Die ganze Welt sehnt den Impfstoff gegen das Coronavirus herbei. Doch nur die entwickelnden Konzerne und Staaten entscheiden, an wen sie verkaufen. Von Hans Krause
Wahrscheinlich hielt Daniel Menichella den 2. März für seinen großen Tag. Damals war er noch Vorstandsvorsitzender von CureVac, ein Arzneimittelunternehmen aus Tübingen bei Stuttgart mit nur 450 Beschäftigten. Trotzdem durfte er an einem Treffen wichtiger Pharma-Manager mit US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus teilnehmen. Nach Information von welt.de machte Trump Menichella an diesem Tag ein Angebot, dass er eigentlich nicht ablehnen konnte: 1 Milliarde Dollar für die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs für die US-amerikanische Regierung, allerdings ausschließlich für die US-amerikanische Regierung.
Die Entwicklung von Impfstoffen ist teuer und dauert lange. Bevor sie zugelassen werden, müssen sie an Tieren und tausenden Menschen getestet werden. Denn viele der sogenannten Impfstoff-»Kandidaten«, die unter dem Mikroskop vielversprechend aussehen, verschlimmern im Test die Krankheit oder haben gefährliche Nebenwirkungen. 99 Prozent der Kandidaten erweisen sich als ungeeignet.
Würde tatsächlich nur ein Staat einen solchen Impfstoff kontrollieren, hätte er dadurch enorme wirtschaftliche Vorteile. Einerseits weil dann nur in diesem Land alle Einschränkungen der Wirtschaft aufgehoben werden könnten. Anderseits könnte diese Regierung andere mit dem Zugang zum Impfstoff erpressen, ihn nur an Verbündete liefern und andere buchstäblich sterben lassen (Lies hier den marx21-Artikel: »Exit-Strategie der Bundesregierung: Heiße Luft und falsche Prioritäten«).
Der Corona Impfstoff und ein unmoralisches Angebot?
Menichella wurde am 11. März von CureVac entlassen und Unternehmensgründer Ingmar Hoerr wurde überraschend wieder Vorstandsvorsitzender. Erst zwei Jahre zuvor war er von Menichella abgelöst worden. Der Grund ist wahrscheinlich, dass Menichella annehmen wollte, CureVac aber dem Multimilliardär Dietmar Hopp gehört, der Trumps Angebot als unmoralisch zurückwies.
Doch was hätten die Regierungen der Welt getan, wenn Hopp den Deal mit Trump gemacht hätte? Wahrscheinlich nichts, denn die Herstellung von Medikamenten und Impfstoffen wird weltweit fast ausschließlich von privaten Unternehmen betrieben, die selbst entscheiden, an wen und zu welchem Preis sie verkaufen.
Eine Tablette würde reichen
Weil diese Unternehmen Profit machen müssen, werden vielen armen Menschen lebenswichtige Medikamente vorenthalten. Andere werden gar nicht erst entwickelt.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 20 Krankheiten in eine eigene Kategorie der »Vernachlässigten Krankheiten« eingeordnet, die leicht heilbar sind, unter denen aber trotzdem hunderte Millionen Menschen leiden. Beispielsweise wurde schon 1987 ein Medikament entwickelt, das vor der hauptsächlich in Zentralafrika vorkommenden durch Parasiten ausgelösten Flussblindheit mit nur einer Tablette pro Jahr schützt.
Doch weil das kostenlose Herstellen und Verteilen der Medikamente kein Geld bringt, leiden noch heute 21 Millionen Menschen an Flussblindheit, von denen 1,2 Millionen schwer erkrankt sind und an Sehkraft verloren haben; viele davon sehr stark bis zum völligen Erblinden.
Zu schnell eingedämmt
Impfungen sind zwar für Millionen Menschen überlebenswichtig, aber in der Entwicklung sehr teuer und deshalb für den Profit eines Konzerns oft zu riskant. Wird der Impfstoff wie bei Masern oder Grippe weltweit dauerhaft gebraucht, kann er Milliardenprofite bringen. Wenn aber Viruserkrankungen schnell eingedämmt werden, ist das für die Menschheit ein Segen, doch für die Konzerne ein Fluch; und genau das »droht« bei Corona-Viren: Sowohl die SARS-Coronavirus-1-Pandemie 2002 bis 04 mit 774 Todesopfern als auch das MERS-Coronavirus mit seit 2012 866 Toten haben zu wenig Menschen infiziert, als dass es sich für einen Konzern gelohnt hätte, Geld in die Bekämpfung zu investieren. Auch deshalb gibt es bis heute gegen keine der sieben menschlichen Coronavirus-Arten ein Medikament, geschweige denn eine Impfung.
Dadurch sind einerseits immer wieder Menschen durch die bisherigen Corona-Viren gestorben. Weiterhin wurden Entwicklungsschritte und Forschungsergebnisse versäumt, welche die jetzige Suche nach einem Impfstoff gegen SARS-CoV-2 hätten beschleunigen können.
Kein Strom im Krankenhaus
Als 2013 die westafrikanische Ebola-Epidemie mit letztendlich mindestens 11.000 Toten begann, zeigte sich, dass es auch den Regierungen der Industriestaaten nicht um die Gesundheit der Menschen geht. Zwar arbeiten Organisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“ schon seit langem und auch bis heute in der Region, um die Gesundheitsversorgung zu verbessern. Als Ebola ausbrach verlegten aber zum Beispiel die USA medizinisches Personal der Armee in futuristischen Schutzanzügen nach Liberia, Sierra Leone und Guinea und bauten Lazarette. Doch war ihr Auftrag, sich ausschließlich um Ebola zu kümmern, damit es nicht nach Europa oder Nordamerika gelangt. Ein halbes Jahr später verschwanden diese Helfer so schnell, wie sie gekommen waren.
Währenddessen sterben in Westafrika bis heute jedes Jahr tausende Menschen an Malaria, Durchfall oder Lungenentzündung oder daran, dass Krankenhäuser nur wenige Stunden pro Tag Strom haben.
Corona Impfstoff und die Regierungen
Wer jetzt glaubt, dass bei einer solch großen Gefahr wie der jetzigen Corona-Pandemie Regierungen und Konzerne eine Ausnahme machen, sich zusammenraufen und ihre Profitziele und Konkurrenz vergessen und sei es nur, damit der Kapitalismus weiter rund läuft, sollte zwei Dinge bedenken:
Erstens: Bei der Geberkonferenz für die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs am 4. Mai wurde zwar so oft »gemeinsam« gesagt als gäbe es einen Preis dafür. Tatsächlich kam mit 7,4 Milliarden Euro aber nur ein kleiner Teil der notwendigen Summe zusammen. Selbst die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen gab danach zu: »Wir brauchen wahrscheinlich einen fünfmal so hohen Betrag«. Die US-amerikanische und die russische Regierung geben keinen Cent.
Konzerne wollen vermarkten
Daher muss ein großer Teil des Geldes von Konzernen kommen und die werden nur investieren, wenn das finanzielle Risiko nicht zu groß und hoher Profit sehr wahrscheinlich ist. Doch hat selbst die in der Forschung führende Universität Oxford kein nordamerikanisches Partnerunternehmen gefunden. Denn diese Konzerne verlangen weltweite Exklusivrechte.
Und zweitens: Auch schon vor dem Corona-Virus gab es gefährliche Krankheiten. Doch Regierungen und Hersteller von Medikamenten und Impfstoffen haben sich nie um Menschenleben geschert.
Seit Entdeckung der Krankheit in den frühen 1980er Jahren sind etwa 32 Millionen Menschen an HIV gestorben, noch heute sterben jedes Jahr 770.000 Menschen an Aids. Dennoch wurde seit den 1990er Jahren in internationalen Abkommen vereinbart, dass Urheberrecht ähnlich wie für Erfindungen auch für Medikamente selbst in den ärmsten Ländern der Welt gelten muss und zwar 20 Jahre ab der Patentierung. Mit einem solchen Patent hat das Unternehmen ein weltweites Monopol auf die Herstellung des Medikaments und kann dementsprechend hohe Preise verlangen.
Medikamente werden patentiert
Zwar ist bei vielen HIV-Medikamenten die 20-Jahresfrist heute abgelaufen und es wird billiger Ersatz hergestellt. Aber neue Medikamente, die den Erkrankten ein deutlich längeres beschwerdefreies Leben ermöglichen, sind noch urheberrechtlich geschützt und dadurch so teuer, dass sie ausgerechnet in Subsahara-Afrika, wo zwei Drittel aller HIV-positiven Menschen leben, fast nicht erhältlich sind.
Sollten Unternehmen einen Impfstoff gegen das Corona-Virus entwickeln und diesen patentieren lassen, müssten manche Staaten weitere Milliarden Steuergelder dafür ausgeben und andere würden ihn gar nicht erhalten. Zwar hat sich die UNO-Generalversammlung für einen gleichberechtigten Zugang zu einem möglichen künftigen Impfstoff gegen das Corona-Virus ausgesprochen. Doch Beschlüsse der Generalversammlung sind rechtlich nicht bindend und in der Vergangenheit mehrfach missachtet worden. Auch die internationale Allianz für Epidemievorbegung CEPI spendet überwiegend Steuergelder verschiedener Staaten an profitorientierte Pharmaunternehmen, in der Hoffnung, diese könnten einen Impfstoff entwickeln. Jedoch sind die Unternehmen dabei zu keinerlei Gegenleistung verpflichtet. Wenn aber tatsächlich ein Impfstoff gefunden wird, sind sämtliche Forschungsergebnisse, Daten, Proben, entwickelte Technologien sowie das Urheberrecht am Impfstoff Eigentum des Unternehmens.
Sollte der Impfstoff trotz alledem ohne Einschränkungen verkauft werden, droht eine weitere Hürde: Nur das Unternehmen entscheidet über den Preis. Bei Entwicklungskosten von voraussichtlich über 1 Milliarde Euro könnte dieser hoch sein. Mit tödlichen Folgen, denn gerade Menschen aus den ärmsten Ländern mit den schlechtesten Gesundheitssystemen bräuchten einen Impfstoff am dringendsten. Aber gerade sie werden eine teure Impfung weder selbst bezahlen können, noch von der Regierung kostenlos bekommen.
Deshalb geht die auf den Corona-Demos vorherrschende Kritik an Milliardären wie Bill Gates in die falsche Richtung (lies hier den Artkel: »Hygienedemos: Die Brandstifter sitzen in den Chefetagen«). Die Gates-Stiftung hat weder die WHO noch Angela Merkel gekauft. Vielmehr konzentriert sie ihren Einfluss und ihr Geld auf wenige medizinische Maßnahmen und Krankheiten, insbesondere HIV, Tuberkulose, Malaria und solche, gegen die man impfen kann.
Allerdings fließt das Geld nicht in den dauerhaften Aufbau von Gesundheitssystemen, sondern beispielsweise an Unternehmen wie CureVac. Weitere Partner der Stiftung sind Bayer, Merck, Pfizer und andere Pharmakonzerne.
Gates engagiert sich dabei nicht für nachhaltige Gesundheitspolitik, sondern setzt darauf, dass große Unternehmen Milliarden verdienen. Den Menschen hilft das nur eingeschränkt, denn dieses »Engagement« verstärkt nicht nur die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen reichen und ärmeren Staaten, sondern wird oft dazu benutzt, ungerechte, undemokratische oder unterdrückerische Strukturen zu erhalten.
Ein Impfstoff für alle
Es ist die Konkurrenz zwischen Konzernen und der wirtschaftliche Wettbewerb zwischen Staaten, der dazu führt, dass eine Impfung gegen das Virus vielleicht später als nötig, vielleicht nie oder nur in manchen Regionen erhältlich ist. Wie auch bei den unzureichenden Maßnahmen gegen den Klimawandel liegt es bei der Suche nach einem Impfstoff an den Grundsätzen der kapitalistischen Wirtschaft, dass hunderttausende Menschenleben geopfert werden, wenn das die Chance auf Gewinne erhöht.
Wir alle sind der Meinung, dass Krankenhäuser nicht privatisiert werden sollten und privatisierte zurück unter Kontrolle des Staates gehören. Bei Pharma-Unternehmen ist diese Forderung weniger weit verbreitet.
Der Firefox der Impfstoffe
Der Grund ist aber lediglich, dass wir daran gewöhnt sind und nicht, dass die Herstellung von Medikamenten privatwirtschaftlich besser funktioniert. Ein Mittel gegen das Corona-Virus ist zu wichtig, um ihn Pharma-Vorständen und Regierungen, die mit ihnen unter einer Decke stecken, zu überlassen. Was bei einem Internetbrowser wie Mozilla Firefox oder einem Computer-Betriebssystem wie Linux möglich ist, wäre auch bei einem Impfstoff machbar: Alle Informationen über Zusammensetzung und Herstellung des Produkts sind kostenlos und öffentlich verfügbar. Die mächtigen Regierungen der Welt können die Konzerne dazu zwingen.
Im März 2020 haben 61 Nichtregierungsorganisationen einen offenen Brief an die Institutionen der EU geschrieben, in dem sie weltweit kostenlosen Zugang zum künftigen Impfstoff fordern und: „Wir können uns keinen „business-as-usual“-Ansatz erlauben, bei dem die Marktdynamik den Preis diktiert und bei dem finanzielle Überlegungen, mehr als öffentliche Gesundheit, entscheiden, wo und wann Produkte erhältlich sind“.
Impfstoff: Bayer und Boehringer enteignen
Was die deutsche Regierung 2008 bei der Commerzbank und 2020 bei Lufthansa gemacht hat, kann sie auch bei Bayer und Boehringer-Ingelheim. Der Staat kann Unternehmen teilweise oder komplett kaufen oder besser enteignen, denn es geht um die Gesundheit von Millionen Menschen, die vor den Profitinteressen privater Konzerne geschützt werden muss.
Allerdings bieten staatliche Unternehmen zwar die Möglichkeit, im Interesse der Menschen geführt zu werden, aber keineswegs die Garantie. Erst in einer demokratisch kontrollierten Wirtschaft, in der Menschen wichtiger als Profite sind, wird auf Pandemien nach den Maßstäben unserer Bedürfnisse reagiert und werden Impfungen so schnell wie möglich entwickelt und weltweit kostenlos verteilt.
Eine andere Gesellschaft ist nötig; in einer Welt mit Corona-Virus dringender denn je.
Foto: focusonmore.com
Schlagwörter: Corona