Die AfD streitet über den Umgang mit Björn Höcke und seiner Forderung nach einer »erinnerungspolitischen 180-Grad-Wende«. Ist der Fall Höcke nur ein Betriebsunfall? Wie weit ist der Antisemitismus in der Partei verwurzelt? Und welche Rolle spielen die unterschiedlichen Flügel in dem Konflikt? Im Vorfeld des AfD-Bundesparteitages beantworten wir die wichtigsten Fragen zum Umgang der Partei mit dem Gedenken an die Nazi-Verbrechen. Von Volkhard Mosler
Am 22. April wird die AfD ihren Bundesparteitag in Köln bestreiten. Wie stellt sich die Lage in der Partei zur Zeit da? Nach seinen Äußerungen zum Berliner Holocaust-Mahnmal droht Björn Höcke der Parteiausschluss – doch mit strafrechtlichen Konsequenzen muss der Thüringer AfD-Chef nicht mehr rechnen. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen Höcke inzwischen eingestellt. Und auch parteiintern wird die »Rede« wohl keinerlei Konsequenz für ihn haben. Im Gegenteil: Seit dem Parteiauschluss-Antrag des AfD-Bundesvorstands gegen Björn Höcke sammelt sich der neofaschistische Flügel unter dem Schlachtruf der Einheit und konnte seine Machtposition weiter ausbauen.
Listenaufstellung stärkt Höcke-Flügel
Petry und ihre Anhängerinnen und Anhänger sehen sich als Spalter in die Defensive gedrängt. In den mitgliederstärksten Landesverbänden Ba-Wü und NRW sind die Kandidatinnen und Kandidaten des Petry-Flügels bei der Listenaufstellung zur Bundestagswahl jeweils knapp durchgefallen. In Sachsen wurde Jens Maier, der mit Höcke zusammen auf der berüchtigten Dresdner Veranstaltung Mitte Januar aufgetreten war, auf Platz 2 der sächsischen Landesliste für die Bundestagswahl gewählt – mit einer erdrückenden Mehrheit von 80 Prozent der Delegierten. In allen Fällen spielte die Frage des Ausschluss-Verfahrens gegen Höcke eine wichtige Rolle. Der gewählte NRW-Listenführer Martin Renner sprach von einer »Schuldkult-Hypermoralisierung«, die in Deutschland herrsche. Im Stuttgarter Landtag stellte die AfD zwei Tage nach der Dresden-Rede Höckes einen Antrag auf Streichung von Fördergeldern für die NS-Gedenkstätte im früheren KZ Gurs. Außerdem solle es für Schüler keine Fahrten zu Gedenkstätten des nationalsozialistischen Unrechts mehr geben, sondern nur noch Exkursionen zu »bedeutsamen Stätten der deutschen Geschichte.«
Die AfD und die Erinnerungskultur
Was ist aber eine »bedeutsame« Stätte deutscher Geschichte? Ist Auschwitz nicht bedeutsam? Im Alltagsgebrauch ist ein Gegenstand oder ein Sachverhalt bedeutsam, wenn er als wichtig angesehen wird. Kein anderes Ereignis der letzten 100 Jahre hat die deutsche und europäische Geschichte aber mehr geprägte als der Zweite Weltkrieg und kein anderes Ereignis symbolisiert seine Schrecken mehr als die Massenmorde in den Konzentrationslagern. Die AfD hält den Kampf gegen das Erinnern an die Gräuel der Naziherrschaft für so wichtig, dass sie ihn als Aufgabe und Forderung in ihr Parteiprogramm aufnahm.
Der Kampf gegen das Gedenken hat eine lange Tradition
Der Kampf gegen das Gedenken an die Nazi-Verbrechen ist so alt wie die Bundesrepublik Deutschland und er wurde keineswegs nur von NSDAP-Nachfolgeorganisationen wie der DRP oder der NPD geführt. So legte die FDP im Bundestagswahlkampf 1949 ein Plakat »Schlussstrich drunter!« mit der Forderung »Schluss mit Entnazifizierung« auf. In den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg, als die Massenmörder noch lebten und wieder führende Positionen in Staat und Wirtschaft inne hatten, diente die Forderung nach einem Schlussstrich in erster Linie dem Täterschutz. Daneben gab es aber immer auch Versuche, den völkischen Nationalismus als politische Strömung wiederzubeleben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Deutsche Wehrmacht, das Deutsche Reich, die deutsche Nation, der deutsche Nationalstolz und die deutsche Ehre untergegangen. Durch die Dreiteilung Großdeutschlands in BRD, DDR und Österreich erschien auch das Ende des völkischen Nationalismus besiegelt, wie er sich vor dem ersten Weltkrieg in der Zeit imperialistischer Weltherrschaftspläne herausgebildet hatte.
Der völkische Nationalismus
Der völkische Nationalismus kennzeichnete einen aggressiven, imperialistischen Herrschaftsanspruch nach außen und einen biologisch und kulturell homogenen Volkskörper nach innen. Er richtete sich – vor dem Ersten Weltkrieg – gegen Chinesen, Slawen, Afrikaner, aber auch gegen Engländer und Franzosen. Er gipfelte in der von Kaiser Wilhelm II 1907 in einer Rede gebrauchten Formel »Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.« Schon in den 1880er Jahren war es zu einer kurzen Berührung und Überschneidung von einem nach innen gewandten Antisemitismus und völkisch-nationalen Anschauungen gekommen. Aber erst mit dem vorläufigen Ende deutscher Weltherrschaftspläne mit der Niederlage von 1918 kommt es zu einer Verschmelzung von völkischen Nationalismus und Antisemitismus zu jener präfaschistischen Weltanschauung, an die Hitler und seine faschistische Bewegung dann bruchlos anknüpfen konnte. Das Dilemma des völkischen Nationalismus nach 1945 ist hinreichend benannt, wenn wir »Deutschland über alles« und Auschwitz zusammen denken. Die Barbarei des Holocaust passt schlecht zum Anspruch Deutschlands als »Kulturnation«.
Die AfD und der völkische Nationalismus
Die AfD ist spätestens seit ihrer Spaltung 2015 bemüht, den einen Aspekt des alten völkischen Nationalismus wieder zu beleben, nämlich den nach innen gerichteten Kampf um die Wiederherstellung eines ethnisch einheitlichen Volkskörpers. Auch sie hat den völkischen Nationalismus nicht entdeckt. Friedrich Merz (CDU) hatte 2000 die Unterwerfung von Einwanderern unter eine »deutsche Leitkultur« gefordert und zugleich damit an Ideen eines »multikulturellen Deutschland« eine Absage erteilt. Thilo Sarrazins »Verdienst« war es 2010 dann, »die Muslime« als nicht integrierbaren und nicht assimilierbaren »Fremdkörper« an einem wieder herzustellenden ethnisch homogenen deutschen Volkskörper zu identifizieren. Der völkische Nationalismus ist unter entscheidender Mitwirkung konservativer (Merz) und sozialdemokratischer Ideologen (Sarrazin) eine neue Symbiose mit dem Rassismus eingegangen – dieses Mal sind es Muslime und der Islam, die als nicht assimilierbar und integrierbar ausgeschieden werden müsse. Bis hierher sind sich Höcke, Petry und die gesamte AfD durchaus einig. Aber es bleibt der dunkle Schatten von Auschwitz, der dem deutsch-völkischen Nationalismus im Weg ist.
Der völkische Nationalismus hat in Deutschland überhaupt nur eine Zukunft, soweit es ihm gelingt, diesen Schatten zu beseitigen oder aber zumindest in den Hintergrund zu drängen. Der geistige Mentor von Höcke, Götz Kubitschek, berichtet von einem dann nicht zustande gekommenen Projekt einer gemeinsamen Reise zusammen mit einem »bekannten Sozialdemokraten« nach Auschwitz und nach Dresden. Unausgesprochener Zweck der Reise wäre natürlich die »Einordnung« des Holocaust in die Geschichte, die Relativierung deutscher Schuld durch Gleichsetzung mit der Schuld anderer Nationen.
Antisemitismus in der AfD
Historiker haben Anfang der 1960er Jahre den Begriff des »sekundären Antisemitismus« für diese Form der Entsorgung deutscher Geschichte geprägt. Der sekundäre Antisemitismus unterscheidet sich vom primären oder geschichtlichen Antisemitismus dadurch, dass das Judentum selbst nicht geschmäht wird, aber die Vernichtung des europäischen Judentums im Zweiten Weltkrieg durch den deutschen Nationalsozialismus in seiner Einmaligkeit geleugnet wird. In der AfD gibt es beides, den primären Antisemitismus von Björn Höcke und Wolfgang Gedeon, sowie den sekundären Antisemitismus in der gesamten Partei bei allen Strömungen und Flügeln. Meuthen, Gauland und Petry habe sich selbst nicht im Sinne eines primären Antisemitismus geäußert. Sie sehen viel mehr die Gefahr, dass die AfD ihre Kräfte in einem Mehrfrontenkampf verausgabt und damit ihre Hauptfront gegen Islam und Flüchtlinge schwächt.
Erledigt sich die AfD von alleine?
Eine Spaltung der Partei über diesen Konflikt ist jedoch nicht in Sicht. Die Hoffnung vieler Liberaler, dass sich das Gespenst der völkisch-nationalen Konkurrenz von selbst erledigen werde, ist gefährlich. Petry und Meuthen haben angesichts der schädlichen Wirkung eines öffentlich ausgetragenen Dauerkonfliktes vielmehr einen Waffenstillstand geschlossen. Die Rückschläge, die der Petry-Flügel bei den Listenaufstellungen in den Landesverbänden erlitten hatte, zeigen zudem, dass die Machtbasis des neofaschistischen Flügels hinter Höcke durch den Konflikt mit Petry nicht schwächer sondern stärker geworden ist. Der Aufruf eines kleinen Teils des äußersten rechten Flügels nach einem Sturz Petrys durch vorgezogene Neuwahl des Bundesvorstands hat zwar nicht die Unterstützung Höckes und Gaulands gefunden, zeigt aber, woher der Wind in der AfD weht. Der (wiederholte) Versuch Petrys und Pretzells, Höcke loszuwerden, ist nicht nur gescheitert, er droht als Bumerang nach der Bundestagswahl zurück zu kehren und Petry zu treffen.
Protest gegen die AfD ist wichtiger den je
Am 22. und 23. April will die AfD ihren Bundesparteitag in Köln abhalten – dagegen formiert sich bundesweiter Protest. Das ist genau die richtige Antwort auf den Vormarsch des neofaschistischen Flügels in der AfD. Nur eine antirassistische Massenbewegung vergleichbar mit der Lichterketten-Bewegung gegen die Republikaner 1992/93 kann die AfD in Bedrängnis bringen.
Schlagwörter: Antifaschismus