Stundenlang für den Geheimdienst politisch Aktive überwachen. Wer »Orwell« spielt, fühlt sich dabei immer wieder furchtbar. Aber das macht das Spiel brillant. Von Hans Krause
Alles beginnt damit, dass in einer fiktiven Stadt eine Bombe explodiert. Daraufhin startet die Regierung das Überwachungsprogramm »Orwell«. Es ermöglicht dem Geheimdienst das maximale Eindringen in die Leben aller Bürgerinnen und Bürger.
Wir schlüpfen in die Rolle eines sogenannten Profilers, der für den Geheimdienst arbeitet. Dieser soll möglichst schnell alle nützlichen Informationen über ausgewählte Personen zusammentragen und herausfinden, ob eine davon am Anschlag beteiligt war. Schnell wird klar, dass man Aktivistinnen und Aktivisten einer politischen Gruppe verfolgt, die öffentliche Aktionen organisiert und Texte gegen die staatliche Überwachung verfasst.
Benannt nach George Orwell
Spätestens hier beginnt das Dilemma. »Orwell«, benannt nach George Orwell, dem Autor des Romans »1984«, macht durch den Titel und viele weitere Details deutlich, dass wir uns keineswegs sicher sein können, mit unserer Geheimdienstarbeit das Richtige zu tun.
So zieht der Vorgesetzte aus den gelieferten Informationen absurde Schlüsse und sieht in jedem Menschen einen potenziellen Terroristen. Die überwachten Personen scheinen harmlos zu sein und engagieren sich auch noch ausgerechnet gegen genau die staatliche Überwachung, die wir umsetzen.
Außergewöhnliches Computerspiel
Die Grafik des Spiels ist zwar uninteressant, die Soundeffekte kaum vorhanden und die Musik auf Dauer eintönig. Aber das Spielerlebnis bei »Orwell« ist außergewöhnlich. Der Verlauf des Spiels fesselt und bietet am Schluss eine unvorhersehbare und erneut bedrückende Wendung. Darüber hinaus führt »Orwell« uns zwei wichtige politische Aussagen vor Augen:
Wenn sie wollen, können Geheimdienste buchstäblich alle Informationen über jeden Menschen bekommen. In »Orwell« hören wir Telefongespräche ab, lesen Chats und E-Mails der Zielpersonen. Wir sehen sämtliche Kontobewegungen und medizinische Untersuchungen, die Ärzte gespeichert haben. GPS-Daten und Überwachungskameras liefern zusätzlich zu fast jedem Zeitpunkt den Aufenthaltsort einer Person.
Nah dran am Überwachungsstaat
Und: All diese Überwachung schützt uns nicht vor Terrorismus. Sie bedroht unsere Freiheit und hat in einer demokratischen Gesellschaft nichts zu suchen. Geheimdienste überwachen Linke, Grüne und Liberale, die politisch aktiv sind und diese Überwachung kritisieren. Wen der Geheimdienst als »Terroristen« oder Unterstützer von Terrorismus ansieht, ist willkürlich und hängt ausschließlich davon ab, welche Strategie der Staat wählt.
Vielen mag ein Überwachungsstaat wie in »Orwell« zumindest in Deutschland wenig realistisch erscheinen. Doch auch in der Türkei hätte noch vor wenigen Jahren niemand geglaubt, dass man wegen des Engagements für Amnesty International ins Gefängnis kommt. Und wer hätte es für möglich gehalten, dass der spanische Staat die gesamte katalanische Regierung einsperrt?
»Orwell« regt an
All diese Gedanken gehen uns während des Spielens von »Orwell« nahezu automatisch durch den Kopf. Ob das Spiel Spaß macht, ist Geschmackssache. Aber das ist auch nicht das Hauptziel des Spieleentwicklers Osmotic Studios aus Hamburg.
Bedauerlich ist lediglich die Spielzeit von nur etwa fünf Stunden. Die wenigsten werden »Orwell« mehr als zwei Mal durchspielen wollen, da die zu überwachenden Personen immer dieselben sind. Mit zehn Euro ist der Kaufpreis allerdings angemessen niedrig. Wer Sammelspiele ohne Action mag, mit einem textlastigen Spiel komplett in einfachem Englisch zurechtkommt und etwas über die Gefahren des Überwachungsstaates lernen möchte, dem ist »Orwell« schwer zu empfehlen. Inzwischen ist ein zweiter Teil erschienen.
Das Spiel:
»Orwell«
Deutschland 2016/2018
Osmotic Studios
für Windows, Mac OS und Linux per Internet-Download
9,99 Euro
Foto: boonechev
Schlagwörter: Computerspiel, Überwachung