In weniger als fünf Jahren hat das sozialistische US-Magazin Jacobin mehr als 10.000 Abonnements abgesetzt. Die Homepage lesen mehr als eine halbe Million Menschen im Monat. Gründer Bhaskar Sunkara erklärt, warum
Die Gründung des sozialistischen Magazins Jacobin ist eine ziemliche Erfolgsstory, aber die meisten Menschen in Deutschland kennen es natürlich trotzdem nicht. Wie würdest du ihnen euer Magazin und eure Webseite beschreiben?
Jacobin ist eine sozialistische Publikation, um die sich Lesegruppen organisieren. Sie verfolgt zwei Ziele, einmal innerhalb der bestehenden Linken zu tiefgründigen und dennoch zugänglichen Diskussionen anzuregen, zum anderen im breiteren Spektrum von größtenteils nicht politisierten Menschen oder solchen, die sich im US-Kontext zur liberalen Linken zählen, für eine sozialistische Perspektive einzutreten. Es gelingt uns, hunderttausende Menschen zu erreichen, die ansonsten mit moralischen und ethischen Kritiken der kapitalistischen Gesellschaft nicht in Berührung kommen würden, und sie mit Argumenten für eine konkrete sozialistische Alternative zu versorgen.
Nebst der Homepage und dem gedruckten Magazin gibt es Lesezirkel in 40 US-amerikanischen Städten. Wie funktioniert das? Und welche Themen werden besprochen?
Die Lesezirkel werden unter der Leitung von Organisatoren auf lokaler Ebene initiiert. Es gibt Raum für Diskussionen um Themen aus dem Magazin aber auch aus anderen linken Veröffentlichungen und für Debatten mit Menschen allerlei Politisierungsgrads. Wir stellen den Gruppen einige allgemeine Leitlinien und einen Musterlehrgang zur Verfügung, aber jede Gruppe entscheidet für sich, auf welche Themen sie sich fokussiert.
Jacobin ist ein recht neues Medium. Die Homepage startete vor gerade fünf Jahren, das Magazin ein Jahr darauf. Heute hat die Homepage mehr als eine halbe Million Besucher pro Monat und das Magazin hat mehr als 10.000 Abonnenten. Wie habt ihr das gemacht?
Jacobin ging genau vor viereinhalb Jahren online, das Magazin folgte wenige Monate später. Ich glaube, dass wir deswegen so viele Menschen erreichen und mittlerweile 12.500 Abonnenten haben, weil sozialistische Ideen auf Widerhall stoßen. Wir bauen auf der Prämisse auf, dass es sogar in dem gegenwärtig alles andere als radikalen politischen Umfeld der Vereinigten Staaten Millionen von Menschen gibt, die sich für diese Ideen interessieren und spüren, dass sie an ihre Beobachtungen und Alltagserlebnisse anknüpfen. Das Wachstum ist das Ergebnis harter Arbeit – die Veröffentlichung von 15 oder mehr Artikeln pro Woche –, von Kompetenz und vor allem diesem Vertrauen.
Welche Rolle spielen die politischen Umstände? Kurz nach der Gründung des Magazins 2011 begann die Occupy-Bewegung. Sind Occupy und Jacobins Erfolg Ausdruck derselben wachsenden kritischen Stimmung in den USA?
Es ist immer schwierig, objektive von subjektiven Faktoren zu trennen. Ich schätze, dass es heute viel mehr Menschen gibt, die eine Kritik des Kapitalismus ins Auge fassen, als noch vor zehn Jahren. Die Menschen sind mit dem gegenwärtigen Zustand unzufrieden. Was nicht heißt, dass sie auf die Barrikaden gehen wollen. Es bedeutet aber ein Fenster zur Linken, das wir wahrnehmen sollten, bevor diese Unzufriedenheit sich in Gedrücktheit und Rückzug aus der Politik niederschlägt.
Was ist aus der Occupy-Bewegung in den USA geworden? Gibt es einen organisatorischen Ausdruck, vergleichbar mit Podemos in Spanien oder Syriza in Griechenland?
Die Occupy-Bewegung hat insofern eine Spur hinterlassen als Indiz, dass Bewegungen den Alltagsbetrieb durcheinander bringen und die Fantasie von Millionen Menschen beflügeln können. Ein hoher Anteil der Bevölkerung unterstützte die Proteste, allerdings überwog bei weitem der Anteil der Unterstützer für die rechtspopulistische Tea-Party-Bewegung. Die beteiligten Aktivistinnen und Aktivisten zeichneten sich im allgemeinen auch nicht durch ein besonders hohes Grad der Politisierung aus. Einige engagierten sich dankenswerterweise in der sozialistischen Linken und an der gewerkschaftlichen Basis oder in anderen Bürgerrechtsbewegungen wie Black Lives Matter (Auch Schwarze Zählen), während andere in NGOs abdrifteten, aber es fand keine Konsolidierung in Gestalt einer Partei oder kohärenten Organisation statt. Im Gegenteil, bestehende Kaderorganisationen der sozialistischen Linken sind meines Wissens trotz Occupy auch nicht gewachsen.
In den USA gibt es eine Vielzahl linker Publikationen, die teilweise eine lange Tradition haben. Warum seid ihr mit Jacobin das Risiko einer ganz neuen Publikation eingegangen?
Es gibt in der Tat viele Publikationen, aber nur wenige, die sich das Ziel setzen, ein breites Publikum, auch die verschiedenen Generationen, zu erreichen, wie wir es tun. Die meisten sind schon lange präsent, dennoch ist es uns gelungen, den höchsten Verbreitungsgrad, den sie jemals erreicht haben, bereits jetzt zu übertreffen – allerdings noch nicht den langfristigen Einfluss solcher Publikationen wie Monthly Review.
Jacobin finanziert seine Redaktionsarbeit durch die Abonnements. Warum abonnieren die Leute Jacobin und wie findet ihr neue Abonnenten?
Vom Design ist unser Magazin eins der Besten in diesem Segment und wirkt als gedrucktes Produkt sehr anziehend. Viele unserer Abonnenten sind Sozialistinnen und Sozialisten, die unser Vorhaben unterstützen wollen. Wir veröffentlichen eine enorme Menge online, die Menschen lesen das und teilen es weiter, und wir verwandeln einen Teil unserer Online-Leserschaft in zahlende Abonnenten.
Wie setzt sich die Redaktion zusammen? Wie viele Redakteure arbeiten ehrenamtlich und wie viele werden bezahlt? Was für Jobs haben die Ehrenamtler?
Noch vor zwölf Monaten hatten wir nicht mal eine Vollzeitstelle, mittlerweile sind es vier, dazu noch drei Teilzeitstellen. Wir stützen uns auf einige Ehrenamtler im Herausgeberkreis, die Vorschläge für neue Aufträge machen und als Berater und Leser fungieren.
Was ist der politische Konsens in der Redaktion? Würdest du Jacobin als antikapitalistisches Magazin beschreiben?
Die führenden Köpfe sind alle Sozialisten mit einem marxistischen Hintergrund, viele kommen aus der leninistischen Tradition. Daher ja, Jacobin ist anti-kapitalistisch.
Und welche Strategie zur Überwindung des Kapitalismus schlägt Jacobin dann vor?
Sozialisten haben die Aufgabe, das Niveau des Klassenbewusstseins in jedem Kampf, in dem wir uns engagieren, zu erhöhen. Unser Ziel muss die Schaffung einer Arbeitermassenpartei unter revolutionärer Führung sein, um die Staatsmacht zu ergreifen und zu transformieren. Eigentlich eine simple Aufgabe!
(Die Fragen stellte Jan Maas. Übersetzung: David Paenson)
Foto: glennshootspeople
Schlagwörter: #Occupy, Antikapitalismus, BlackLivesMatter, Kapitalismus, Magazin, Medien, Sozialismus, USA, Vereinigte Staaten