Riesenprofite der Energiekonzerne, doch die Bevölkerung ächzt unter der Last der hohen Energiepreise. Thomas Walter zu den Hintergründen
Die Energiekonzerne melden Rekordgewinne und verwöhnen ihre Anleger:innen mit Sonderdividenden. Der britische Shell-Konzern sprach von »außergewöhnlich starken Einnahmen«. Er machte im ersten Quartal 2022 9 Milliarden Dollar Profit und im zweiten Quartal dann 12 Milliarden Dollar. Der französische Energieriese Totalenergies erzielte im 2. Quartal 6 Milliarden Euro Gewinn. Der Gewinn wäre noch höher ausgefallen, hätte Totalenergies nicht seine russischen Beteiligungen abgeben. Dies ging mit Milliardenverlusten einher. Die Konzerne schütten die Profite per Dividende an die Aktionäre und Aktionärinnen aus. Außerdem kaufen sie eigene Aktien zurück, was deren Kurse steigen lässt. Die Energiekonzerne liegen damit im Trend. Die Konzerne insgesamt kaufen so viele Aktien zurück wie noch nie, »statt in neue Technologien und Produkte zu investieren«, wie das Handelsblatt beklagt.
Auch der österreichische Konzern OMV und der deutsche Konzern RWE konnten ihre Gewinne im 1. Halbjahr 2022 verdoppeln. Dies, obwohl sie Verluste aus dem Russlandgeschäft und wegen der Pipeline Nord Stream 2 erlitten. Nord Stream 2 war im Zuge der Sanktionen gegen Russland nicht in Betrieb genommen worden. RWE erwartet für dieses Jahr Profite in Höhe von 6 Milliarden Euro. Der Handel mit Strom, Gas und Kohle hatte dem Unternehmen schon im Corona-Jahr 2021 das beste Ergebnis seit Jahren beschert. Auch im kommenden Jahr erwartet RWE »eine Fortsetzung der positiven Ergebnisentwicklung«, wie das Handelsblatt berichtet.
Fehlen die Profite, kommt das Geld vom Staat
Hat ein Energiekonzern wegen der aktuellen Lage doch Geldsorgen, dann greift schon mal der Staat ein. Der für Deutschland größte Gasimporteur Uniper kriegt mehr Geld vom Staat, als seine Konkurrenten Profite machen. Die Bundesregierung will 30 Prozent seiner Aktien kaufen. Weitere 15 Milliarden Euro stellt die Regierung als Kapitalhilfe und für Kredite bereit. Ohne Staatshilfe wären auf die Kapitaleigentümer:innen herbe Verluste zugekommen. Schwer getroffen hätte es den finnischen Staat, der bislang 80 Prozent der Aktien von Uniper hält. Wirtschaftskreise zeigten allerdings »einiges Erstaunen«, als die Ökonomin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin Claudia Kemfert zu fragen wagte, ob es denn die Aufgabe des Staates wäre, die Kapitaleigentümer:innen vor Verlusten zu schützen.
Das Problem von Uniper ist, dass es das Gas jetzt nur zu hohen Preisen kaufen kann, es dieses Gas aber wegen alter Lieferverträge zu niedrigen Preisen an die Stadtwerke verkaufen muss. Erst ab Oktober sollen deutsche Konzerne über die Gasumlage 90 Prozent der gestiegenen Kosten auf die Stadtwerke und andere Kunden abwälzen dürfen. Letztlich drohen diese höheren Kosten beim »Endverbraucher« zu landen.
Neben Uniper wird auch der Braunkohlekonzern Leag und der »Gashändler« VNG staatlich gestützt. VNG gehört zu 74 Prozent der EnBW, die sich fast völlig im Besitz des Landes Baden-Württemberg und »Oberschwäbischer Elektrizitätswerke« befindet.
Woher kommen die Profite?
Die gewaltigen Profite der Energiekonzerne haben natürlich etwas mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine und zuvor schon mit den Lieferunterbrechungen wegen der Coronapandemie zu tun. Aber wie sind diese hohen Profite zu erklären? Wie muss man sich das im Einzelnen vorstellen?
Um eine Antwort zu finden, hilft es bei Marx nachzulesen: Er hat dazu die theoretischen Grundlagen geliefert. Preise von Waren bestimmen sich bei ihm nach der sogenannten Arbeitswertlehre. Der Wert und damit der Preis einer Ware hängt ab von der durchschnittlichen Arbeitszeit, die zu ihrer Erstellung notwendig ist. Dies gilt in der Industrieprodukten und bei Dienstleistungen. (Der Wert einer Ware ersetzt zum Teil den Wert der bei der Produktion verbrauchten Produktionsmittel, ein Teil geht als Lohn an die Arbeiter:innen, und schließlich verbleibt ein Teil als Profit beim Kapital.)
Es gibt aber Naturprodukte, deren Erzeugung an Boden gebunden ist. Ihre Erzeugung kann nicht rasch ausgeweitet werden. Während der Bodenertrag für landwirtschaftliche Produkte heutzutage mit Hilfe von Düngemitteln durchaus industriell gesteigert werden kann, gilt dies für viele Rohstoffe nicht. So gibt es nicht beliebig viele Ölquellen. Bei manchen mögen 80 Arbeitsstunden nötig sein, um ein Barrel Öl (Fass Öl) zu fördern, bei anderen 100 Stunden und bei wieder anderen 120 Stunden. Der Wert eines Barrels richtet sich jetzt nicht nach der durchschnittlichen Anzahl der Arbeitsstunden, also etwa 100 Stunden. Maßgeblich sind jetzt die 120 Arbeitsstunden bei den Ölquellen, die gerade noch für die kapitalistische Wirtschaft gebraucht werden.
Steigt die Nachfrage nach Öl, dann müssen zusätzliche Ölquellen in Betrieb genommen werden. Bei diesen erfordert die Förderung eines Barrels zum Beispiel 140 Arbeitsstunden. Umgekehrt, wenn ein Teil der Öl- oder Gasquellen nicht mehr zur Verfügung steht, etwa weil sie einem Boykott unterliegen oder weil der Öl- und Gaslieferant die Lieferung vermindert, dann müssen diejenigen, die bisher die Öl- und Gaslieferungen bekamen, auf andere Öl- und Gasquellen ausweichen. Kurz- und mittelfristig können das nur Quellen mit höherem Arbeitsaufwand sein, zum Beispiel solche mit 140 Stunden je Barrel. Der Wert und damit der Preis eines Barrel wird in solchen Fällen durch die 140 Arbeitsstunden bestimmt.
Grundeigentum schafft Einkommen
Nun gilt am Markt ein einheitlicher Preis je Barrel. Dieser gilt für das Öl aller Ölquellen. Auch Ölquellen, bei welchen nur 80 oder 100 Arbeitsstunden für die Förderung eines Barrel ausreichen, erhalten ebenfalls den vollen Preis, obwohl ihre Arbeitskosten niedriger sind. Sie erzielen im Vergleich zu den arbeitsaufwändigeren Ölquellen mit 120 Arbeitsstunden ein Extraeinkommen. Die Eigentümer:innen des Bodens, auf welchem sich diese Ölquellen befinden, können dieses Extraeinkommen als »Grundrente« verlangen. Ihre »Leistung« besteht allein darin, dass sie die Nutzung des Bodens für die Ölförderung erlauben. Solange kapitalistische Pächter:innen noch die für die Gesamtwirtschaft durchschnittliche oder allgemeine Profitrate erzielen, werden sie auf das Geschäft eingehen. So erklärten die klassischen Ökonomen und Marx die Grundrente. Industrielle Kapitalist:innen können Grund und Boden, der höhere Einnahmen verspricht, pachten, müssen aber dieses »Höhere« als Grundrente den Grundeigentümer:innen überlassen. Je mehr Ölquellen mit noch höherem Arbeitsaufwand eingesetzt werden, desto höher der Marktwert des Öls und desto höher die Grundrente bei all den Ölquellen, die mit einem niedrigeren Arbeitsaufwand je Barrel auskommen.
Eine steigende Grundrente führt zu höheren Einnahmen bei den Öl- und Gasstaaten, darunter USA und Russland. Auch die internationalen Energiekonzerne sind Grundeigentümer und kassieren die Grundrente insoweit selbst. RWE verfügt in Deutschland über eigene Energiequellen, wozu auch andere Energiearten als Öl und Gas gehören. Auch RWE profitiert von der gestiegenen Grundrente. Energiehändler dagegen wie Uniper und VNG machen Verluste. Sie müssen jetzt teuer einkaufen ohne gleich teuer weiterverkaufen zu können.
Löhne, Profite, Grundrente
Wie sich die Energieeinnahmen auf Löhne, Profite und Grundrente aufteilen, ist das Ergebnis von Klassenkampf zwischen den Ölarbeiter:innen auf der einen Seiten und den Kapitalist:innen und Grundeigentümer:innen auf der anderen. Dazu kommt der Kampf zwischen Grundeigentümer:innen und Konzernen. Viele Ölquellen im Nahen Osten werden durch imperialistische Mächte beherrscht. Das beeinflusst die Aufteilung der Öleinnahmen zwischen den Ölstaaten vor Ort und den imperialistischen Konzernen.
Grundeigentümer:innen können also Einkommen für sich abzweigen einfach nur, weil ihnen der Boden gehört. Das »Kommunistische Manifest« schlug daher folgende Maßregel vor: »Expropriation [Enteignung] des Grundeigentums und Verwendung der Grundrente zu Staatsausgaben«. Es handelt sich hier um eine der Maßregeln, »die ökonomisch unzureichend und unhaltbar erscheinen, die aber im Lauf der Bewegung über sich selbst hinaustreiben und als Mittel zur Umwälzung der ganzen Produktionsweise unvermeidlich sind.«
In diese Richtung geht der Vorschlag von LINKE-Parteichef Martin Schirdewan. Er verwendet nicht den Begriff »Grundrente«, sondern spricht von »Übergewinn«: »Wir brauchen endlich eine Übergewinnsteuer, damit die sich dumm und dämlich verdienenden Energiekonzerne auch endlich ihren Anteil an der Situation zu leisten haben.« Die LINKE setzt sich für eine Vergesellschaftung der Energiekonzerne ein. Außerdem bleiben die Gewerkschaften gefordert, für höhere Löhne zu kämpfen und wenigstens die höheren Preise auszugleichen.
Bildquelle: wikipedia Dirk Ingo Franke
Schlagwörter: Energiekonzerne, Profit