Am 30. Januar jährt sich die Machtübernahme Hitlers zum 75. Mal. Marcel Bois schreibt über die Weltwirtschaftskrise, den Aufstieg der Nationalsozialisten und die Fehler der Linken.
Millionen Arbeitslose, Kinderarmut, Suppenküchen in den Großstädten, Wahlerfolge der Nazis – unweigerlich denkt man an die frühen 1930er Jahre. Aber wir befinden uns im Jahr 2008. Deutschland erlebt seit einigen Jahren die schärfste soziale und politische Krise seit der Weimarer Republik.
Diese erste Republik auf deutschem Boden endete am 30. Januar 1933 mit der Machtübernahme Hitlers. In der Folgezeit zeichnete sich dessen Diktatur verantwortlich für Unterdrückung, Elend und millionenfachen Mord. Sie stürzte die Welt in einen schrecklichen Krieg und produzierte den Holocaust. Doch der Aufstieg der Nazis war nicht zwangsläufig.
Weltwirtschaftskrise 1929
Noch wenige Jahre vor der Machtübernahme war Hitlers Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) gesellschaftlich unbedeutend. Doch innerhalb kürzester Zeit war die NSDAP von einer Randerscheinung der Weimarer Gesellschaft zu einer Massenpartei geworden. Hatten die Nationalsozialisten 1928 gerade einmal 2,6 Prozent der Wählerstimmen erhalten, so zogen sie 1930 mit einem Stimmenzuwachs von 5,6 Millionen als zweitstärkste Fraktion in den Reichstag ein. Zwei Jahre später konnten sie ihre Stimmenzahl noch einmal mehr als verdoppeln und wurden mit 37,3 Prozent stärkste Kraft. Dazwischen lag die Weltwirtschaftskrise von 1929. Ohne diese zu betrachten kann der Aufstieg des Faschismus in Deutschland nicht erklärt werden.
Im Oktober 1929 wurde der Kapitalismus bis auf seine Grundfeste erschüttert: Beginnend mit dem Börsencrash an der New Yorker Wall Street kam es zur größten Krise aller Zeiten. Weltweit sank die Industrieproduktion zwischen 1929 und 1932 um 29 Prozent. Deutschland wurde noch stärker als andere Staaten von der Krise erfasst. Die Auswirkungen waren hierzulande besonders verheerend, da die deutsche Wirtschaft weitgehend von Auslandskrediten – vor allem aus den USA – abhängig war. Als diese zurückgezogen wurden, ging die Industrieproduktion innerhalb von zwei Jahren um 40 bis 50 Prozent zurück. Große und kleine Firmen gingen Bankrott. Erhebliche Teile des Mittelstandes stürzten in Armut. Die Löhne der Arbeiter wurden durchschnittlich um ein Drittel gesenkt. Die Arbeitslosigkeit wuchs von 1,3 Millionen im Jahr 1929 auf etwa 6 Millionen Anfang 1933.
Von 1930 bis 1932 zerschlugen die Regierungen Brüning und von Papen den Sozialstaat fast vollständig. 1932 bekam ein Arbeitsloser nur noch maximal 6 Wochen Arbeitslosengeld. Gleichzeitig wurde es fast halbiert. Die Fürsorge (heutige Sozialhilfe) bezahlte nur noch die Miete und eine warme Suppe aus der Notküche. In den Städten herrschte Hungersnot.
Die Zerschlagung des Sozialstaats geschah im Interesse der deutschen Wirtschaft. So hatte zuvor der Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI) gefordert, dass der Sozialstaat »den Grenzen wirtschaftlicher Tragfähigkeit angepasst« werden sollte. Die Kapitalisten sprachen von »einer unberechtigten, die Volksmoral schädigenden Ausnutzung ihrer Einrichtungen.« Sie behaupteten, der »übermäßige« Sozialstaat, zu hohe Löhne und zu niedrige Arbeitszeiten hätten die Krise verursacht. Sie kündigten Tarifverträge, kürzten Löhne und schafften den Achtstundentag ab.
Die Regierung wollte mit den Kürzungen die Wirtschaft entlasten, deutsche Produkte auf dem Weltmarkt billiger machen und so die Wirtschaft ankurbeln. Doch da alle Industriestaaten dieselbe Politik betrieben, kam es zu keinem Aufschwung. Lediglich die Armut stieg immer weiter.