Die Gewerkschaften
Die SPD hatte großen Einfluss auf die Gewerkschaften. Viele Gewerkschaftsführer waren Parteimitglied. So verfolgten sie ebenfalls die „Politik des kleineren Übels« und tolerierten die Notstandsregierungen. Am 20. Juli 1932 rief die Gewerkschaftsführung nicht zum Generalstreik gegen den Staatsstreich in Preußen auf. Auch sie glaubte, die Nationalsozialisten auf verfassungsmäßigem Wege verhindern zu können. Selbst nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB): »Wir wollen uns den Generalstreik als äußerste Eventualität aufheben«. Theodor Leipart, der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes, fügte hinzu: „Es bedarf keiner Hervorhebung, dass die Gewerkschaften zu dieser Regierung in Opposition stehen. Das kann und wird sie aber nicht daran hindern, die Interessen der Arbeiterschaft auch gegenüber dieser Regierung zu vertreten (…). Organisation, nicht Demonstration: das ist die Parole der Stunde.«
Die KPD
Die einzige Arbeiterorganisation, die auf außerparlamentarischen Widerstand gegen die Nazis setzte und gleichzeitig in Opposition gegen den Sozialabbau der Regierung stand, war die KPD. Aber auch sie versagte.
Seit Ende der 1920er Jahre war sie vollkommen »stalinisiert«: Offene Diskussion fand innerhalb der Partei nicht mehr statt, Kritiker wurden kurzerhand ausgeschlossen. Den Kurs der KPD bestimmten nicht ihre Mitglieder, sondern Stalin in Moskau.
Dieser vertrat zu jener Zeit die Ansicht, die Sozialdemokraten seinen »Sozialfaschisten«. So erklärte die KPD-Spitze die SPD ab 1929 zum „Hauptfeind«, der die Arbeiter davon abhielte, gegen den Kapitalismus zu kämpfen. Eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten – auch gegen die Nationalsozialisten – lehnte sie ab: »Die Sozialfaschisten wissen, dass es für uns mit ihnen kein gemeinsames Zusammengehen gibt. Mit der Panzerkreuzerpartei, mit den Polizeisozialisten, mit den Wegbereitern des Faschismus kann es für uns nur Kampf bis zur Vernichtung geben.«
Tatsächlich schien die Politik der SPD die kommunistische These zu stützen. Und der so genannte »Blutmai« 1929 – als die vom Sozialdemokraten Karl Friedrich Zörgiebel geleitete Berliner Polizei dutzende kommunistische Demonstranten erschoss – förderte der Spaltung innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung noch. Jedoch erkannten die Kommunisten nicht, dass die Hauptgefahr vielmehr von den Nationalsozialisten ausging.
Zudem waren sie nicht in der Lage, den vom Sozialabbau Betroffenen eine Alternative zur Politik der Sozialdemokratie anzubieten – im Gegenteil. Ihre hauptsächlich gegen die SPD gerichtete Rhetorik führte sie nicht nur in abenteuerliche Allianzen – 1931 unterstützte sie einen von Nationalsozialisten und Deutschnationalen initiierten Volksentscheid gegen die sozialdemokratisch geführte preußische Landesregierung – sondern entfernte sie auch von den Massen. Zwar brachte ihre radikale Politik gewisse Erfolge, weil das verzweifelte Heer der Arbeitslosen sich ständig vergrößerte und viele radikalisierte Menschen ihre Hoffnung auf die KPD setzten. Doch außerhalb dieses Kreises sprach die Partei nur wenige Menschen an. In den Betrieben waren die Kommunisten kaum mehr präsent. Im Herbst 1932 machte der Anteil lohnabhängig beschäftigter Arbeiter an der Gesamtmitgliedschaft nur noch 11 Prozent aus. Die Parteiführung erkannte nicht, dass die Hauptnutznießer der Krise die Nationalsozialisten waren. Vielmehr erklärte sie sich – von Selbstüberschätzung geblendet – nach der Reichstagswahl 1930 zum »einzig wahren Sieger« – trotz der Verachtfachung der NSDAP-Stimmen.
Letztendlich trug die Politik der KPD zu ihrem Untergang mit bei. Wenige Monate nach der Machtübernahme Hitlers wurde die Partei verboten und tausende ihre Mitglieder – ebenso wie viele der von ihnen bekämpften Sozialdemokraten – in die ersten Konzentrationslagern des NS-Regimes gesperrt.
Die neue Linke
Deutschland hatte Ende der 1920er Jahre die stärkste organisierte Arbeiterbewegung der Welt. Fünf Millionen Arbeiter gehörten den Gewerkschaften des ADGB an, über eine Million Menschen waren Mitglied der SPD, eine Viertelmillion der KPD. Trotzdem kapitulierte die deutsche Arbeiterbewegung kampflos vor Hitler. Der Grund hiefür war, dass weder die Gewerkschaften noch die linken Parteien eine Erfolg versprechende Strategie im Kampf gegen den Sozialabbau und die Nazis hatten.
Geschichte muss sich nicht wiederholen. Ein Schritt, um es zu verhindern, ist der Aufbau der LINKEN zu einer Partei, die in den Betrieben verankert ist, den Widerstand gegen Sozialabbau stärkt und so der »Bewegung der Verzweifelten« der Nazis eine »Bewegung der Hoffnung« entgegenstellt.
Über den Autor:
Marcel Bois ist Historiker und arbeitet im Gesprächskreis Geschichte der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit.