Sollte DIE LINKE für ein bedingungsloses Grundeinkommen eintreten? Befürworter:innen sehen darin einen Weg, den Zwang aufzuheben, die eigene Arbeitskraft verkaufen zu müssen. Unser Autor widerspricht
Nils Böhlke ist Bundessprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaft der LINKEN.
Im September werden die Mitglieder der LINKEN aufgefordert, sich an einem Mitgliederentscheid zum sogenannten bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) zu beteiligen. Im bislang gültigen Erfurter Programm von 2011 steht sinngemäß, dass es Mitglieder gibt, die das BGE befürworten, die Diskussion darüber aber innerparteilich geführt wird. Diese Formulierung soll nach dem Wunsch der Initiatoren des Mitgliederentscheids dahingehend geändert werden, dass das BGE nun zu einer eindeutigen Forderung der Partei wird.
Die Idee hinter dem Grundeinkommen
Ein Einkommen für alle, unabhängig von der eigenen sozialen Situation, das die Grundbedürfnisse abdeckt und den Zwang aufhebt, die eigene Arbeitskraft verkaufen zu müssen – diese Idee wirkt zunächst einmal faszinierend einfach und überzeugend für alle, die sich nicht damit abfinden möchten, dass Menschen im Kapitalismus zur Erwerbsarbeit gezwungen sind.
Viele Menschen schleppen sich über Jahrzehnte zu Jobs, die sie hassen, weil sie irgendwie sich und möglicherweise auch ihre Familie finanzieren müssen. Andere würden gerne arbeiten, müssen aber von Hartz IV leben und sich vor dem Amt regelrecht ausziehen, um an Leistungen zu kommen, die eigentlich überhaupt nicht existenzsichernd sind.
Die aktuellen Krisenerfahrungen sind radikal. Die Antworten darauf müssen ebenfalls radikal sein. Umso verständlicher, dass Menschen Anhänger:innen dieser scheinbar radikalen Idee werden. Dennoch halte ich die Forderung nach einem BGE für keine Lösung für die genannten Probleme und meine, dass sie strategisch in die Irre führt.
Arbeitgeber würden geschont
Im Kapitalismus werden jeden Tag unermessliche Werte geschaffen. Milliarden Menschen erarbeiten täglich überall auf der Welt Produkte und Dienstleistungen, die unser aller Leben ermöglichen und möglichst einfach und angenehm machen. Sie dürfen allerdings fast durchgängig weder entscheiden, was und wie sie produzieren, noch bekommen sie den Gegenwert dessen, was sie durch ihre Arbeit schaffen, ausgezahlt. Um dies zu entscheiden und dafür zu sorgen, dass sie den Gegenwert ihrer Arbeit auch erhalten, müssten ihnen die Fabriken gehören. Das ist aber nicht der Fall und daran wird sich auch durch die Einführung des BGE nichts ändern.
Arbeit bekäme Charakter eines Zuverdienstes
Da der Lohn, den die Menschen für ihre Arbeit bekommen, aber nunmal viel zu gering ist, wollen die Anhänger:innen des Grundeinkommens, dass jede:r erstmal ein Grundeinkommen vom Staat erhalten soll und der Lohn dann auf diese Summe oben drauf kommt. Das Grundeinkommen wiederum wird aus den Steuermitteln des Staates bezahlt, die auch nur aus den Werten generiert werden können, die von den Menschen erarbeitet wurden. Damit würden aber letztlich die Arbeitgeber geschont, die für den täglichen Raub eines Teils der Arbeitsleistung verantwortlich sind und von diesem profitieren.
Lohnkampf statt Lohnsubvention
Tatsächlich könnten die Arbeitgeber die Einkommen sogar senken, weil die Existenzsicherung bereits durch das staatliche Grundeinkommen stattfindet. Bislang müssen sich Unternehmen bei Lohnzahlungen nämlich an der Höhe der Reproduktionskosten orientieren.
Wenn der Staat aber sicherstellt, dass die Menschen durch ein BGE ausreichend Einkommen für Wohnraum, Essen und Kleidung haben, muss der Lohn nicht mehr existenzsichernd sein. Arbeit bekäme den Charakter eines Zuverdienstes. Das ist aber das Gegenteil dessen, was wir gerade brauchen.
Wir brauchen stattdessen höhere Einkommen, die den Unternehmen den Mehrwert abspenstig machen und perspektivisch auch eine Überwindung der Produktionsverhältnisse. Dies gelingt aber nur durch einen gemeinsamen Kampf und nicht durch eine Maßnahme, die zu Lohnsubvention führt.
Alle Menschen gleich zu behandeln – unabhängig von ihrer jeweiligen persönlichen Situation – ist nicht gerecht.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle ist zudem auch bezüglich der Frage der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums nicht gerecht. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Familien Albrecht die gleiche Unterstützung erhalten soll, wie die vielen Kassier:innen in den Aldi-Filialen. Alle Menschen gleich zu behandeln – unabhängig von ihrer jeweiligen persönlichen Situation – ist nicht gerecht.
Linke Sozialpolitik sollte diejenigen unterstützen, die es dringend benötigen. Deshalb muss Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden. Geholfen werden muss denen, die es brauchen.
Grundeinkommen vs. Mindestsicherung
Nun wird die Bedingungslosigkeit damit begründet, dass dadurch die Repressionen einer Bedürftigkeitsprüfung umgangen werden und der Familie Albrecht das BGE mit der Einkommensteuer wieder abgezogen wird. Aber erstens ist die Forderung nach der Abschaffung des Repressionssystems ohnehin Konsens in der Linken – dafür braucht es kein BGE – und zweitens ist es auch widersprüchlich erst ein Ende der Überprüfung der Einkommensverhältnisse zu fordern und dann über die Einkommensteuer einer solchen doch zuzustimmen.
Und wenn ohnehin eine Überprüfung stattfindet, ist nicht nachvollziehbar, weshalb diese nicht bereits im Vorfeld stattfindet und so dafür sorgt, dass eine repressionsfreie, existenzsichernde Mindestsicherung lediglich an all diejenigen ausgezahlt wird, die sie auch wirklich brauchen.
Anstatt mit einem Grundeinkommen alle gleich zu behandeln und so zu tun, als sei das sozial gerecht, sollte die Auseinandersetzung um den Ausbau des Sozialstaates im Bündnis mit Gewerkschaften, Sozialverbänden und Kirchen offensiv geführt werden.
Strategische Orientierung
Für ein existenzsicherndes Grundeinkommen müssten jährlich etwa 1.000 Milliarden Euro mehr mobilisiert werden. Selbstverständlich wollen wir den unerhörten Reichtum der Millionär:innen und Milliardär:innen gerecht verteilen, aber gesellschaftliche Umverteilung tritt nicht einfach ein, nur weil man es finanziell durchrechnet und programmatisch beschließt. Umverteilung ist vielmehr das Ergebnis gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse.
Die Quelle der Macht der Reichen und Superreichen ist die tägliche Enteignung von Millionen Menschen in den Betrieben. Ihnen wird ein Teil dessen vorenthalten, was sie täglich erarbeiten, und in die Taschen der Reichen umgeleitet. Wer an dieser Quelle der Spaltung in Kapital und Arbeit nicht ansetzt, wird die bestehenden Ungerechtigkeiten nicht überwinden.
Der mühevolle Kampf um kleine Entgeltsteigerungen zeigt, wie wenig Interesse Reiche und Superreiche an Umverteilung haben. Es braucht emanzipatorische Kämpfe, um Veränderung durchzusetzen. Dazu zählen die Kämpfe um Arbeitszeitverkürzung, eine höhere Personalbemessung in Krankenhäusern, die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit oder die Abschaffung von Hartz IV – all das stärkt die Beschäftigten im Betrieb und kann die Kräfteverhältnisse für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen verschieben. DIE LINKE muss sich deshalb um betriebliche Verankerung bemühen und diese Kämpfe leidenschaftlich unterstützen und sich nicht an programmatische Forderungen klammern, die an den realen Kämpfen in den Betrieben vorbeigehen.
Die Macht liegt nicht im Parlament
Anhänger:innen des BGE argumentieren nun, dass durch dieses der Zwang, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen, wegfallen würde, weil bei einem BGE in ausreichender Höhe die Aufnahme einer Erwerbsarbeit freiwillig wäre. Das ist allerdings eine gefährliche Illusion. Die Vorstellung, dass innerhalb des Kapitalismus durch Abstimmungen in Parlamenten Reformen durchgesetzt werden könnten, die den Zwang aufheben, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen und damit ein wesentliches Fundament des Kapitalismus durch Parlamentsabstimmungen überwunden werden könnte, abstrahiert völlig von den realen Machtverhältnissen.
Wir brauchen Visionen und keine Utopien.
Die wirkliche Macht liegt eben nicht in den Parlamenten, sondern in den Konzernzentralen und bei deren Eigentümer:innen. Die Vorstellung, dass durch eine gute Idee im Parlament denen die Machtbasis entzogen werden könnte, hat nichts mit der Realität zu tun.
Generell argumentieren Anhänger:innen des BGE in der Regel so, dass sie formulieren, was möglich wäre, wenn das BGE bereits eingeführt wäre. Der Sprung von den realen Gegebenheiten hin zu dem Punkt, an dem dies der Fall wäre, wird aber nicht vollzogen. Es wird nicht erklärt, wie ein BGE angesichts der gegebenen Kräfteverhältnisse überhaupt durchgesetzt und eingeführt werden könnte. Das macht das BGE zu einer Utopie. Wir brauchen aber Visionen und keine Utopien.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine überarbeitete Version eines Artikels von Nils Böhlke und Ulrike Eifler, der zuerst im Februar 2022 auf der Webseite der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaft der LINKEN erschienen ist.
Foto: stanjourdan / Wikimedia Commons
Schlagwörter: Arbeitsmarkt, Gewerkschaften