Der Film hätte eine spannende Geschichte über Ursprung und Bedeutung des Gangsta-Rap von N.W.A sein können. Doch er erzählt hauptsächlich von Musik-Produzenten und Vertragsverhandlungen. Von Hans Krause
Während der ersten Szene wähnt man sich in einem Actionfilm, und sogar einem guten. Eazy-E (Jason Mitchell, »Broken City«) will bei einem Dealer Drogen verkaufen, aber der Handel geht schief. Nicht weil jemand bösartig ist, sondern wegen der Lage auf dem Drogenmarkt und der Verzweiflung der Beteiligten. Es wird dramatisch, als die Polizei die Wohnung stürmt und mehrere Menschen umbringt. Eazy-E flieht aus dem Fenster und in sein künftiges Leben als Rapper von N.W.A (»Niggaz wit‘ Attitude«, sinngemäß: »N***** mit einem Standpunkt«).
Der Film beginnt 1986 in Compton, einem Vorort von Los Angeles in Kalifornien mit 98.000 Einwohnern, damals 53 Prozent Schwarze, 44 Prozent Latinos und ein Prozent Weiße. Die Menschen haben dort knapp 30 Prozent weniger Einkommen als im Durchschnitt Kaliforniens. Sie sind buchstäblich abgehängt: In den 1980er Jahren fuhren keinerlei Fern- oder Nahverkehrszüge durch Compton. Heute gibt es eine einzige Haltestelle der S-Bahn von Los Angeles.
Doch vor allem Schwarze haben noch ein weiteres Problem: Die rassistische Polizei, die jeden Dunkelhäutigen für einen Gangster hält und Schwarze willkürlich verhaftet, einsperrt oder sogar ermordet.
»Straight Outta Compton« zeigt, wie in dieser Welt die jungen Rap-Musiker Eazy-E, DJ Yella, MC Ren und die heutigen Multimillionäre Dr. Dre (Corey Hawkins, »Non-Stop«) und Ice Cube (gespielt von seinem Sohn O’Shea Jackson Jr.) Ende der 1980er Jahre zusammenkommen und N.W.A gründen. Ihr zweites Album, »Straight Outta Compton« (»Direkt aus Compton«), von 1988 verkaufte sich 3,5 Millionen mal, war eines der ersten erfolgreichen Gangsta-Rap-Alben und prägte den West-Coast-Hip-Hop der 1990er Jahre.
Dieser Erfolg war sensationell, weil N.W.A damals von fast allen Fernseh- und Radiosendern boykottiert wurde und zunächst auch kein Geld für eine Tournee hatte. Doch Musik und Texte begeisterten viele, weil die Armut der Schwarzen und die Gewalt der Polizei thematisiert wurden und die Wut vieler Schwarzer auf die rassistische Gesellschaft eine Stimme bekam.
Schwarze hassen den Staat
Der Trailer verspricht einen lebendigen Film über die Musik von N.W.A als Protest gegen die Unterdrückung der Schwarzen. Das erste Drittel ist noch halbwegs interessant. Die Mitglieder der Gruppe werden mit ihren alleinerziehenden Müttern oder Geschwistern, die in Gangs sind, gezeigt. Eine willkürliche Verhaftung von Eazy-E macht deutlich, woher der Hass vieler Schwarzer auf den US-amerikanischen Staat kommt, und erinnert an die heutigen rassistischen Morde der Polizei in Ferguson und vielen anderen Städten.
Doch leider gibt es viel zu wenig solcher Szenen und in der zweiten Hälfte des Films gar keine mehr. Stattdessen sieht das Publikum die Gruppe oft im Studio Sprüche klopfen, Texte schreiben, hinter schalldichtem Glas Lieder aufnehmen und vor großen Pulten Musik abmischen.
Das mag realistisch sein und vielleicht geht einem leidenschaftlichen N.W.A-Fan auch das Herz auf, wenn Eazy-E vier Anläufe braucht, bis er es schafft, seine erste Zeile auf dem Beat zu rappen. Doch bei allen anderen macht sich Langeweile breit.
Die Probleme der Superreichen
Als die Gruppe dann zu Geld und Ruhm kommt, ereilt »Straight Outta Compton« endgültig das Schicksal der meisten Filme über erfolgreiche Künstler: Er handelt nur noch von den Problemen von Millionären und nicht mehr von normalen Menschen, geschweige denn einer sozial benachteiligten Minderheit: Die Mitglieder der Gruppe streiten sich, wer wie viel vom Multi-Millionen-Kuchen bekommen soll. Der Manager (Paul Giamatti, »San Andreas«) bevorzugt einen und benachteiligt den anderen. Ice Cube verlässt beleidigt die Gruppe, macht ein erfolgreicheres Solo-Album und wird noch reicher, und so weiter, und so weiter, und so weiter. Überraschungen oder Wendungen sind, ebenfalls ein Problem von vielen Biografien, nicht möglich, weil Regisseur Gary Gray (»Gesetz der Rache«) die wahre Geschichte von N.W.A erzählen will.
Nur in wenigen Momenten lässt der Film die Energie und Leidenschaft der Musik durchscheinen, die damals viele Schwarze als Ausdruck ihres eigenen Lebens empfunden haben. Die beste Szene zeigt das berühmte Konzert in Detroit im Jahr 1989. Damals verbot die Polizei der Gruppe, ihr bekanntestes Lied zu spielen.
»Fuck tha police, comin straight from the underground«
Obwohl niemals als Single veröffentlicht, wurde »Fuck tha Police« das beliebteste Stück von N.W.A, weil darin offen die rassistische Polizeigewalt angeklagt wurde: »Fuck tha police / Comin straight from the underground / Young n**** got it bad ‚cause I’m brown / And not the other color so police think / They have the authority to kill a minority« (»Scheiß auf die Polizei / Das kommt direkt aus dem Untergrund / Einem jungen N***** ergeht es schlecht, weil ich schwarz bin / Und nicht die andere Hautfarbe, also denkt die Polizei / Sie haben das Recht, eine Minderheit zu töten«).
Die Musiker versprachen, es nicht zu spielen, nur um dann mit dem Stück auf der Bühne mit umso mehr Wut herauszuschreien, dass sie einen Dreck auf die Polizei und ihre Anweisungen geben. Als Tausende »Fuck tha Police« begeistert »mitsingen«, stürmt die Polizei die Bühne und verhaftet die Gruppe, während die Zuschauerinnen und Zuschauer Flaschen auf die Polizisten werfen.
Welche Aufregung N.W.A mit solchen Texten bei Politikerinnen und Politikern und der konservativen weißen Bevölkerung auslöste, wird ansonsten leider nur angedeutet. Für ein paar Sekunden ist eine rechte Demonstration im Bild, bei der vor der Konzerthalle demonstrativ Schallplatten der Gruppe zerstört werden. Für eine weitere Minute sieht das Publikum eine Pressekonferenz, auf der die Musiker gefragt werden, warum sie Kriminalität verherrlichen, ohne dass sie eine sinnvolle Antwort wüssten.
Doch am enttäuschendsten ist, dass »Straight Outta Compton« sich auch für die sogenannten Unruhen in Los Angeles 1992 nur einige Sekunden Zeit nimmt. Im Großraum Los Angeles gab es damals die größten Aufstände der schwarzen Bevölkerung seit den 1960er Jahren. Auslöser war der Freispruch mehrerer Polizisten, die nachweislich auf den unbewaffneten Schwarzen Rodney King so lange eingeprügelt hatten, bis er einen dauerhaften Gehirnschaden erlitt.
Erst als der Notstand ausgerufen und zwei Divisionen der Armee eingesetzt wurden, konnte der Staat die Unruhen nach sechs Tagen und mit über 11.000 Verhaftungen beenden. Der Film zeigt jedoch lediglich kurz geplünderte Geschäfte und Dr. Dre, wie er stumm durch die Straßen fährt und alles beobachtet. Wer die Ereignisse nicht kennt, versteht nicht einmal, was auf der Leinwand vor sich geht.
Regisseur Gray hat sich viel Mühe gegeben, Musik, Kleidung und Sprache der späten 1980er Jahre zu rekonstruieren, und die Schauspieler sehen den N.W.A-Jungs auf alten Fotos zum Verwechseln ähnlich. Doch leider hat Gray die politisch-historische Bedeutung der Gruppe mit zunehmender Dauer des Films an den Rand gedrängt. Stattdessen blies er das aus Rap-Videos bekannte Protzen mit dem Reichtum der Stars auf Spielfilmlänge auf. Haben wirklich alle erfolgreichen Rap-Künstler riesige weiße Villen mit ausladenden Treppen am Eingang und einem großen Swimmingpool davor?
Zudem hat sich der Regisseur unglücklicherweise nicht überwinden können, dem üblen Aspekt von N.W.As Gangsta-Rap auch nur ein kritisches Wort zu widmen: der selbst für diese Musikrichtung ungewöhnlich ausufernden Frauenfeindlichkeit ihrer Texte.
Der Film feiert Frauenfeindlichkeit
Im Lied »Оne Less Bitch« (»Еine Schlampe weniger«) nimmt Dr. Dre die Rolle eines Zuhälters ein, der von einer Prostituierten betrogen wird: »Yo, I tied her to the bed / I was thinking the worst but yo I had to let my n**** fuck her first yeah / Loaded up the 44 yo / Then I straight smoked the ho’« (»Ja, ich fesselte sie ans Bett / Ich hab das schlechteste gedacht, aber, ja, ich musste sie erst von meinen N****** ficken lassen, ja / Lade die 44, ja / Dann hab ich die Nutte direkt abgeknallt«).
Nicht nur, dass der Regisseur diese Seite des Gangsta-Rap ignoriert. Er feiert die Frauenfeindlichkeit von N.W.A sogar in einer Szene, in der die Rapper nach einem Konzert eine Sexorgie mit weiblichen Fans veranstalten. Nachdem Eazy-E mit einer von ihnen geschlafen hat, packt er sie wortlos und schmeißt sie raus auf den Hotelflur, wo sie nackt und ohne einen Cent darum betteln muss, wenigstens ihre Sachen zu bekommen. Dr. Dre und Ice Cube, die den Film als Produzenten mitfinanziert haben, tun die frauenfeindlichen Texte bis heute als nicht ernst gemeinte Spielereien ab.
Nur für N.W.A-Fans zu empfehlen
»Straight Outta Compton« hätte die hochaktuelle Geschichte einer Musik der Rebellion und des Aufschreis schwarzer US-Amerikaner gegen Rassismus und Polizeigewalt sein können. Herausgekommen ist ein Film über Rapper mit zu viel Geld, die über Musikproduzenten und Vertragsklauseln nachdenken. Nur für N.W.A-Fans zu empfehlen, denen es reicht, die bekannte Geschichte der Gruppe nacherzählt zu bekommen.
In Compton selbst kann der Film übrigens nicht gezeigt werden: In der Stadt mit knapp 100.000 Einwohnern gibt es bis heute keine einzige Kinoleinwand. Die Menschen dort sind so arm, dass sich eine solche Investition nie gelohnt hat. Auch das hätte man in dem Film über eine Rap-Gruppe aus dem Schwarzen-Ghetto möglicherweise erwähnen können.
Der Film: Straight Outta Compton, USA 2015, Universal Pictures Germany, ab 27. August im Kino
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