Die Regierungen der Industrieländer werden nichts dafür tun, die drohende Klimakatastrophe abzuwenden. Aufhalten kann sie nur eine breite Bewegung von unten. Jonathan Neale erklärt anlässlich des Weltklimagipfels in Paris, warum sich gerade Gewerkschaften jetzt für den Klimaschutz einsetzen müssen
marx21.de: Schon beim diesjährigen G7-Gipfel in Elmau war ein angebliches Hauptziel der Klimaschutz. Die beteiligten Regierungen beschlossen, die weltweiten Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 um 70 Prozent zu reduzieren. Bis zum Jahr 2100 soll die Weltwirtschaft überhaupt kein Kohlenstoffdioxid (CO2) mehr erzeugen. Damit zeigten sich Greenpeace und Germanwatch zufrieden. Bist du auch zufrieden?
Jonathan Neale: Nein, überhaupt nicht.
Warum nicht?
Wenn ich verspreche, dass zu irgendeinem Zeitpunkt in der fernen Zukunft irgendwelche anderen Menschen etwas tun werden, dann kostet mich das gar nichts. Die G7 haben nicht gesagt, dass sie aufhören werden, fossile Brennstoffe zu verbrennen. Aber gerade das müssten sie sagen – und tun.
Vom Weltklimagipfel in Paris erwarten die Regierungen der G7 nun ein Protokoll, das den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur auf zwei Grad Celsius begrenzt. Hältst du das für glaubwürdig?
Nein, weil es kein Protokoll geben wird, das die Menge der Emissionen beschränkt. Ich glaube, die Vereinbarung von Paris wird bedeuten, dass die globalen CO2-Emissionen im kommenden Jahr höher sein werden als in diesem Jahr. Und im Jahr darauf werden sie noch höher sein. Und im Jahr 2030 werden sie höher sein als im Jahr 2029. Das wissen wir, weil die Vereinigten Staaten und China schon im Frühjahr eine Vereinbarung über ihre Emissionen unterschrieben haben.
Wenn wir die CO2-Emissionen der USA und Chinas zusammenzählen, kommen wir auf fast die Hälfte der weltweiten Emissionen. Und ihre Vereinbarung besagt, dass diese bis ins Jahr 2030 weiter wachsen werden. Erst dann, so versprechen sie, sollen sie wieder sinken, so dass die Emissionen der USA und Chinas 2040 oder 2045 wieder zurück auf dem heutigen Niveau sein sollen – was bereits viel zu hoch ist.
Sie lügen und verbergen es mit dem Trick, dass sie eine Zieltemperatur formulieren, anstatt zu sagen: »Wir werden die CO2-Emissionen verringern. Wir werden die Emissionen anderer Treibhausgase auch verringern. Und wir werden sofort damit anfangen.«
Was würde es denn überhaupt für die Erde und ihre Bewohner bedeuten, wenn die weltweite Durchschnittstemperatur um zwei Grad ansteigt?
Das weiß niemand genau. Aber wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir wohl irgendwann mit einer Reihe von Rückkopplungen konfrontiert werden, die den Klimawandel beschleunigen. Und wenn der Klimawandel außer Kontrolle gerät, wird das innerhalb des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems geschehen, in dem wir jetzt leben – das ist der Kapitalismus. In diesem System werden Naturkatastrophen zu menschlichen Katastrophen.
Beispielsweise wird in vielen Teilen der Erde der Regen ausbleiben, während es in anderen zu viel und zur falschen Zeit regnen wird, so dass die Bauern das Wasser nicht nutzen können. Es wird dazu führen, dass es überall weniger Nahrungsmittel geben wird und sie teurer sein werden, während in einigen Gebieten Hunger herrschen wird.
Ein anderes Beispiel: Wir haben jetzt schon Klimaflüchtlinge. Aber in Zukunft könnte es Hunderte Millionen von Klimaflüchtlingen geben. An den Grenzen oder auf dem Meer durch die Marine wird man sie aufhalten – und man wird sie töten, wenn sie versuchen, über die Grenzen zu gelangen.
Auch die Unterdrückung innerhalb der Staaten wird zunehmen. Wenn man sich vorstellt, dass große Teile von New York oder Shanghai unter Wasser stehen, werden die Menschen sehr wütend sein. Die Mächtigen werden sich von der Armee verteidigen lassen, mit Panzern auf der Straße. Sie werden sehr grün klingen: »Wir haben die Erde missbraucht. Wir haben zu viele Ressourcen verbraucht. Wir müssen alle Opfer bringen.« Aber damit meinen sie, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Opfer bringen muss und nicht sie selbst.
Ein Paris-Protokoll wäre ja nicht das erste Dokument zum Klimaschutz. Woran sind vergleichbare Vereinbarungen seit dem Kyoto-Protokoll gescheitert?
Im Jahr 2009 fand ein Klimagipfel der UN in Kopenhagen statt. Am letzten Tag flog US-Präsident Barack Obama ein und traf sich mit Chinas Präsidenten. Sie verfassten eine dreiseitige Vereinbarung, die das Kyoto-Protokoll ersetzen sollte. Dann trafen sie sich mit den Regierungschefs von Südafrika, Indien und Brasilien. Und diese fünf Männer unterzeichneten eine Vereinbarung, die besagte, dass jedes Land so viel emittieren dürfe, wie es wolle. Alle anderen Länder außer Bolivien stimmten ihr zu.
Aber das war kein Scheitern – es war genau das, was diese Regierungen wollten. Sie verhinderten absichtlich das Zustandekommen einer Vereinbarung zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen.
Zunächst wollten Obama und viele andere zwar ein Folgeabkommen nach Kyoto, aber im Jahr 2009 änderten sie ihre Meinung. Ich glaube, der Grund für ihren Sinneswandel war die Finanzkrise von 2008. Nach ihrem Ausbruch war die Konkurrenz zwischen den Ländern, die Konkurrenz zwischen den Konzernen einfach zu groß. General Motors, seit 40 Jahren der größte Industriekonzern der Welt, ging Pleite. Ganze Länder standen vor dem Bankrott. In dieser Situation wollte niemand Geld für Klimaschutz ausgeben, aus Furcht, im globalen Wettbewerb ins Hintertreffen zu geraten.
Was wäre für einen effektiven Klimaschutz nötig?
Das ist sehr einfach. Wir hören auf, Kohle, Öl und Gas zu benutzen. In einem Land nach dem anderen fangen wir an und treffen darüber Vereinbarungen zwischen den Ländern. Das wird etwa 20 Jahre dauern. Dafür müssen wir zwei Sachen tun: Erstens müssen wir die Energiequellen wechseln. Zweitens müssen wir effizienter werden.
Die wichtigste Maßnahme ist, von Privatautos auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen. Und wir können alle Gebäude dämmen und renovieren, so dass sie viel weniger Energie verbrauchen. Gleichzeitig müssen wir die Verwendung von fossilen Brennstoffen mit wenigen Ausnahmen verbieten. So können wir die Emissionen um 90 bis 95 Prozent verringern.
Schätzungsweise braucht es weltweit 20 Jahre lang die Arbeitskraft von rund 150 Millionen Menschen, um die nötigen Umbaumaßnahmen durchzuführen
Aber die Regierungen müssen die Menschen für diese Jobs jetzt einstellen. Und sie müssen jetzt damit anfangen, die Verwendung von fossilen Brennstoffen zu reduzieren, und sie dann verbieten. Sie müssen es wollen – obwohl es das Ende der Konzerne bedeutet, die fossile Brennstoffe fördern und mit ihnen handeln.
Und wie können wir das erreichen?
Das ist leicht und schwer zugleich: Wir bauen eine Bewegung auf, die groß, stark und breit genug ist, die Regierungen dazu zu zwingen oder sie durch andere Parteien, andere Systeme zu ersetzen, falls sie sich weigern. Wir brauchen dazu eine Bewegung vom Ausmaß der antikolonialen Befreiungsbewegungen oder der Gewerkschaftsbewegung in Europa auf ihrem Höhepunkt.
Das ist absolut möglich, aber es ist nicht leicht. Wir leben in einer Zeit, in der die meisten Menschen glauben, man könne die Welt nicht verändern. Das ist der große Triumph des Neoliberalismus, dass die Herrschenden uns glauben gemacht haben, wir seien hilflos. Aber wenn wir aufhören, hilflos zu sein, können wir es schaffen.
Im Vorfeld des Weltklimagipfels hat auf Einladung des internationalen Gewerkschaftsbunds ein Klimagipfel für Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter stattgefunden. Warum sollten ausgerechnet sie sich für den Klimawandel interessieren?
Zuallererst weil Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter Menschen sind. Der Klimawandel hat lebenswichtige Auswirkungen auf alle Lebensformen auf der Erde, auch auf die Menschen. Gewerkschaften wurden ursprünglich von Menschen aufgebaut, denen die Zukunft der Erde am Herzen lag. Sie haben sie nicht gegründet, weil sie dachten, dass sie eine Lohnerhöhung von sieben Prozent brauchen, sondern weil sie glaubten, dass eine andere Welt möglich sei: Sie sahen die Gewerkschaftsbewegung als Teil des Kampfs für ein ganz anderes Gesellschaftssystem. Einige waren Kommunistinnen, einige waren Sozialdemokraten, einige waren Anarchistinnen, aber sie glaubten an eine Alternative.
Die Gewerkschaften sind entscheidend für einen erfolgreichen Kampf gegen den Klimawandel. Denn die Umweltbewegung besteht heute hauptsächlich aus wohlhabenden Weißen, die im globalen Norden wohnen. Sie ist vielleicht stark genug, um die Wale zu retten, aber sie ist nicht stark genug, um den Klimawandel zu stoppen. Wir brauchen eine viel größere Bewegung und die Gewerkschaften sind die größten sozialen Bewegungen, die wir haben.
Wie können Gewerkschaften das Thema Klimaschutz angehen?
Umweltschützerinnen und Umweltschützer haben oft nicht die richtige Herangehensweise im Kampf gegen den Klimawandel. Bislang haben die meisten von ihnen behauptet, dass wir ihn dadurch aufhalten können, dass wir Opfer bringen. Aber das stimmt nicht. Wir müssen die Emissionen um mehr als 90 Prozent verringern, aber wir können nicht den durchschnittlichen Lebensstandard um 90 Prozent kürzen.
Außerdem geht es nicht um Opfer. Es geht um Investitionen in Klimaschutz. Das ist für uns alle, für die arbeitende Bevölkerung, für die Menschen mit Kindern, Freunden und Geschwistern, die eine Arbeit brauchen, ein Gewinn. Es ist das Ende der Kürzungspolitik. Und wenn eine soziale Bewegung für ein Ende der Kürzungspolitik kämpfen wird, dann sind das die Gewerkschaften.
In Deutschland wird das meiste CO2 von Kraftwerken, dem Verkehr und der Industrie ausgestoßen. Daran hängen viele Arbeitsplätze. Was sagst du Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, die Angst um Arbeitsplätze haben?
Wir sagen Folgendes: Wir versprechen euch neue Jobs, zum gleichen Lohn und mit derselben Anerkennung. Ich bin Teil der »Climate Jobs Campaign« in Großbritannien, die von der Hälfte der britischen Gewerkschaften unterstützt wird. Ähnliche Kampagnen für Klima-Arbeitsplätze mit sehr starker Unterstützung der Gewerkschaften gibt es auch in Norwegen und Südafrika. Neue Kampagnen entwickeln sich in Kanada, im Bundesstaat New York in den USA und im französischen Teil des Baskenlandes – und natürlich hoffen wir auf mehr.
Diese »Climate Jobs«-Kampagnen sind auf dem Klimagipfel der Gewerkschaften vertreten. Zusammen mit dem internationalen Gewerkschaftsbund sind wir Teil des Organisationsteams. Es soll ein Treffen von Menschen werden, die begeistert und leidenschaftlich sind, mit Aktivistinnen und Aktivisten, die entschlossen sind, »Climate Jobs«-Kampagnen auf der ganzen Welt aufzubauen. Deren Botschaft lautet überall: Wenn du deinen Job verlierst, versprechen wir dir einen neuen.
Ohne dieses Versprechen spaltet man die Gewerkschaften, die Gemeinden, die Länder, man spielt Teile der Arbeiterklasse gegeneinander aus. Aber um es halten zu können, muss es staatliche Programme geben.
Eine letzte Frage: Wie können Aktivistinnen und Aktivisten aus Deutschland sich in die Proteste gegen den Weltklimagipfel einbringen?
Das Bündnis in Frankreich und andere Organisationen rufen zum Beginn des Klimagipfels weltweit zu Demonstrationen auf. Zu diesem Termin für den Klimaschutz auf die Straße zu gehen, ist das Wichtigste. Wir werden in London eine sehr große Demonstration haben. Wir wollen solche Demonstrationen in Hauptstädten überall auf der Welt, etwa in Berlin, Rom, Athen, Nairobi, Johannesburg, Buenos Aires, Caracas und so weiter.
Wir glauben, dass diese Proteste sehr viele Menschen anziehen können. In Großbritannien gab es im Laufe des letzten Jahres zwei Demonstrationen, eine mit 40.000 Teilnehmenden und eine mit 25.000. Dieses Mal werden noch mehr Leute auf die Straße gehen. Im September letzten Jahres gingen 300.000 bis 400.000 Menschen in New York für den Klimaschutz auf die Straße.
Die zweite Sache ist, im Anschluss an die Demonstration nach Paris zu kommen. Dort findet ein viertägiger öffentlicher Gegengipfel statt. Danach müssen wir zurück nach Hause fahren und uns für »Climate Jobs«-Kampagnen in jedem Land einsetzen.
Aber noch wichtiger sind zurzeit die Kämpfe gegen die Fossilbrennstofffirmen – zum Beispiel gegen Fracking oder weitere Kohleförderung.
(Das Interview führte Jan Maas. Übersetzung: Einde O’Callaghan)
Zur Person:
Jonathan Neale arbeitet in der britischen Kampagne gegen den Klimawandel mit und ist Mitbegründer der Initiative »1 Million Climate Jobs«, die inzwischen von einigen britischen Gewerkschaften unterstützt wird (www.climate-change-jobs.org). Er ist Autor zahlreicher Bücher, unter anderem von »Stop Global Warming, Change the World« (Bookmarks 2008), und lehrt kreatives Schreiben an der Bath Spa University.
Mehr Infos:
http://globalclimatemarch.de/de/
http://coalitionclimat21.org/en
Schlagwörter: CO2, Erderwärmung, Klima, Klimakatastrophe, Klimakonferenz, Klimaschutz, Klimawandel, Kopenhagen, Ölindustrie, Paris