Fünf Thesen über den Erfolg des Netzwerk »Hooligans gegen Salafismus« (HoGeSa), den antimuslimischen Rassismus und die Aufgaben der Linken. Vom Netzwerk marx21
1. Die Mobilisierungserfolge des Netzwerks »Hooligans gegen Salafismus« (HoGeSa) sind Ausdruck eines Strategiewechsels in der rechten Szene: Die Hetze gegen Muslime und den Islam ist zu einem zentralen Bestandteil ihrer Politik geworden. Unter dem Deckmantel der »Salafismuskritik« wollen die Neonazis im Kampf um die Straße wieder in die Offensive kommen.
Die rechte Szene verschiebt anscheinend den inhaltlichen Schwerpunkt ihrer Straßenproteste. In der Vergangenheit hatten die größten Aufmärsche vor allem die Traditionspflege zum Anlass. Beispiele dafür sind die Feiern zur Verherrlichung des ehemaligen Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß oder die Aufmärsche anlässlich der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg.
Der jährliche Naziaufmarsch in Dresden war einmal der größte Europas, bevor wiederholte Blockaden von antifaschistischen Bündnissen seine Durchführung nahezu unmöglich gemacht haben. Es war allerdings nur eine Frage der Zeit, bis die Nazis einen neuen Weg auf die Straße finden würden. Denn Aufmärsche wie in Dresden stellen eines der zentralen Elemente in der Strategie der Faschistinnen und Faschisten dar. Neben dem Kampf um die Köpfe und dem Kampf um die Parlamente führen sie bewusst einen Kampf um die Straße, um Macht zu demonstrieren. Faschistinnen und Faschisten können Anziehungskraft auf ihr Umfeld ausüben, wenn sie den Eindruck erwecken, sie könnten ihre Gegner niederhalten. Aufmärsche lassen sie als die Macht auf der Straße erscheinen. Der HoGeSa-Aufmarsch von Köln war die größte Machtdemonstration der extremen Rechten der vergangenen Jahre. Während der Demonstration waren zahlreiche klassische Neonazi-Parolen wie »Hier marschiert der nationale Widerstand«, »Frei, sozial und national« oder »Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!« zu hören. Mehrfach wurde Journalistinnen und Journalisten unter Rufen wie »Lügenpresse auf die Fresse« Gewalt angedroht.
Klar ist: HoGeSa besteht keineswegs nur aus randalierenden »unpolitischen« Fußballfans. Zu den Gründungsmitgliedern zählten von Beginn an rechtsextreme Kader aus ganz Deutschland. Dazu gehören Christian Hehl, bekennender Neonazi und NPD-Gemeinderatsmitglied in Mannheim, Siegfried Borchardt von der Partei Die Rechte und der Pro-NRW-Ratsherr Dominik Horst Roeseler. Letzterer agierte als Sprecher der Gruppe.
Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den »Salafismus« einen Kampf gegen »den« Islam zu führen, ist zum vereinenden Band zwischen sich gemäßigt gebenden Rechtskonservativen, der extremen Rechten und Hooligans geworden. Parteien wie Pro Deutschland, die »Identitäre Bewegung« (IB), die islamfeindliche German Defence League (GDL), die NPD und zuletzt auch rechte und neonazistische Fußball-Hooligans riefen stets zum Protest, wenn sich Salafiten in der Öffentlichkeit präsentieren. Die rechte Szene will das Schreckensbild »Salafismus« nutzen und erhofft sich die Zustimmung auch aus liberalen Kreisen. Wenn die Linke nicht handelt, besteht die Gefahr, dass sich über das HoGeSa-Netzwerk eine radikalisierte und von Neonazis organisierte gewaltbereite Speerspitze einer antimuslimischen Bewegung bildet.
2. Der antimuslimische Rassismus der bürgerlichen Mitte gibt Neonazis und rechten Hooligans Rückenwind für ihre Hetze gegen den Islam. Die Islamfeindlichkeit, die mit differenzierter Religionskritik in den allerwenigsten Fällen etwas zu tun hat, erfüllt mittlerweile alle Merkmale des klassischen Rassismus.
Die Fokussierung der rechten Szene auf das Thema »Islam« ist wohl kalkuliert. Jürgen Gansel, der für die NPD zwischen 2004 und 2014 im Sächsischen Landtag saß, drückt die dahinterstehenden strategischen Überlegungen folgendermaßen aus: »Die nationale Opposition ist also wahltaktisch gut beraten, die Ausländerfrage auf die Moslemfrage zuzuspitzen (ohne sie freilich darauf zu beschränken) und die Moslems als Projektionsfläche für all das anzubieten, was den Durchschnittsdeutschen an Ausländern stört.« Das Mittel hierzu waren in den letzten Jahren vor allem Kampagnen gegen Moscheebauten sowie neuerdings auch Aktionen gegen Salafitinnen und Salafiten. Die rechte Szene kann dabei darauf setzen, dass Politikerinnen und Politiker der etablierten Parteien ebenso wie ein Großteil der Medien das Feindbild Islam weiter aufbauen.
Seit mehreren Jahren wird der Islam in der Öffentlichkeit gezielt mit überwiegend negativ besetzten Themen in Zusammenhang gebracht wie beispielsweise Terrorismus, Frauenunterdrückung, Homophobie oder Antisemitismus.Das passiert, obwohl in Deutschland die allermeisten Terrorangriffe auf das Konto des Rechtsterrorismus von Gruppen wie dem NSU gehen. So leugnete auch der Verfassungsschutz bis 2011 in seinen jährlich herausgegebenen Berichten, dass es rechtsterroristische Strukturen oder organisierte rechte Gewalt in Deutschland gibt, obwohl die Existenz des NSU schon damals bekannt war. Auch die Angriffe auf das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und auf die Rechte von Homosexuellen stammen hauptsächlich nicht von islamischen Gläubigen, sondern von fundamentalistischen christlichen Strömungen. In Berlin demonstrierten am 20. September dieses Jahres 5000 sogenannte »Lebensschützer« gegen das Recht auf Abtreibung. Verschwiegen wird zudem, dass der Antisemitismus durchaus in der deutschen Mehrheitsgesellschaft verankert ist und ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellt.
Islamfeindlichkeit ist eine Ideologie, die Muslimas und Muslime sowie »den« Islam insgesamt als völlig anders von der eigenen Gruppe – in unserem Fall: der deutschen Mehrheitsgesellschaft – darstellt und ausgrenzt. Ihnen werden aufgrund ihrer Religion besondere Merkmale und Verhaltensweisen unterstellt. Folglich werden Menschen mit einem vermeintlich muslimischen Hintergrund unabhängig von ihrer Selbstverortung nur noch über »ihre« Religion definiert: »Ein Türke oder Araber handelt so, weil er Muslim ist«. Anstelle der Konstruktion der »Rasse« werden sie in das Korsett einer »kulturell-religiösen Gruppe« gesteckt. Diese fiktive Gruppe wird als Einheit gesehen. Ignoriert wird dabei, dass Menschen in Deutschland, die ursprünglich in den 1980er Jahren als Dissidenten aus dem Iran flohen, nicht viel gemeinsam haben mit den Kindern der ehemaligen von Deutschland angeworbenen türkischen »Gastarbeiter- und Gastarbeiterinnen« oder dem Immobilienmakler aus Abu Dhabi.
In den meisten Fällen eint sie lediglich die Diskriminierungserfahrung als vermeintliche Muslimas und Muslime. Dass sie ansonsten in ihren Identitäten, Interessen und ihrem sozialen Status viel mehr mit herkunftsdeutschen Mitmenschen ähnlicher Milieus teilen, wird dabei ebenso ignoriert. Auch findet keine Beachtung, dass es – wie in jeder anderen Religion – unterschiedlichste Strömungen gibt. Es gibt nicht »den« Islam.
In der Logik des Rassismus rechtfertigt die angebliche negative Andersartigkeit der Muslimas und Muslime, sie anders (schlechter) zu behandeln und ihre Rechte einzuschränken. Der Fraktionsvorsitzende der AfD im Thüringer Landtag, Björn Höcke, drückt das so aus: »Thilo Sarrazin sagte einmal, dass er, wenn er den Muezzin rufen hören möchte, ins Morgenland fahren würde. Dem ist nichts hinzuzufügen. Ich wünsche nicht, dass Europa ein vom Islam dominierter Kontinent wird – er hat eine Heimat. Punkt.« Was er ausspricht, setzen andere in die Tat um: Allein in den letzten zwölf Monaten kam es bundesweit zu 37 Anschlägen auf Moscheen, seit dem Jahr 2001 waren es über 200. Einige Moscheen benötigen mittlerweile denselben Polizeischutz wie etliche Synagogen. Beides ist mehr als verstörend in einem Land, in dem vor fast 80 Jahren Tausende Synagogen angezündet wurden.
3. Die Linke sollte zu einer differenzierten Analyse des Salafismus in Deutschland beitragen. Die salafitischen Gläubigen sind eine Minderheit innerhalb der Minderheit und zudem keine homogene Gruppe.
Der Begriff Salafiya leitet sich von »as-Salaf as-Sahih« ab, was so viel wie »die rechtschaffenen Vorfahren« bedeutet. In der Regel sind damit die ersten drei Generationen der Muslimas und Muslime gemeint. Genauso wie islamische Gläubige im Allgemeinen keine homogene Gruppe bilden, obwohl sie sich alle auf den Koran berufen, so ist auch die salafitische Glaubensgemeinschaft keine homogene Gruppe, trotz ihrer Orientierung am Ur-Islam.
So war die Salafiya-Bewegung im 19. Jahrhundert eine reformistische und modernisierende. Besonders bekannte Vertreter dieser modernen Salafiya waren Dschamal ad-Din al-Afghani und Mohammed Abduh. Anders als der zeitgenössische Salafismus, hielten sie den Koran und die Sunna für interpretationsfähig und versuchten so, den Islam an die Moderne anzupassen. Erst durch die brutale Verfolgung der Muslimbrüder und den wachsenden Einfluss Saudi-Arabiens wurde die Salafiya überwiegend konservativ und reaktionär. Aber selbst innerhalb konservativer salafitischer Kreise gibt es mindestens drei unterschiedliche Strömungen: Den Purismus, den politischen Salafismus und den Dschihadismus. Die puristischen Salafitinnen und Salafiten sind apolitisch, lehnen Gewalt strikt ab und beschränken sich auf Missionierung. Die Politischen wollen gewaltfrei an die Macht gelangen. Die als besondere Bedrohung dargestellten Dschihadistinnen und Dschihadisten befürworten Gewaltanwendung im Namen Gottes, sind aber selbst in der salafitischen Gemeinschaft nur eine Minderheit.
4. Die reale Gefahr eines neuen Rassismus und – dahinter lauernd – eines neuen Faschismus geht in Deutschland nicht von salafitischen religiösen Sekten aus, sondern von der wachsenden Zahl der »Islamkritiker«. In Deutschland leben angeblich 6300 Salafitinnen und Salafiten, was 0,1 Prozent aller hierzulande lebender Muslimas und Muslime ausmacht.
Der für seine »seriösen« Einschätzungen und Analysen bekannte Verfassungsschutz geht von 100-150 »Gefährdern« aus und meint damit Menschen, die zu Anschlägen bereit sein könnten.Trotz dieser geringen Zahlen werden die Gewaltbereiten mit der Mehrzahl der friedlich lebenden Muslimas und Muslime gleichgesetzt und es wird von einer großen Gefahr durch den »Islamismus« gesprochen. Das aufgebaute Schreckgespenst »Salafismus« steht in keinerlei Verhältnis zum Bedrohungspotential. Zum Vergleich: Den 100-150 »Gefährdern« stehen laut demselben Verfassungsschutzbericht 9.600 militante Rechtsextreme gegenüber. Es sind die täglichen Übergriffe von Neonazis auf Ausländerinnen und Ausländer und linke Aktivistinnen und Aktivisten, es sind die Anschläge auf Moscheen, linke Jugendzentren und Bürgerbüros, es sind die regelrechten »No-Go-Areas« und »national befreite Zonen« in ländlichen Gebieten, aber auch Stadtvierteln in Großstädten, die ein Klima der Angst schaffen – nicht Koran verteilende Salafitinnen und Salafiten oder fünfzehn sich als Scharia-Polizei aufspielende Mitglieder fundamentalistischer Gruppierungen.
Dass der Salafismus in Deutschland hegemonial werden könnte, ist höchst unrealistisch: Er wird niemals in der Lage sein, über gesellschaftliche Machtverhältnisse zu entscheiden. Der Rassismus hingegen ist es bereits, denn er spaltet schon jetzt die Gesellschaft in Muslime und Nicht-Muslime und verbreitet Misstrauen und Hass.
Wissenschaftliche Studien über Rassismus haben in den letzten Jahren einen Anstieg von Vorurteilen gegen Asylsuchende, gegen Sinti und Roma, gegen Muslimas und Muslims festgestellt.
Eine im Juni veröffentliche Untersuchung der Universität Leipzig, die sogenannte »Mitte-Studie«, ergab, dass fünf Prozent der Deutschen antisemitisch eingestellt seien und 36 Prozent »explizit islamfeindlichen Aussagen zustimmten« (2011 noch 22,6 Prozent), 55,9 Prozent zeigten »antiziganische Einstellungen« (2011: 44,2 Prozent) und 55 Prozent hatten starke Vorurteile gegen Asylbewerberinnen und Asylbewerber (2011: 46,7 Prozent). Darauf bauen die Nazis auf. So ist es kaum verwunderlich, dass der HoGeSa-Aufmarsch am 5. Dezember in Halle unter dem Motto »gegen die Islamisierung, die Zigeunerplage und den Asylantenwahnsinn« stand.
5. Es ist die Aufgabe von Linken, Rassismus gegen religiöse Minderheiten zurückzuweisen, ungeachtet dessen, wie sympathisch uns einzelne Gruppierungen sein mögen. Es geht um konkrete und praktische Solidarität vor dem Hintergrund steigender Zustimmung zu rechter Hetze. Die von Rassismus betroffene religiöse Minderheit der Muslimas und Muslime muss in die antirassistische und antifaschistische Bewegung miteinbezogen werden.
Dass religiöse Prediger von jungen Migrantinnen und Migranten und darüber hinaus Zulauf erhalten, hängt auch mit der Unfähigkeit von Teilen der Linken zusammen, eine angemessene Position zur Religion zu finden.
Die Linke muss sich viel kritischer mit dem Missbrauch von Religion auseinandersetzen und sich gleichzeitig religiösen Menschen zuwenden und ihre sozialen Interessen als Anknüpfungspunkt sehen. Der Blick auf junge Männer und Frauen, die sich konservativen oder reaktionären Strömungen des Islams zuwenden, ignoriert meist die sozialen Ursachen dafür.
Wer den Zulauf zu Pierre Vogel und anderen nur als irrational abstempelt und nach sicherheitspolitischen Antworten ruft, blendet aus, dass die politisch Verantwortlichen in Deutschland mit ihrer verfehlten Asylgesetzgebung, mit der Diskriminierung junger Menschen mit nichtdeutschen Namen auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungssystem und nicht zuletzt mit ihrer Unterstützung für die US-Kriege im Nahen Osten diesen Zulauf selbst mitzuverantworten haben. Wer von klein auf nur Ablehnung, Rassismus und ökonomische Chancenlosigkeit erlebt hat, ist empfänglich für Gruppierungen, die positive Identifikationsangebote bieten und scheinbar »den Spieß umdrehen« gegen den westlichen Imperialismus.
Dass sogar innerhalb der Linken teilweise eine Gleichsetzung zwischen Rassismus und Salafismus betrieben wird, ist für den gemeinsamen Kampf gegen HoGeSa und andere rechte »Islamhasser« wenig hilfreich.
So wendete sich der Aufruf des linken Bündnisses gegen den HoGeSa-Aufmarsch in Hannover auch gegen »religiösen Fundamentalismus«. Solche Gleichsetzungen sind gefährlich – nicht nur, weil sie die falschen Behauptungen über Salafismus reproduzieren, sondern vor allem, weil sie eine Zusammenarbeit mit der von Rassismus betroffenen religiösen Minderheit der Muslimas und Muslime erschweren.
Linke sollten sich für die Gleichberechtigung der Religionen und die Trennung von Staat und Kirche einsetzen, anstatt sich nur in abstrakter Religionskritik zu üben.
Wir sollten die Ursachen bekämpfen, die Religion als »Schmerzmittel« attraktiv machen, statt unsere Zeit dem Kampf gegen Religion zu widmen. Eine Linke, die sich gegen soziale Spaltung, Ausgrenzung und Diskriminierung stellt, ist in der Lage, für eine Welt zu kämpfen, in der die Menschen nicht mehr ihre Schmerzen betäuben müssen. Linke sollten sich schützend vor diejenigen stellen, die von rassistischer Gewalt bedroht sind.
Sie sollten zwischen Opfern von Rassismus keinen Unterschied machen. So wie wir uns solidarisch vor Opfer antisemitisch motivierter Übergriffe stellen, sollten wir uns schützend vor Muslimas und Muslime stellen, wenn diese unter dem Deckmantel des Antisalafismus bedroht werden. Das Problem heißt Rassismus, nicht Salafismus.
Foto: blu-news.org
Schlagwörter: Analyse, Hogesa, Islamfeindlichkeit, Linke, marx21, Nazis, Rassismus, Salafismus