Die Annahme, dass es sich beim Sturm auf das Capitol um einen Putschversuch Trumps gehandelt hat, der mit einer Niederlage Trumps geendet sei ist falsch. Der von Trump in Szene gesetzte Sturm aufs Capitol war ein Testlauf für die Zukunft für ihn. Von Volkhard Mosler
Der Sturm auf das Capitol war kein Staatsstreich und auch kein Putschversuch. Es war auch kein versuchter Staatsstreich (Lies hier das marx21-FAQ zur Wahl: »2. Droht ein Staatsstreich durch Trump und seine Unterstützer?«). Es war eine Kampfansage von Trump, der in den Jahren seiner Präsidentschaft hinter sich die radikale Rechte der USA mobilisiert und versammelt hat, an die neue Regierung von Präsident Biden.
Sturm auf das Capitol und die Rolle der Armee
Für einen erfolgreichen Putsch hätte er zumindest Teile der Armee und der Nationalgarde oder eine organisierte faschistische Bewegung hinter sich haben müssen. Die erfolgreiche Erstürmung eines zentralen Regierungsgebäudes macht noch keinen Putschversuch aus. Stattdessen hatten zehn ehemalige Verteidigungsminister ein paar Tage zuvor einen offenen Brief verfasst, in dem sie die bewaffneten Streitkräfte aufgerufen haben, sich nicht politisch einzumischen oder missbrauchen zu lassen.
Trump hält am Aufruf »Stopp the Steal« fest
Inzwischen sind drei führende Kommandeure der im Capitol am 6. Januar 2021 diensthabenden Einheiten von ihren Funktionen zurückgetreten. 10 bis 15 Polizisten werden verdächtigt, mit den Aufrührern gemeinsame Sache gemacht zu haben. Das FBI hat in einem von CNN veröffentlichten internen Bericht gewarnt, dass für den Tag der Vereidigung von Biden am 20. Januar 2021 (»Inauguration Day«) rechte Gruppen für bewaffnete Aktionen in Washington und 50 weiteren Hauptstädten der Bundesstaaten aufrufen. Trump hat sich zwar inzwischen von den Gewaltaktionen distanziert, hält aber an seinem Aufruf »Stopp the Steal« (Stoppt den Diebstahl) gegen Biden fest. Der Sturm aufs Kapitol war von Trump am 20. Dezember 2020 bereits angekündigt worden. Trump tweetete am 20. Dezember zum Marsch auf Washington: »Statistisch unmöglich die Wahl von 2020 verloren zu haben, große Proteste in DC (Washington) am 6. Januar. Seit dabei, es wird wild zugehen.«
Trump braucht den Mythos des betrogenen Siegers
Trump ist es in den letzten Monaten gelungen, mit Unterstützung der meisten Republikaner-Führer, die sich jetzt teilweise von ihm abwenden, den Mythos des Verrats seines Wahlsiegs durch die »Linke« und großen Teilen seiner Wählerinnen und Wähler, zu verbreiten. Dieser Mythos ist der Schlüssel für seine Bewegung zum Sturz des bürgerlichen demokratischen Systems der USA.
Es erinnert an den Mythos der Dolchstoßlegende, der von der Obersten Heeresleitung und Rechtskonservativen Eliten nach der militärischen Niederlage des deutschen Imperialismus 1918 als bewusst inszenierte Lüge in die Welt gesetzt wurde. Diese Lüge war damals der Schlüssel zur Mobilisierung der Konterrevolution gegen die Novemberrevolution und später gegen die Weimarer Republik. Trump braucht jetzt einen ähnlichen Mythos, um seine Wahlniederlage als Betrug an seiner Wählerschaft darzustellen. Ohne diesen Mythos des betrogenen Siegers wäre der Marsch auf das Kapitol nicht möglich gewesen.
Der rechte »Mob« und der Sicherheitsapparat
Zwei interessante Fragen stellen sich: wieso konnte der rechte »Mob«, wie ihn die bürgerlichen Medien der USA wie CNN nennen, sich gegen 2000 Polizisten und Sicherheitsleute mit ein paar Knüppeln (Fahnenstöcken) und Schildern so leicht durchsetzen? Meine These wäre, dass ein großer Teil des Sicherheitsapparates auf Trumps Seite steht, vielleicht sogar Kommandeure des Sicherheitsapparates. Unterhalb der Schwelle einer offenen Rebellion bietet sich die Möglichkeit der passiven Duldung oder einer nur symbolischen Verteidigung des Capitol.
Auf die Polizei ist kein Verlass im Kampf Rechts
Rechte Polizeieinheiten lassen sich einfach gegen Black Lives Matter Demonstrationen scharf machen, weil sie selber rassistisch denken. Den scharfe Knüppeleinsatz gegen Demonstranten, die für Trump rebellieren, bei Polizeieinheiten durchzusetzen, die selbst in ihrer Mehrheit Trump gewählt haben, erfordert einen scharfen Kurs der Kommandeure gegen die eigenen Polizisten mit hohen Strafen wie der Drohung mit fristloser Entlassung. Eines lässt sich jedoch jetzt schon sagen: auf diesen Sicherheitsdienst, auf solche Polizeieinheiten ist kein Verlass im Kampf gegen die patriotische und antidemokratische Trump-Bewegung »Make America great again«. Man kann gespannt, welche Antworten auf das Versagen des Sicherheitsdienstes noch kommen werden. Der inzwischen zurückgetretene Polizeichef vom Capitol, Steven Sund, behauptet, dass er schon zwei Tage vor dem 6. Januar und noch am Tag selber zu Beginn des Aufruhrs Verstärkung durch die Nationalgarde (Bundespolizei) gefordert hatte, dies aber von zuständiger Seite verweigert wurde.
Wie Trump die Reihen schließt
Die zweite Frage ist: warum glauben soviel Menschen, die Mehrheit der Trump-Wähler, an den Mythos ihres in der politischen Schlacht unbesiegten Präsidenten, der nur durch Betrug um seinen Wahlsieg gebracht wurde. Eines der von Trump meistgebrauchten Kampfparolen ist »Fake News« – auf Pegida-Deutsch »Lügenpresse«. Der Begriff steht für seinen gesamten Politik-Stil, sich als »Mann des Volkes« zu präsentieren, der gegen die herrschenden Eliten, vor allem der politischen Eliten und deren Medien steht und mit der Parole »Make America great again«, das Wohl der kleinen Leute vertritt.
Trump als Demagoge
Es geht hier gar nicht um Wahrheit oder Unwahrheit, es geht um soziale Unsicherheit und Verarmung großer Teile der Bevölkerung, um Entwürdigung von Menschen, die sich nach Würde sehnen. Als in Berlin der 1890er Jahren der radikale Antisemitismus um sich griff, schrieb der Sozialdemokratie Historiker Franz Mehring: »Es gibt eine Unmasse von Menschen in Berlin, die als Beamte , als Lehrer, als Redakteure oder Hausverwalter usw. von der Clique ( damit meint er Elite der Macht und des Reichtums, VM) abhängig sind, unter heimlichen Ächzen und Stöhnen eine schimpfliche Tyrannei ertragen müssen und so die willenlosen Opfer jedes verwegenen Demagogen werden, der die Clique öffentlich ins Gesicht zu schlagen wagt.«
Trump ist eine solcher Demagoge und je mehr er lügt, desto mehr glaubt man ihm. Warum? Weil die Mächtigen Eliten auch lügen. Trump hat sämtliche Prozesse wegen Wahlfälschung verloren, nicht einziges Mal hat er auch nur ein bisschen Recht bekommen. Na und? Die Eliten lügen immer und ihre Gerichte decken das ab, würde die Anhänger Trumps antworten (Lies hier das marx21-Interview mit einem Sozialisten aus den USA: »Trump ist kein Bonapart«).
Sturm auf das Capitol: Trump’s Testlauf
Die Kommentatoren der amerikanischen Eliten in Medien und Politik rufen jetzt, nachdem Biden mit zeitlicher Verzögerung zum neuen Präsidenten der USA ausgerufen wurde, dass Trumps Versuch, die Demokratie und ihre Regeln außer Kraft zu setzen, gescheitert sei.
Trump hat Mobilisierungsfähigkeit bewiesen
Das impliziert die Annahme, dass es sich um einen Putschversuch Trumps gehandelt hat, der mit einer Niederlage Trumps geendet sei. Falsch! Der von Trump in Szene gesetzte Sturm aufs Capitol war ein Testlauf für die Zukunft für ihn. Er hat sein Mobilisierungsfähigkeit bewiesen. In dem gleichen Fernsehauftritt vom 8. Januar 2021, in dem er sich von den »Gewalttätern« des Aufruhrs zwei Tage zuvor distanziert und in der er zum ersten Mal von einer »friedlichen« Machtübergabe an seinen Nachfolger Biden am 20. Januar 2021 sprach, endete er mit den Worten: »Und an alle meine wunderbaren Unterstützer. Ich weiß, dass ihr enttäuscht seid, aber ich möchte euch auch wissen lassen, dass unsere unglaubliche Reise gerade erst beginnt.«
Biden ist keine Lösung
Die Linke in den USA und hierzulande sollte nicht den Fehler machen, den die Sozialdemokratie vor dem ersten Weltkrieg machte auf den bürgerlichen Staat zu setzen oder wie Teile der KPD in der Weimarer Republik im rechten Protest eine Vorform des Klassenkampfes zu sehen (antisemitischen Protest gegen »Juden und Junker« und später gegen das »jüdische« Finanzkapital). Auch Trumps Kampf gegen die amerikanischen Eliten ist ein »Fake«, ist die Spitze einer gefährlichen reaktionären Bewegung, die den amerikanischen Faschistinnen und Faschisten Selbstvertrauen und Zukunft weisen könnte. Dagegen hilft wiederum nicht Biden und die hinter ihm stehenden liberalen Eliten, sondern Massenbewegungen und Politikformen des Widerstandes von unten, wie er zuletzt in der Black-Lives-Matter-Bewegung in den USA zum Ausdruck kam (Lies hier das marx21-FAQ zur Wahl: »6. Sollten Linke Biden gegen Trump unterstützen?«). Nur im realen Aufbau solcher Massenbewegungen kann die revolutionären Linke stark genug werden, um der politischen Sackgasse von Liberalen und Sozialdemokraten eine echte Alternative entgegenzusetzen.