In ihrer Vernon-Subutex-Trilogie schildert Virginie Despentes meisterhaft, ein Tableau der heutigen, von Abstiegsängsten geplagten französischen Gesellschaft mit ihren – wenigen – Gewinnern und – deutlich zahlreicheren – Verlierern. Von Clara Dircksen
Im Herbst schließt sich die Vernon-Subutex-Trilogie von Virginie Despentes. Der erste Band begleitet den ehemaligen Plattenhändler Subutex auf der letzten Etappe seines langen sozialen Abstiegs: vom Arbeitslosen zum Penner, der fast auf einer Parkbank krepiert. Bis es dazu kommt, versucht sich der Titelheld mithilfe seines alten Freundesnetzwerks aus besseren Zeiten, als sein Plattenladen Mittelpunkt der Pariser Rockszene war, über Wasser zu halten. Ein Plot, den Despentes meisterhaft dazu nutzt, ein Tableau der heutigen, von Abstiegsängsten geplagten französischen Gesellschaft mit ihren – wenigen – Gewinnern und – deutlich zahlreicheren – Verlierern zu erschaffen (Lies hier den Artikel: Frankreich zwischen Unterdrückung und Aufruhr).
Das Leben des Vernon Subutex
Im zweiten Band machen sich all jene, die Subutex zunächst seinem Schicksal überließen, reuig auf die Suche nach dem alten Freund. Sie stöbern ihn auf, doch anstatt sich mit ihrer Hilfe in die prekäre Normalität zurückzukämpfen, bezieht Subutex Quartier im Park des Buttes-Chaumont, wo er schnell zum Mittelpunkt einer sich täglich einfindenden Runde von Obdachlosen, vom Leben enttäuschten Mittelschichtlern, Ex-Porno-Stars, Säufern, kurz: der Gesellschaft Entfremdeten und Verstoßenen, wird und bald auch wieder als DJ sein geradezu magisches Talent entfalten kann. In einer parallelen Kriminalgeschichte wird der niederträchtige und sexistische Filmproduzent Dopalet des Mordes an einer Pornodarstellerin überführt und bekommt die Rache der Frauen zu spüren.
Zumutungen des Spätkapitalismus
Die Ausgestoßenen schaffen sich ein Refugium vor den Zumutungen des Spätkapitalismus und der Schurke kriegt ordentlich auf die Fresse – so hoffnungsvoll kann es nicht weitergehen. Der dritte Band wälzt sich mit der Wucht und Geschwindigkeit einer Lawine auf den Abgrund zu und reißt die Leserinnen und Leser mit sich. »Man ist immer nur Mieter seiner Lebensumstände, nie der Eigentümer«, sinniert Subutex und überlässt sich dem Sog der Ereignisse. Diese erzählt Despentes wieder aus der Perspektive höchst unterschiedlicher Charaktere.
»Subutex« ist scharfsinnige Analyse und ohrenbetäubendes Wutgebrüll zugleich.
Trotz der Kürze ihrer Auftritte schildert die Autorin deren Wahrnehmung und Motivationen so authentisch, dass man sich in alle hineinversetzen kann: in die überforderte alleinerziehende Mutter ebenso wie in den nach außen zynischen, innerlich verletzbaren bekennenden Rassisten alter Schule oder in die muslimische Jurastudentin auf der Flucht vor dem Gesetz. Das Blut gefriert einem in den Adern bei den Einblicken in die larmoyante Selbstgerechtigkeit der Profiteure unserer Gesellschaftsordnung, die mit menschenverachtender Brutalität ihre Interessen durchsetzen.
Ein Europa der sozialen Kälte
Despentes Figuren bewegen sich durch ein Europa der sozialen Kälte: »Die Armut hat sich ausgebreitet, als ob man einen Sack voll Unglück in die Straßen und die U-Bahn-Gänge ausgekippt hätte … die Hauptstadt ist eine Ausstellung von Gräueltaten, eine tägliche Vorführung dessen, was der Mensch in der Lage ist, seinem nächsten zu verwehren«, stellt die sonst nicht sonderlich mitfühlende Hyäne in Paris fest. Dazu hat die alltägliche Frauenunterdrückung unsere vermeintlich so aufgeklärte Gesellschaft fest im Griff. Despentes Antihelden wehren sich gegen all diese Zumutungen, so gut sie können, sie nehmen teil an allen aktuellen Geschehnissen, trotzen der Panik nach den Batclan-Attentaten, beteiligen sich an Nuit Debout und verlieren nicht ihren Witz.
Abglanz eines Hoffnungsschimmers
»Subutex« ist scharfsinnige Analyse und ohrenbetäubendes Wutgebrüll zugleich. Im vernichtenden letzten Band gewährt Despentes lediglich den schwächsten Abglanz eines Hoffnungsschimmers. Obwohl die Trilogie zu den besten Büchern gehört, die ich je gelesen habe, fände ich sie schwer zu verkraften ohne selbst eine machbare Vision für die Veränderung der Welt zu haben. So aber ist auch Teil 3 unbedingt zu empfehlen. Wer die ersten beiden Bände noch nicht kennt, hat mit ihnen die perfekte Literatur für die Ferien.
Das Buch
Das Leben des Vernon Subutex 3
Virginie Despentes
Kiepenheuer und Witsch
432 Seiten
22 Euro
2018
Schlagwörter: Buch, Bücher, Kultur, Rezension