In Berlin tobt der Kampf um bezahlbaren Wohnraum: Während der Mietendeckel eine Verschnaufpause verspricht, drängen Immobilienspekulanten weiter in die Hauptstadt. Mit dem Volksbegehren »Deutsche Wohnen und Co. Enteignen« geht die Mietenbewegung nun in die Offensive. Wir sprachen mit Moheb Shafaqyar, einem der Sprecher der Initiative
marx21: Seit Ende November gilt die zweite Stufe des Berliner Mietendeckels: Mieten, die mehr als 20 Prozent über den Grenzwerten liegen, müssen nun abgesenkt werden. Rund 340.000 Wohnungen sind laut Senat betroffen. Ist das der Durchbruch im Kampf gegen den Mietenwahnsinn in der Hauptstadt?
Moheb Shafaqyar: Anders als die rechtlich zulässige Vergesellschaftung von großen privaten Wohnbeständen, stellt der Mietendeckel nicht die Eigentumsfrage. Davon abgesehen dürfte die Absenkungsregelung aber zu einer Maßnahme gehören, die ausreizt, was in der bestehenden Wirtschafts- und Rechtsordnung an Eingriff in die »Vertragsfreiheit« möglich ist. Deshalb: ja, ein Durchbruch, wenn auch nur ein temporärer, weil wir es mit einem nur provisorischen Konstrukt zu tun haben, das für fünf Jahre Geltung beansprucht.
Berlin ist als Wohnort nach wie vor gefragt und die Nachfrage nach Wohnraum übersteigt das Angebot, insbesondere in den Innenstadtbezirken. Kann da ein gesetzlicher Mietendeckel das Problem von mangelndem Wohnraum lösen?
Nein. Der Mietendeckel wirkt aber der fortwährenden Verdrängung, also der sozialen Entmischung entgegen. Die Wohnraumnot kann nicht allein durch Schaffung von neuem Angebot gelöst werden, allein deshalb nicht, weil Boden, also Wohnraum, kein beliebig schöpfbares Gut ist.
Wie meinst du das?
Wir haben in Berlin zum Teil schon die höchsten Besiedelungsraten bundesweit. Wenn neu gebaut wird, passiert das außerdem zu unbezahlbaren Preisen. Zur Bodenknappheit kommt aber noch ein anderes Phänomen hinzu: In Berlin besteht ein Bauüberhang von etwa 65.000 genehmigten, aber nicht fertiggestellten Wohnungen in der Stadt. Wir haben es also mit Privateingentümerinnen und -eingentümern zu tun, denen auf eigenen Antrag eine Baugenehmigung erteilt worden ist, die aber Grundstücke zurückhalten und nicht bebauen – aus teilweise rein spekulativen Gründen.
Warum lohnt es sich für sie, die Grundstücke nicht zu bebauen?
Sie rechnen mit steigenden Boden- und oder Mietpreisen, also leistungslosen Wertsteigerungen und wollen dann wiederverkaufen. Um die Baugenehmigungen bemühen sie sich nur, weil die Grundstücke mit einer erteilten Baugenehmigung mehr wert sind. Dabei würde allein die Bereitstellung von Wohnraum auf diesen Flächen mehrere hunderttausend Menschen auf einen Schlag mit einer Wohnung versorgen. Gegen solche spekulativen Leerstände kann das Land übrigens mit einer Enteignung nach dem Baugesetzbuch vorgehen.
Der Mietendeckel stand weder in irgendeinem Wahlprogramm noch im Koalitionsvertrag von R2G. Wie kam es überhaupt zu dem Gesetz?
Der Mietendeckel ist ohne Frage ein Resultat des massiven Drucks der Berliner Mietenbewegung. Es gab in den letzten Jahren riesige Proteste gegen die Wohnungskrise, die in Berlin mit einer Mietenexplosion und mit Verdrängung im großen Stil einhergeht. Nicht zuletzt unser Volksbegehren zur Enteignung großer Immobilienkonzerne und der gewaltige Widerhall, den es in der Stadt gefunden hat, haben den Senat zum Handeln gezwungen.
Die konkrete Idee für den Mietendeckel haben wir wohl vor allem einem juristischen Fachbeitrag von Peter Weber, einem angestellten Juristen im Pankower Bezirksamt zu verdanken. Er hat 2018 in einem hochgeachteten Aufsatz darauf aufmerksam gemacht, dass die Zuständigkeit für eine solche Regelung seit der Föderalismusreform auf die Länder übertragen worden ist. Diese Entdeckung wurde von anderen aufgegriffen und in der Koalition machte DIE LINKE den Deckel zum politischen Regierungsprojekt. Es gab hier heftige Auseinandersetzungen bis zum letzten Moment der Verhandlungen und SPD und Grünen waren wohl kurz davor wieder ganz auszusteigen aus dem Projekt. Aber auch sie stehen unter dem Druck einer Mitglieder- und Wählerbasis, die dem Mietenwahnsinn nicht länger untätig zuschauen will und in der es durchaus auch Sympathien für unsere Initiative zur Enteignung gibt.
Immobilien- und Miethaie wie Deutsche Wohnen und Vonovia laufen weiter Sturm gegen den Mietendeckel – genauso wie CDU und FDP, die vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Entlastung der Mieterinnen und Mieter klagen. Könnte das ganze Vorhaben doch noch scheitern und was würde dann passieren?
Die wesentlich besseren Gründe sprechen für die Verfassungsmäßigkeit des Mietendeckels. Am Ende entscheidet aber das Gericht. Es soll im zweiten Quartal 2021 eine Entscheidung fallen. Bis dahin besteht eine Unsicherheit. Eins ist aber klar: Sollte das Gesetz auch nur teilweise gekippt werden, würde das allenfalls ein bittersüßer Sieg für die Vermieterinnen und Vermieter und ihre Lobby werden. Die Wut einer bereits radikalisierten Mietenbewegung wird sich weiter Bahn brechen. Es ist bemerkenswert, wie sehr sich die organisierte Vermieterlobby mit Händen und Füßen gegen ein provisorisches Projekt wie den Mietendeckel wehrt, das den Berlinerinnen und Berlinern bloß eine kleine Verschnaufpause geben soll.
Du bist aktiv bei der Initiative »Deutsche Wohnen & Co. enteignen«, die im Kampf gegen hohe Mieten auf ein ganz neues Mittel setzt: Sie will die größten Wohnungsunternehmen per Volksbegehren enteignen. Was ist die Idee dahinter?
Die Idee dahinter ist, dass Wohnraum keine Ware ist.
Sondern?
Wohnraum ist ein menschliches Grundbedürfnis und sollte der Profitlogik entzogen sein. Was es bedeutet, wenn Wohnen der Profitlogik unterworfen ist, zeigt der Mietenwahnsinn in den Städten. Die Städte werden sogar für Mittelschichten nicht mehr leistbar. Die Menschen wenden teilweise bis zu 50 Prozent ihrer Einkünfte für Miete auf. Geld, das größtenteils internationale Kapitalgesellschaften sowie Multimillionärinnen und Multimillionäre einheimsen, wie die jüngste Studie der RLS zeigte.
Momentan macht der schwedische Immobilieninvestor »Heimstaden Bostad AB« Schlagzeilen, weil er auf Einkaufstour in Berlin unterwegs ist. Das Ziel ist offensichtlich, die Mieterinnen und Mieter der gekauften Häuser möglichst schnell loszuwerden und den Wohnraum als Eigentumswohnungen zu verscherbeln. Kann das Volksbegehren so einem Treiben Einhalt gebieten?
Es sind genau solche Unternehmen, die nichts auf dem Wohnungsmarkt zu suchen haben. Börsennotierte, renditegetriebene Unternehmen, die sich durch Marketing, PR und Verhandlungsgeschick auch noch als soziale Wohlfahrtsinstitutionen geben – ähnlich wie Deutsche Wohnen. Auch Heimstaden hat sich mit ihren Käufen in die Enteignungsliste katapultiert. Insofern würde unser Volksbegehren durch die Vergesellschaftung auch ihrer Bestände diesem Treiben sehr effektiv Einhalt gebieten, ja.
Allerdings sollen dem Volksbegehren zufolge die Immobilienkonzerne für die Enteignung mit Milliardensummen entschädigt werden. Sollten wir nicht eine entschädigungslose Enteignung fordern?
Die Kampagne zeichnet sich dadurch aus, dass sie keine symbolischen Forderungen erhebt. Wir haben ein ausführlich erarbeitetes Konzept für eine legale Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes, das wir zur Abstimmung stellen. Die Forderung nach einer entschädigungslosen Vergesellschaftung ist unserer Ansicht nach nicht rechtssicher genug und könnte vor dem Verfassungsgericht am Ende scheitern.
Im Gesetzentwurf heißt es, die Höhe der Entschädigung solle »deutlich unterhalb des Verkehrswerts« liegen. Das klingt nach einem großen Interpretationsspielraum. Wie wollt ihr verhindern, dass am Ende nicht doch Spekulationsgewinne für die Immobilienwirtschaft entstehen?
Deutlich unter Verkehrswert eröffnet einen großen Spielraum, ja. Der ist aber politisch zu füllen. Rechtlich werden nur gewisse Leitplanken vorgegeben. Die Frage der Entschädigungshöhe ist eine Abwägungsfrage zwischen den Interessen der Allgemeinheit und denen der Immobilienkonzerne. Wohnraum ist ein existenzielles Bedürfnis und die Situation auf dem Miet- und Wohnungsmarkt ist dramatisch. Die Profitmaximierung durch leistungslose Wertsteigerungen von Investorinnen und Investoren auf den Cayman Islands, denen die diese großen Konzerne gehören, sind nicht von einem derart großen Gewicht.
Nach einem Erfolg des Volksbegehrens würden die Wohnungen von den landeseigenen Gesellschaften verwaltet werden. Diese arbeiten jedoch als eigenständige GmbHs und Aktiengesellschaften, operieren also selbst auf dem Markt und sind damit Teil des Problems. Wie kann sichergestellt werden, dass die Wohnungen tatsächlich dem Markt und der Profitlogik entzogen werden?
Wir wollen nicht, dass die vergesellschafteten Bestände von den Landeseigenen verwaltet werden. Die Kampagne hat eine demokratischere und gemeinwohlorientiertere Bewirtschaftungsform im Sinn, eine Anstalt des Öffentlichen Rechts. Es stimmt, dass die Landeseigenen privatrechtsförmig betrieben werden und dadurch leider auch Profitlogiken unterworfen sind. Das ist ein Problem und es müssen neue Formen und Instrumente gefunden werden. Doch die Eigentümerschaft macht in jedem Fall schon einen gewaltigen Unterschied. Der Staat ist anderen Gesetzmäßigkeiten, also buchstäblich anderen Gesetzen, unterworfen und theoretisch ja der demokratischere Akteur bzw. Verwalter, auch im Hinblick auf die Preisbestimmung und die Belegungsbindungen. Zudem kommt dem Senat natürlich eine umfangreiche Aufsichts- und Kontrollfunktion zu, die er theoretisch viel weiter ausreizen könnte als bisher. Die Profite gehen außerdem an die öffentliche Hand und nicht an renditegetriebene Fonds und Investoren.
In der ersten Stufe des Volksbegehrens mussten 20.000 gültige Unterschriften innerhalb von sechs Monaten gesammelt werden. Jetzt braucht es etwa 170.000 gültige Unterschriften innerhalb von vier Monaten. Wie wollt ihr das erreichen?
Das werden wir sicherlich schaffen – auch wenn es unter Pandemiebedingungen nicht einfacher wird. Wir sind aber sehr gut aufgestellt. Unsere Sammel-AG macht sich seit Monaten Gedanken und wir haben aus den Erfahrungen der 1. Phase viel gelernt.
Wie können sich Einzelpersonen und Gruppen an der Initiative beteiligen?
Jede und jeder ist gefragt mitzuhelfen und Unterschriften zu sammeln. Auch DIE LINKE wird wieder eigene Sammelstrukturen aufbauen und mitsammeln. Wer noch keinen Anschluss hat und mitmachen will: Einfach an uns wenden!
Das Volksbegehren wurde erst nach langem Hin und Her vom Senat zugelassen. Auf die Frage, was der Senat macht, wenn eine Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner ihn dazu auffordert, ein Enteignungsgesetz zu schaffen, antwortete Sebastian Scheel, der neue Senator für Stadtentwicklung und Wohnen von der LINKEN: »Dazu wird sich der Senat gemeinschaftlich eine Meinung bilden, wenn es so weit ist.« Das klingt ziemlich verhalten. Besteht die Gefahr, dass der Volksentscheid noch im Nachhinein gekippt werden könnte?
Nein, der Volksentscheid ist nicht mehr aufzuhalten. Das einzige Einfallstor für Verschleppung, die rechtliche Prüfung durch die Innenverwaltung, haben wir hinter uns. Zu den Bundestags-, Abgeordnetenhaus- und BVV-Wahlen im Herbst 2021 wird Berlin auch über Vergesellschaftung entscheiden.
DIE LINKE Berlin unterstützt die Initiative, aber es ist absehbar, dass sie von ihren Koalitionspartnern im Senat gewaltig unter Druck gesetzt werden wird. Was erwartet ihr von der LINKEN?
Wenn wir das Volksbegehren gewinnen, wäre der Druck auf die Koalition gewaltig. Sie muss den Willen der Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner umsetzen. Volksgesetzgebung hat in Berlin Verfassungsrang und steht der normalen Gesetzgebung gleichrangig gegenüber. Die Vergesellschaftung würde den Willen der Mehrheit vollziehen. Dass DIE LINKE das Volksbegehren unterstützt, ist dennoch enorm wichtig. Die Unterstützung des Volksbegehrens ist zu einem der Markenkerne der Berliner LINKEN geworden. Sie hat beim Europawahlkampf Plakate zur Enteignung aufgehängt; hat kräftig Unterschriften mitgesammelt und plant es erneut zu tun. Die Partei wird nicht müde, bei vielen erdenklichen Missständen und Ereignissen auf dem Mietenmarkt, auf die Unterstützung des Volksbegehrens zu verweisen – zuletzt sehr nachdrücklich bei den vermeidbaren Räumungen des Syndikats in Neukölln und der Liebig34 in Friedrichshain. Wenn auch noch die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner demokratisch für die Vergesellschaftung stimmen sollte, ist die Vergesellschaftung einzuleiten. DIE LINKE, sollte sie in der nächsten Legislatur in einer Regierungskoalition sein, würde es existenzielle Glaubwürdigkeit kosten, wenn der Wille der Mehrheit der Bevölkerung und eine ihrer Kernforderungen auf dem Altar eines Koalitionspokers geopfert würde.
Moheb Shafaqyar ist Jurist und Sprecher des Volksbegehrens »Deutsche Wohnen und Co. Enteignen«.
Die Fragen stellte Martin Haller.
Foto: Leonhard Lenz
Schlagwörter: Mietenbewegung