»Aloys« ist ein bizarrer Film über die Entfremdung in der modernen Gesellschaft. Phil Butland fand ihn faszinierend – und ist dennoch froh, dass es nicht mehr davon gibt
Aloys (Georg Friedrich) ist ein Privatdetektiv, der Sohn im Detekteinamen »Adorn und Sohn«. Seit sein Vater vor Kurzem verstorben ist, lebt er allein mit seiner Katze im achtzehnten Stock eines düsteren Hochhauses. Er hat es noch nicht völlig geschafft, sich von seinem Vater zu verabschieden und sagt immer noch »wir« statt »ich«.
Sein Beruf: untreuen Ehemännern hinterherspionieren
Aloys‘ Beruf isoliert ihn. Seine Arbeit besteht darin, Männer zu filmen, die ihre Frauen betrügen. Kontakt mit den Fremdgehenden versucht er zu vermeiden. Die Isolation entspricht seinem Weltbild, das er an späterer Stelle beschreibt: »… die übrige Welt ist wie ein Fest und jedes Fest geht irgendwann einmal zu Ende. Was bleibt, sind einsame Menschen. Und die gehen dann auf‘s nächste Fest. Und wieder aufs nächste. Und dabei werden sie immer einsamer.«
Um sich vor dieser Einsamkeit zu schützen, hält Aloys Abstand zu den Menschen. Er hat nicht einmal eine Emailadresse und pendelt zwischen Arbeit und seiner Wohnung. Zu hause schließt er die Tür und macht nicht auf, obwohl eine Nachbarin – ein mysteriöses Mädchen asiatischer Herkunft – häufig bei ihm klopft.
Eine Therapiemethode aus Japan
Eines Tages erwacht Aloys in einem parkenden Bus. Neben ihm liegt eine leere Whiskyflasche, aber seine Videokamera und die -bänder sind verschwunden. Eine Kette von Ereignissen bringt ihn in Kontakt mit seiner Nachbarin Vera (Tilde von Overbeck), die genauso zurückgezogen lebt wie er.
Vera ist Wärterin im Zoo und es scheint ihr leichter zu fallen Beziehungen zu Tieren aufzubauen als zu Menschen. Nach einem Selbstmordversuch kommt sie in eine Klinik, von wo aus sie Aloys regelmäßig anruft. Sie erzählt ihm vom »Telefonwandern«, einer Methode, die japanische Neurologen erfunden haben. Dabei sollen Paare in Telefongesprächen imaginäre Welten entwickeln, um ihre Schüchternheit zu überwinden. So treffen sich die beiden in einem selbsterfundenen Wald, wo Aloys eine Vera kennenlernt, die sich leicht von der realen Person unterscheidet (zum Beispiel hat Aloys‘ Vera eine Zahnlücke). Letztendlich aber ist der Unterschied zwischen Realität und Aloys Fantasie weder immer erkennbar, noch besonders wichtig. Der Film ist eine Fiktion und Aloys‘ Erfahrungen sind nur eine weitere Fiktion innerhalb dieser Fiktion.
Aloys ist eine unzeitgemäße Figur
»Aloys«, der Film, ist melancholisch – manchmal sogar traurig – aber auf keinen Fall freudlos. In einer Szene sitzen Aloys und Vera nebeneinander und spielen auf einer elektrischen Orgel während ihre Nachbarn tanzen und klatschen. Es ist eine der fröhlichsten, die ich seit langem im Kino gesehen habe. Aber der Film beschäftigt sich ernsthaft mit Einsamkeit und Entfremdung in der modernen Gesellschaft. Der schweizer Regisseur Tobias Nölle beschreibt Aloys als »eine extrem unzeitgemäße Figur: Heute kämpft jeder um größtmögliche Sichtbarkeit und Anerkennung, wahrgenommen zu werden und ›likes‹ zu sammeln ist die Selbstflucht der digitalen Generation. Aloys ist das pure Gegenteil.«
Obwohl Nölle diese Ablehnung der Normen der modernen Gesellschaft als Deformation sieht, weigert er sich, ein Urteil über Aloys‘ und Veras soziale »Schwäche« zu fällen. Der Film respektiert sie, wie sie sind, und suggeriert nie, dass ihr Leben irgendwie wertvoller wäre, wenn sie nur ein paar Freundschaften schließen könnten.
Plädoyer für die Lebenslust
Die Beziehung zwischen Aloys und Vera ist künstlich, da er in seiner Wohnung und sie in der Klinik eingeschlossen ist. Sie ist aber trotzdem real und wir können die Entwicklung der beiden durch ihre Telefongespräche beobachten. Nölle hat die Seelenlosigkeit der moderne Gesellschaft erkannt und klar dargestellt. Er sieht aber auch, wie wir trotzdem Freude am Leben finden können. So kombiniert der Film eine pessimistische Weltanschauung mit Lebenslust. Es ist vielleicht gesund, dass es nicht allzu viele Filme wie »Aloys« gibt. Aber wir hätten etwas Hervorragendes verpasst, wenn Nölle ihn nicht gemacht hätte.
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