Inmitten massiver Aufrüstung und hitziger Wehrpflichtdebatten meldet sich der Journalist Ole Nymoen – bekannt aus dem Podcast »Wohlstand für Alle« – mit einem provokanten Beitrag zu Wort. Eine überfällige Polemik, allerdings mit Schwächen
Ole Nymoens Buch »Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde« ist ein Einspruch gegen den moralisierenden und zunehmend militarisierten Mediendiskurs in Deutschland. Nymoen liefert damit einen wichtigen Beitrag zur linken Antwort auf die »geistige Mobilmachung«, die auf die russische Invasion der Ukraine am 24. Februar 2022 folgte. Dem Buch ging ein ZEIT-Artikel mit dem Titel »Ich, für Deutschland kämpfen? Never!« voraus, der bereits für Kontroversen sorgte und scharf kritisiert wurde. Nun legt Nymoen nach und entfaltet sein zentrales Argument: Die Interessen des Staates und die der Bürger:innen stimmen nicht miteinander überein.
Krieg: Sinn und Unsinn
Nymoen tut dies aus einer ihm ganz eigenen marxistischen Perspektive und formuliert im ersten Teil des Buches seine grundlegende Staatskritik. Staaten, so der Autor, sichern ihre politische Souveränität und Herrschaftsstruktur durch Gewalt – sowohl nach innen als auch außen. Der Selbsterhalt des Systems ist so stets sein oberstes Ziel. Weil sie auf der Weltbühne in ständiger Konkurrenz zueinanderstehen, sind sie bereit, im Ernstfall Gewalt anzuwenden – auch gegen die eigene Bevölkerung. Bürger:innen werden zwangsrekrutiert und im Zweifelsfall geopfert, um staatliche Interessen durchzusetzen. Das Wesen des Krieges besteht für Nymoen darin, dass »die Herrscher eines Staats den eigenen Machterhalt über das Leben der Bürger stellen und bedingungslos über ebendiese verfügen«.
Diese Gewalt bedarf einer ideologischen Legitimierung. Nymoen analysiert im zweiten Teil die gängigen Mythen und Verschleierungstaktiken von Kriegsbefürwortern: Die staatliche Herrschaft wird als unverzichtbare Lebensbedingung inszeniert, gestützt durch einen Nationalismus, der Heimat, Volk, Land und Regierung auf emotionale Weise miteinander vermengt. Oder die Kritik am Kriegseinsatz wird damit abgebügelt, der Gegner sei ein zweiter Hitler.
Dem Argument, dass es um die Verteidigung von »freiheitlichen Werte« ginge, entgegnet Nymoen, dass genau diese Werte in der Praxis meistens geopfert werden, wenn es den nationalen Interessen nutzt. Das zeigt die Zusammenarbeit mit Ländern wie Saudi-Arabien, den USA unter Trump, der Türkei, oder Katar. Dasselbe lässt sich auch für den Bezug auf das Völkerrecht feststellen, welches stets sehr selektiv angewandt wird. Und was die demokratischen Werte angeht, betont Nymoen richtig, dass die demokratische Mitbestimmung in bürgerlichen Demokratien stark eingeschränkt ist. Zentrale Fragen des Besitzes an Produktionsmitteln oder Verteilung von Reichtümern stehen gar nicht erst zur Wahl, so dass die wirtschaftliche Macht in den Händen weniger bleibt.
Kritik an Lenins Imperialismustheorie
Nymoen rechnet scharf mit bürgerlich-liberalen Argumenten für Aufrüstung und Militarisierung ab – hier glänzt er sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Überraschend hingegen ist die deutliche Abgrenzung von zentralen Bestandteilen der auf Lenin zurückgehenden Analyse des Imperialismus als höchstem Stadium des Kapitalismus. Diese sei ökonomistisch verkürzt, reduziere den Staat auf einen bloßen Dienstleister nationaler Kapitalinteressen und vernachlässige die eigenständige Logik staatlicher Machtausübung. Das »Ringen um internationale Einflussnahme« habe mehr Facetten als den rein ökonomischen Konkurrenzkampf.
Doch Nymoens berechtigter Einwand schlägt von dem Versuch einer Korrektur in eine Karikatur um. So begreift er Lenins Imperalismustheorie, stellvertretend für materialistische Analysen des Imperialismus, als »fast schon verschwörungstheoretisch«, denn er versteht das Finanzkapital als allmächtigen Strippenzieher der Weltpolitik. Dabei verkennt Nymoen jedoch, dass Lenin die Verflechtung von Staat und Kapital in einer historischen Phase imperialistischer Konkurrenz analysiert – und dies analytisch nicht als konspiratives Netzwerk einiger Banker darlegt, sondern als strukturelle Entwicklung im Kapitalismus.
Wessen Staat?
Staatliches Handeln lässt sich nicht losgelöst von ökonomischen Kategorien begreifen. Wer im Kapitalismus nicht wächst, stirbt. Das Überleben der Staatsmacht ist abhängig davon, dass die Nationalökonomie auch permanent wächst, um die Profite zu sichern. Imperialistische Kriege dienen dabei aber nicht bloß der Profitmaximierung einzelner Unternehmen, sondern der Sicherung globaler Verwertungsbedingungen und geopolitischer Einflusszonen im Interesse nationaler Gesamtkapitalien. Die politische Entscheidungsfindung ist natürlich aber kein mechanischer Prozess.
Auch Lenin unterstellte keine lineare Kausalität, sondern beschrieb einen Zusammenhang zwischen ökonomischer Machtkonzentration und staatlichem Handlungsrahmen. Politische Entscheidungsträger wägen Optionen ab und berücksichtigen verschiedene Interessen sowie langfristige Entwicklungen. Dabei beziehen sie ganz zentral (aber nicht nur) wirtschaftliche Interessen mit ein. Nymoen argumentiert selbst in diese Richtung in seiner anfänglichen Kritik an den Hartz-Reformen, mit denen die Schröder-Regierung die Interessen von Reichen und Konzernen klar vor die der Arbeiter:innenklasse stellte. Auch die Gründung der EU lässt sich auf diese Art und Weise analysieren.
Fazit
Die Schlussfolgerung von Nymoens Staatskritik ist klar: Bürger:innen sollten nicht für die Interessen »ihres« Staates sterben – auch nicht in einem vermeintlich »gerechten Verteidigungskrieg«. Er argumentiert, dass viele Menschen unter einer Kapitulation weniger leiden würden als unter der jahrelangen Verteidigung staatlicher Souveränität. Seine Kritik richtet sich dabei stärker gegen staatliche Autorität und Gewalt als Ganzes als gegen das Kapitalverhältnis. Statt auf revolutionäre Praxis setzt Nymoen auf einen staatskritischen Humanismus – einen moralisch fundierten, aber nicht systemverändernden linken Antimilitarismus.
Und dennoch: Auch wenn Nymoens Argumentation nicht in allen Punkten marxistischer Kritik standhält, ist der politische Impuls seines Buches dringend und notwendig. Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde ist keine strategische Anleitung für Sozialist:innen, sondern eine ideologische Intervention. Es will Einzelne bestärken, sich Kriegslogiken und nationaler Loyalität zu entziehen. In diesem Sinne liefert das Buch eine sprachmächtige Grundlage für Diskussionen über Aufrüstung und Wehrpflicht. Es fordert den Zeitgeist heraus und bietet Orientierung in einer geistig bereits mobilgemachten Gesellschaft.
Ole Nymoen
Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde
144 Seiten
Rowohlt Taschenbuch
16,- Euro
Schlagwörter: Antimilitarismus, Bundeswehr, Krieg, Militarismus