Klaus Henning versucht mit seinem Buch »Der Krieg im Osten« die vernachlässigte Geschichte des Widerstands von unten in der Ukraine sichtbar zu machen. Von Frank Renken
Im Winter 2013/14 kam es in den Großstädten der Ukraine zu wochenlangen Massenprotesten, die schließlich Staatspräsident Wiktor Janukowitsch stürzten. Auslöser dieser als »Maidan« oder »Euro-Maidan« bezeichneten Bewegung war ein Assoziierungsabkommen, das die EU der Regierung in Kiew vorgelegt hatte. Motiviert waren die Proteste von der Hoffnung, durch die Annäherung an Europa zu einer Anhebung des Lebensstandards zu kommen. Nach ihrer Unabhängigkeit war die Ukraine zwei Jahrzehnte lang von Oligarchen ausgeplündert und zum Armenhaus Europas geworden. Die Durchschnittslöhne im benachbarten Polen sind dreimal so hoch.
Ein neuer Ost-West-Konflikt
Viele Protestierende haben sich über den Inhalt des EU-Assoziierungsabkommens täuschen lassen. Es sah weitere neoliberale Deregulierungsmaßnahmen vor, wie die Aufhebung staatlicher Subventionen auf Massengüter. Außerdem war es darauf angelegt, die Verbindungen zu Russland zu kappen. Am Ende der Proteste wurde der russlandfreundliche Oligarch Janukowitsch durch den prowestlichen Oligarchen Petro Poroschenko ersetzt.
Der russische Präsident Wladimir Putin sah in den Ereignissen den Versuch, die Ukraine aus der russischen Einflusssphäre zu drängen. Auf die ökonomische Aggression reagierte Moskau militärisch: Die strategisch wichtige Halbinsel Krim wurde von Russland annektiert, eine russisch-nationalistische Sezessionsbewegung im Osten der Ukraine militärisch, ökonomisch und politisch unterstützt. Ein neuer Ost-West-Konflikt ist entbrannt. Er verläuft quer durch die Ukraine.
Der Blickwinkel der Mächtigen
Die Komplexität der Ereignisse hat zu Kontroversen innerhalb der Linken geführt. Im Zentrum steht eine methodische Frage: Nähern wir uns dem Konflikt in der Ukraine ausschließlich durch die geopolitische Brille? Dies ist allerdings der Blickwinkel der Mächtigen der Welt. Eine zweite Frage berührt die Rolle Russlands: Haben wir es seitens Putins mit einer im Kern defensiven oder fortschrittlichen Außenpolitik zu tun?
Der vorliegende Band »Krieg im Osten« von Klaus Henning bietet einen erfrischenden alternativen Zugang. Ausgangspunkt sind für ihn die sozialen Interessen und Konflikte in der Ukraine. Die dortige Entwicklung sei erst durch die Betrachtung zweier Widersprüche verständlich: der Konflikt zwischen den Oligarchen-Clans innerhalb der Ukraine sowie der zwischen der Oligarchenklasse auf der einen und der in der Mehrheit lohnabhängigen ukrainischen Bevölkerung auf der anderen Seite.
Imperialistische Konkurrenz im Ukrainekonflikt
Diese Auseinandersetzungen bilden den Hintergrund für die internationalen Einwirkungen auf das Land. Hier gibt es keine »gute« Seite, die für die Linke Referenzpunkt sein könnte. Russland und westliche Staaten wie Deutschland und die USA rivalisieren um politischen und wirtschaftlichen Einfluss in der strategisch und wirtschaftlich bedeutsamen Ukraine. Sie verfolgen allesamt imperialistische Ziele.
Henning ist ein großer Wurf gelungen. Er liefert die erste kurzgefasste marxistische Übersicht zu den Massenbewegungen in der Ukraine und dem niederschwelligen Bürgerkrieg im Osten des Landes. Er beschreibt die Ansätze einer antinationalistischen Linken in der Ukraine, die Referenzpunkt für internationale Solidarität ist. Und er geht weit in die Geschichte des 20. Jahrhunderts zurück, um eine Alternative für die Zukunft zu skizzieren. So hat es infolge der Oktoberrevolution 1917 laut Henning eine Periode gegeben, in der die sozialen Forderungen der Arbeiterklasse in Russland und der Ukraine mit den Forderungen nach einer Befreiung von nationaler Unterdrückung zusammengekommen sind.
Das Buch:
Klaus Henning
Krieg im Osten. Die Ukraine zwischen Nationalismus, Imperialismus und Revolution
Berlin 2017
112 Seiten
4,50 €
Foto: Sasha Maksymenko
Schlagwörter: Analyse, Buch, Buchrezension, Euromaidan, Krieg, Maidan, NATO, Putin, Revolution, Rezension, Russland, Ukraine