Vom Nationalismus einer Fußballweltmeisterschaft bis zu den erhobenen Fäusten schwarzer Olympiasieger: Gabriel Kuhn stellt in seinem neuen Buch die ganze Widersprüchlichkeit des Sports im Kapitalismus dar. Daniel Anton hat es gelesen.
Ihre Liebe zum Sport stürtzt manche Linke schon mal in Gewissenskonflikte: Wer hat sich noch nicht dabei erwischt, online lieber den Sportartikel statt der neuesten Analyse zur Lage in Griechenland aufzurufen? Wer lässt nicht mal für das Champions-League-Finale die politische Abendveranstaltung ausfallen? Wer holt nicht gelegentlich den Fanschal anstelle des Palituchs aus dem Schrank?
Dieses Dilemma behandelt auch Gabriel Kuhn in seinem neuen Buch »Die Linke und der Sport«. Zu Beginn referiert er eine klassische marxistische Kritik am Sport als Massenphänomen: Sport erfülle im Kapitalismus eine ähnliche Funktion wie die Religion. In seiner professionellen, kommerziellen Form sei er nichts anderes als Opium für die Massen – also ein Instrument, um die Unterschichten für eine kurze Zeit von ihrer Lage abzulenken und sie vom Kampf abzuhalten.
Für Kuhn stellt sich nun die Frage, ob diese Theorie der Realität auf dem Spielfeld oder den Stadionrängen angemessen ist. Dabei leugnet er die negativen Seiten des Sports als Massenevent keineswegs: vom Nationalismus über den Körperkult bis zum Wettbewerbsgedanken. Zugleich gibt er aber zu bedenken, dass eine linke Analyse des Phänomens Sport tiefer gehen muss. Er erinnert daran, dass die kapitalistische Realität voller Widersprüche ist und zwar in allen Lebensbereichen.
Beispielsweise zeigt er auf, dass eine erfolgreich verlaufende Fußballweltmeisterschaft hierzulande ein hervorragendes Mittel für die Eliten ist, um einen »unverkrampften« Patriotismus zu fordern oder von gesellschaftlichen Problemen abzulenken. Für ehemalige afrikanische Kolonien jedoch gehören sportliche Erfolge zu den wenigen Momenten, in denen sie sich gegen den globalen Norden behaupten können.
Gegenentwürfe zu kommerziellen Sportveranstaltungen
Selbst die heute alles beherrschende Kommerzialisierung ist das Ergebnis einer dialektischen Entwicklung. Gerade die Arbeiterbewegung sei es gewesen, die die Professionalisierung des Fußballs vorantrieb und so den Grundstein für seine kapitalistische Verwertung legte. Denn im Gegensatz zur Mittelklasse konnten Angehörige der unteren Schichten sich nicht den Luxus erlauben, Sport als Zeitvertreib zu genießen.
Spannend ist auch die Darstellung der Versuche der Arbeiterbewegung, mit diesen Widersprüchen umzugehen. So veranstaltete sie etwa »Spartakiaden« als Gegenentwurf zu kommerziellen Wettbewerben.
Beachtenswert sind auch die Beispiele, wie Sportlerinnen und Sportler ihre Bekanntheit statt zur Produktwerbung für ihre eigenen politischen Ziele nutzten: Muhammad Ali, der zum prominentesten Vietnam-Kriegsverweigerer wurde; Tommie Smith und John Carlos, die mit ihren erhobenen Fäusten bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko zum Symbol für die Black-Power-Bewegung wurden; der Fußballprofi und -trainer Ewald Lienen, der auf Kundgebungen der Friedensbewegung sprach: Sie alle bedienten sich des positiven Potenzials der Massenveranstaltungen.
Kuhn bildet die genannten Widersprüche sauber und in pointierter Kürze ab, aber manchmal wünscht man sich eine deutlichere Positionierung zu der Frage: Wie soll die gesellschaftliche Linke denn nun mit etwas umgehen, das Millionen Menschen bewegt? Am deutlichsten blitzt eine sinnvoll erscheinende Position durch, wenn er schreibt: »Viele Argumente linker Sportkritik sind berechtigt (…). Oft treffen sie den Sport überhaupt nicht, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen dieser ausgeübt wird (…).« Hier gilt es anzusetzen: Den Kampf für Gegenmacht müssen wir im Stadion und darüber hinaus führen und nicht gegen die Menschen, die den Sport genießen und ausüben.
Das Buch: Gabriel Kuhn: Die Linke und der Sport, Unrast, Münster 2014, 80 Seiten, 7,80 Euro.
Foto: „Three Proud People“/Newtown graffiti/CC BY 2.0/Wikimedia Commons
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