Im Sudan erhebt sich erneut die Konterrevolution. Die Generäle wollen die ganze Macht. Der Aufschrei der Regierungen im Westen ist heuchlerisch: Auch sie fürchten die Protestbewegung von unten. Von Ava Matheis
Immer wieder gehen die Menschen seit dem Sturz Omar al-Bashirs 2019 auf die Straße und fordern eine Beschleunigung des Übergangs von der Militärherrschaft zu einer wirklichen Demokratie. Das Militär will das um jeden Preis verhindern. Die Chefetage des Militärs im Sudan will die Bewegung nun endgültig niederschlagen. Der Kampf zwischen Militärs und der Bewegung hat sich in den letzten Wochen verschärft. Am Montag hat der oberste General Abdel Fattah Burhan die von ihm selbst geführte Übergangsregierung aufgelöst und führende zivile Mitglieder der Regierung verhaften lassen und den Ausnahmezustand verhängt (Lies hier den marx21-Artikel: Sudan und Algerien: Marxismus und die Zeit der Revolution).
Proteste gegen den Putsch im Sudan
Daraufhin kam es in der sudanesischen Hauptstadt Khartum und anderen Großstädten zu großen Protesten gegen den Militärputsch. Die »Joint Chamber of Marches of the Millions for Civilian Rule and Democratic Transition» veröffentlichte am Montag einen »Revolutionären Eskalationsplan». Gewerkschaften riefen zu Aktionen des zivilen Ungehorsams und Streiks auf. Die Sicherheitskräfte reagieren mit brutaler Repression: Elf Protestierende sollen getötet worden sein, über 170 verletzt. Die Proteste weiten sich dennoch aus. Im ganzen Land wird zu Märschen der Millionen am Samstag mobilisiert. Auch in Berlin rufen Aktivist:innen zu einer Kundgebung vor der sudanesischen Botschaft auf.
Kleine Geschichte der Protestbewegung im Sudan
Die Proteste gegen den Staatsstreich sind der jüngste Schritt in einer Reihe von Aufständen und außergewöhnlichen Initiativen der sudanesischen Bevölkerung, die sich über fast drei Jahre erstreckt haben. Ab Ende 2018 gab es eine monatelange Massenmobilisierungen von unten, die von einer Reihe lokaler und später nationaler Streiks angefeuert wurden. Hunderttausende Menschen schlossen sich Sitzstreiks auf den Plätzen der Städte an und forderten den Sturz von Diktator Omar al-Bashir, der 1989 selbst einen Militärputsch anführte (Lies hier den marx21-Artikel: Sudan: Menschenmacht vs. Weltordnung).
Brutale Repression
Im Juni 2019 stürmten das Militär und die Rapid Support Forces in dem Versuch, den Aufstand zu vereiteln, das Sitzstreikzentrum in Khartum und töteten mindestens 120 Menschen. Doch das Militär konnte den Widerstand nicht niederschlagen. Als Antwort auf das »Blutvergießen von Eid« weiteten die Demonstrierenden ihre Aktionen zivilen Ungehorsams massiv aus. Ein Generalstreik, der bis zum Ende der Militärherrschaft aufrecht erhalten werden sollte, wurde ausgerufen. Mutige Demonstrierende errichteten Straßenblockaden und erschwerten damit den Truppen des Diktators das Patrouillieren in der Stadt. Die Beteiligung am Generalstreik war in allen Sektoren enorm, obwohl Arbeiter und Arbeiterinnen in der Zentralbank, den Flughäfen und Ingenieure gezielt von Sicherheitskräften unter Druck gesetzt wurden.
Sudan: Selbstorganisation der Bewegung
Die Menschen forderten ein Ende der Militärherrschaft von Omar al-Bashir. Aber es ging um mehr: Die Protestbewegung begann auch damit, grundlegende Aufgaben für die Organisation der Gesellschaft selbst zu schaffen – die Verteilung von Lebensmitteln, die Sicherheit zur Verteidigung der Revolutionär:innen, die medizinische Versorgung und mehr. Im Sudan zeigten sich klassische Merkmale einer revolutionären Situation: Die Beherrschten wollen nicht mehr und die Herrschenden können nicht mehr so weitermachen wie bisher.
Der Protest erzwang den Sturz des Langzeitdiktators Omar al-Bashir
Die Protestbewegung war so stark, dass die herrschende Klasse tief gespalten ist. Das betraf die Regierungsparteien ebenso wie den Militärapparat. Der Protest erzwang schließlich den Sturz von Langzeitdiktator Omar al-Bashir. Doch die Generäle wollten ihren Kopf retten und machten Zugeständnisse, die ihnen eine spätere Rückkehr zur Macht ermöglichen sollten. Im August 2019 wurde in einem Abkommen eine »Machtteilung« zwischen dem Militärischen Übergangsrat, der nach dem Sturz Bashirs die Macht übernommen hatte, und einem Teil der pro-demokratischen Bewegung vereinbart. Das alles unter der Führung von General Abdel Fattah al-Burhan, der nun den Putsch anführt (Lies hier den marx21-Artikel: Sudan – Von der Brotrevolte zur Revolution)
Wie weiter für die Bewegung?
Für die Bewegung wird es von entscheidender Bedeutung sein, alle Illusionen in Verhandlungen mit den Generälen aufzugeben und sie stattdessen wegzufegen. Die Sudanese Professional Association, die maßgeblich an den Protesten seit 2018 beteiligt war, verkündete bereits, dass es kein Zurück zur »vergifteten Partnerschaft« zwischen Bewegung und Militär geben könne. »Die Forderung der Straße ist, zu einer revolutionären Zivilbehörde zu wechseln«.
Ebenso darf sich die Bewegung nicht auf Mächte wie Deutschland, die EU oder die USA verlassen – sie haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie selbst die Protestbewegung fürchten und viele ihrer Forderungen ablehnen. Zur Erinnerung: Die Bundesregierung hat den Weg zu der militärisch-zivilen Übergangsregierung mit bereitet und somit der Bewegung den Wind aus den Segeln genommen und dem Militär den Weg an die Macht geebnet.
Der Protest des Westens ist Heuchelei
Im Rahmen des Khartoum-Prozesses flossen Millionen von der EU an die damalige sudanesische Regierung für den »Grenzschutz«. Vorangetrieben wurde das auch durch die deutsche Bundesregierung. Dabei wurden vor allem die aus der mordenden Janjaweed-Miliz hervorgegangen Rapid Support Forces als Türsteher Europas aufgebaut. Sie sind es, die nun erneut die brutale Niederschlagung der Proteste übernehmen. Die USA stellten Bedingungen wie die Normalisierung der Beziehungen zu Israel an finanzielle Hilfen. Ebenso gewährt der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Kredite nur, wenn die Regierung scharfe soziale Kürzungen und Privatisierung vornimmt. Die weltweiten Reichtümer und Geschäfte der Generäle blieben unangetastet. Insofern ist auch der Protest des Westens Heuchelei.
Mehr als verbale Solidarität notwendig
Der Mut der Protestbewegung, die sich gegen den Putsch stemmt, ist beeindruckend und verdient mehr als nur verbale Solidarität. Wenn sich die Generäle durchsetzen, wird das sudanesische Volk bitter dafür büßen, jemals die Ordnung der Dinge in Frage gestellt zu haben. Ein friedlicher und demokratischer Übergang kann nicht von außen kommen. Er muss von unten organisiert werden, in Nachbarschafts- und Arbeiter:innenkomittees und an Orten wie sie im Sommer 2019 mit den Sit-Ins auf Plätzen in vielen Städten des Sudans entstanden sind. Der Generalstreik, das hat nicht nur die Geschichte im Sudan gezeigt, ist dabei die schärfste Waffe. Genau dort macht die Bewegung im Sudan jetzt weiter.
Die Linke in Deutschland sollte sich mit der Protestbewegung solidarisieren, um ein Zeichen zu setzen gegen die Unterstützung unserer Regierungen für ein mörderisches Regime, gegen Waffenlieferungen und Kriege; gegen die unmenschliche Behandlung von Migranten und Migrantinnen und gegen die Niederschlagung der friedlichen Proteste im Sudan.
Bild: Wikimedia / Agence France-Presse
Schlagwörter: Sudan