Der nicht gewählte italienische Staatspräsident hat einen kalten Putsch vollzogen, der Italien und die EU noch tiefer ins Chaos stürzt. Von Chris Bambery
Die einzig absehbare Folge der aktuellen politischen Turbulenzen in Italien ist, dass die Unterstützung für die rassistische Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) weiter zunehmen wird. Gemeinsam hatten die beiden Parteien eine Koalitionsregierung gebildet, die über eine parlamentarische Mehrheit verfügte, dann jedoch durch die Blockade des italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella de facto abgesetzt wurde. Dieser hatte die Wahl des Lega-Kandidaten fürs Amt des Wirtschaftsministers, Paolo Savona, abgelehnt und das mit dessen kritischer Haltung gegenüber der EU und dem Euro begründet.
Das Vertrauen der Investoren
Schon früher haben italienische Präsidenten die Ernennung von Ministern blockiert, aber sie taten dies immer mit Zustimmung des Premierministers. Diesmal stimmte der vorgeschlagene Premierminister, Giuseppe Conte, den sowohl die M5S als auch die Lega unterstützen, nicht zu. Die Grundlage für dieses Vorgehen des Präsidenten ist sehr dünn. Der italienische Präsident wird nicht direkt gewählt, sondern von Abgeordneten, Senatoren und 58 regionalen Delegierten.
Doch nicht nur die demokratische Grundlage für Mattarellas Entscheidung ist äußerst zweifelhaft, sondern auch seine Begründung für diesen Schritt. Mattarella sagte, er habe sein Veto gegen Paolo Savona als Wirtschaftsminister eingelegt, weil dieser den Beitritt Italiens zum Euro als »historischen Fehler« bezeichnet habe. Seine Ernennung hätte das Vertrauen ausländischer Investoren gefährdet und die Wirtschaft wie auch den Staat destabilisiert. Das Hauptziel von Mattarella ist die Reduzierung der Staatsausgaben und die Beibehaltung des EU-freundlichen Kurses: »Unsere Rolle in der EU ist unerlässlich, ebenso wie unsere Teilnahme an der Eurozone«.
Das Diktat der EU ist nicht verhandelbar
Der französische Präsident Emmanuel Macron ignorierte die Fragwürdigkeit von Mattarellas Handelns und lobte ihn für seinen »großen Verantwortungsgeist« beim Schutz der »institutionellen und demokratischen Stabilität« Italiens. Und auch Angela Merkel betonte, dass die Politik jedes Mitgliedstaates der EU von den Prinzipien innerhalb des Euro-Raums bestimmt werden müsse.
Auffallend ist, dass weder Merkel oder Macron noch Mattarella die Pläne der Lega-M5S-Koalition, eine halbe Million Migranten abzuschieben, als Grund für die Untauglichkeit der Regierung nannten. Diese skandalöse Ankündigung scheint in den herrschenden Kreisen in Rom und Brüssel durchaus akzeptiert zu sein. Die Frage, wie die Eurozone geführt wird, ist das jedoch nicht, wie wir im Falle Griechenlands bereits gesehen haben.
Neuwahlen stärken Lega und M5S
Nun hat Mattarella den nicht gewählten Technokraten Carlo Cottarelli zum Premierminister ernannt. Von 1988 bis 2013 war dieser als leitender IWF-Beamter tätig. Cottarelli verließ den IWF, als eine Mitte-Links-Regierung ihn zum Vorsitzenden einer Behörde für die Senkung der öffentlichen Ausgaben ernannte.
Es ist unwahrscheinlich, dass der neue Premierminister im italienischen Parlament einen Haushalt verabschiedet bekommt, was zu Neuwahlen nach den Sommerferien im August führen würde. Dies wollen sowohl die Lega als auch die M5S, da sie beide davon ausgehen, dass der Zorn über den Staatsstreich des Präsidenten und die Zustimmung dafür von Macron und Merkel ihnen weiteren Auftrieb geben wird. Es ist wahrscheinlich, dass im Wahlkampf die von der EU geforderte Sparpolitik als Thema dominieren wird. Sowohl die Lega als auch die M5S haben sich von ihrem Versprechen verabschiedet, Italien aus dem Euro herauszunehmen, bleiben aber zutiefst eurokritisch.
Die korrupte Elite Italiens und die EU
Die italienischen Eliten, insbesondere diejenigen, die mit der Partito Democratico (PD) verbunden sind, die bis zur Wahl im März die Regierung stellte, unterstützen die EU bedingungslos. Das unterscheidet sie von der Mehrheit der Italienerinnen und Italiener, die eine Situation satthaben, in der seit mehr als zwei Jahrzehnten die Wirtschaft kaum gewachsen ist, zum großen Teil wegen der Mitgliedschaft Italiens im Euro, die dazu führt, dass die italienischen Exporte zu teuer sind, und dass Brüssel das Land zur Sparpolitik drängt.
Die italienische Elite wird zu Recht als vollkommen korrupt angesehen und ist nur an der eigenen Bereicherung interessiert. Viele Italiener glaubten, dass die EU-Mitgliedschaft daran etwas ändern würde, doch das war in keiner Weise der Fall.
Das Ergebnis all dessen ist, dass sich in der ehemals EU-freundlichen italienischen Bevölkerung eine zunehmend euroskeptische Haltung breitgemacht hat. Auch das Gefühl, dass Italien, wie auch Griechenland, von seinen europäischen Verbündeten mit der großen Zahl von Geflüchteten und Migranten, die das Mittelmeer von Nordafrika aus überqueren allein gelassen wurde, hat dazu beigetragen.
Die PD schloss sich dem Applaus für Mattarellas Putsch an und reagierte auf den Aufruf der Lega und M5S zu friedlichen Protesten, indem sie diese mit dem Marsch auf Rom vom März 1922 verglichen, der Benito Mussolinis faschistische Diktatur an die Macht brachte. Die Lega ist eine üble Rechtspartei, aber sie ist nicht faschistisch und die M5S ebensowenig. Auch ist Italien nicht im Griff eines Bürgerkriegs mit faschistischen Truppen, die plündern, verbrennen und morden, wie es 1922 der Fall war.
Der Widerspruch der M5S
Die PD, Erbin der einst mächtigen Kommunistischen Partei, hat ihre Unterstützung verloren, und ein Großteil ihrer ehemaligen Anhängerinnen und Anhänger im armen Süden ist zur M5S übergelaufen. Ein Grund dafür ist das Versprechen eines Grundeinkommens für alle Bürger — eine attraktive Forderung für all diejenigen, deren Leben durch die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die Prekarität der verfügbaren Arbeitsplätze geprägt ist.
Das verdeutlicht den Widerspruch innerhalb der M5S und ihrer Anhängerschaft. Sie ist mit der rechten Lega ins Bett gesprungen und teilt deren migrantenfeindliche Politik. Aber gleichzeitig versprach sie ein universelles Einkommen und ein Ende der Sparpolitik, die sie zu Recht dafür verantwortlich macht, das Wachstum zu ersticken.
Es ist dieser Widerspruch, in den die Linke einen Keil treiben muss, während sie gleichzeitig offensiv gegen den wachsenden Rassismus vorgehen muss. Doch das kann sie nicht, wenn sie den Putsch von Mattarella unterstützt oder wenn sie sich mit der PD und der italienischen Elite als Fanclub für die EU zusammenschließt.
Italien vor einer gewaltigen Krise
Es ist zwar unerlässlich, sich einer Regierung der Rechten, insbesondere ihrer rassistischen Politik der Massendeportationen, entgegenzustellen. Gleichzeitig muss die Linke sich jedoch auch dem gefährlichen verfassungsrechtlichen Präzedenzfall widersetzen. Wenn der Staatspräsident ein Veto einlegen kann, welche Minister eine gewählte Regierung einsetzt, wird dieses Mittel auch gegen jede künftige linke Regierung angewandt werden.
Die herrschenden Eliten in Italien und der EU mögen nach Mattarellas Veto erleichtert aufgeatmet haben, doch dieses Vorgehen schürt den Widerstand gegen den Verbleib Italiens in der Eurozone und die Sparmaßnahmen der EU.
Italiens Banken stehen am Rande des Zusammenbruchs und das Haushaltsdefizit bedroht bereits die Finanzen des ganzen Landes. Jetzt steht Italien vor einer gewaltigen Krise, die auch auf die EU übergreifen wird. Diese Krise lässt den Brexit wie einen Sturm im Wasserglas aussehen.
Dieser Text erschien zuerst in Englisch auf Counterfire. Übersetzt ins Deutsche von Martin Haller.
Foto: Ministero Difesa
Schlagwörter: Brexit, Demokraten, EU, Euro, Italien, Linke, Putsch, Staatsstreich, Wirtschaftsminister