute Entkoppelung, im globalen Maßstab.
Industrieller Umbau- und Rückbau
Keiner der diskutierten Vorschläge für einen Green New Deal sieht einen umfassenden industriellen Umbau- oder gar Rückbau vor. Außer der EU verlangen alle Autor:innen zwar eine Reduktion der Rüstungsausgaben. Doch die Forderung nach einem radikalen Rückbau der Rüstungsindustrie fehlt ebenso wie Vorschläge für eine umfassende Konversion und schließlich Rückbau der Automobilindustrie. Auch wird keine grundsätzliche Kritik an der Offensive der Automobilindustrie für Elektroautos geäußert. Lediglich Riexinger erkennt die Notwendigkeit der industriellen Konversion, inklusive der Automobilindustrie, und formuliert Vorschläge, wie dieses Anliegen gesellschaftlich verankert werden kann.
Verlust der Biodiversität
Drittens verengen fast alle GND-Vorschläge die Umweltzerstörung auf den Klimawandel und nennen allenfalls noch den Verlust der Biodiversität. Das Artensterben, der aus dem Ruder gelaufene Stickstoffkreislauf und die rasante Zerstörung fruchtbaren Bodens zeigen allerdings, dass die Menschheit mehrere planetare Grenzen bereits durchbrochen hat. Die Erkenntnisse der Erdsystemforschung weisen darauf hin, dass der gesamte gesellschaftliche Stoffwechsel mit der Natur derart gestört ist, dass nur ein rascher und kompletter industrieller Um- und Rückbau die Aussicht zulässt, die Erde lebensfreundlich zu erhalten. Demzufolge zieht sich die Anforderung, den gesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur auf rationale Weise zu organisieren, durch alle gesellschaftlichen Bereiche, also namentlich die Produktion, Reproduktion und Zirkulation, hindurch.
Sozial-ökologische Ausrichtung des Kapitalismus ist unrealistisch
Die gegenwärtigen Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise sind so groß, dass eine nachhaltige sozial-ökologische Ausrichtung des Kapitalismus unrealistisch ist. Alle GND-Vorschläge, obgleich in unterschiedlichem Maße, sehen ausdrücklich eine weitere Steigerung der Kapitalakkumulation und des Wirtschaftswachstums vor, alle entwickeln ihre Vorschläge im Rahmen der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des »heimischen« Kapitals und berücksichtigen die historischen ökologischen Verbrechen der imperialistischen Länder nicht, welche im Zuge ihres Wachstums und ihrer Expansion stattfanden. Fazit: Alle Vorschläge für Green New Deals, auch die radikaleren, wie jener von Bernd Riexinger, sind ökonomisch widersinnig und ökologisch ungenügend, also unrealistisch.
Green New Deal und eine antikapitalistische Perspektive
Sollten Linke dem »Green New Deal« nun den Rücken kehren? Nein, Sozialist:innen sollten sich aktiv mit eigenen Vorschlägen in die Debatte einmischen, Proteste mit aufbauen und sich dabei für eine antikapitalistische Perspektiv stark machen. Gerade aus politischen Erwägungen sind die Auseinandersetzungen über Green New Deals, trotz ihrer inneren Widersprüchlichkeit und unzureichenden Programmatik, auch unter dem Gesichtspunkt des Potenzials zur Veränderung der Kräfteverhältnisse zu beurteilen. Besonders die Fürsprecher:innen eines radikalen und linken GND wollen zu einem strategischen Bündnis von Teilen der Gewerkschaften, der Klimabewegung, der feministischen Bewegung, städtischen Initiativen für eine Verkehrswende, ländlichen Kooperativen für eine biologische Landwirtschaft und dem antirassistischen Widerstand anregen. Das Anliegen, Einstiegsprojekte in einen sozial-ökologischen Systemwechsel zu entwickeln, ist wichtig und richtig. In den USA zeigte sich, dass die Debatten über einen GND dazu beigetragen haben, eine gesellschaftliche Diskussion über alternative gesellschaftliche Entwicklungen zu initiieren, weil sie Teil der Mobilisierung hunderttausender Menschen auf den Straßen war. Es gilt also die Vorschläge für einen GND auch daran zu messen, inwiefern sie dazu beitragen, die Mobilisierungsfähigkeit der Lohnabhängigen und ihrer Gewerkschaften, der Klimabewegung und anderer fortschrittlicher sozialer oder politischer Bewegungen zu stärken und den Kampf um Reformen im Hier und Jetzt zu befeuern.
Das Ökosysteme der Erde braucht Sozialismus
Eine ökosozialistische Perspektive teilt viele Einzelforderungen der radikalen und linken Varianten eines GND, betrachtet diese allerdings als Teil einer Strategie des antikapitalistischen Bruchs. Hierbei steht die Klimabewegung vor Herausforderungen, die die Fürsprecher:innen eines GND noch nicht ansprechen: Die demokratische gesellschaftliche Aneignung der Produktionsmittel, der Aufbau von unabhängigen demokratischen Strukturen, die eine gesellschaftliche Gegenmacht zum Ausdruck bringen können, und schließlich die Infragestellung der Macht des Kapitals überhaupt. Die Zwänge der kapitalistischen Produktionsweise haben die Ökosysteme der Erde so stark verändert, dass mit dem Anthropozän eine existenzielle Krise des gesamten Erdsystems entstanden ist.
Dabei geht es um mehr als die Anhäufung verschiedener ökologischer Probleme. Die drohenden Kipppunkte im Klima- und Erdsystem bedeuten, dass kleine weitere Veränderungen zu weitreichenden unumkehrbaren Umbrüchen der Umweltbedingungen führen werden, die das Überleben von Millionen von Menschen unmittelbar gefährden. Im Zeitalter des Anthropozäns ist der Weg der allmählichen sozial-ökologischen Reformen unrealistisch. Realistisch ist vielmehr die revolutionäre ökosozialistische Perspektive, die mit dem Aufbau gesellschaftlicher Gegenmacht beginnt.
Bild: Dan Meyers / Unsplash
Schlagwörter: Klima, Klimakrise