Die sudanesische Revolution ist in Gefahr. Anfang Juni massakrierten Sicherheitskräfte unzählige Demonstranten und Demonstrantinnen. Nun verhandeln internationale Kräfte unter Ausschluss der Revolutionäre über einen Übergang im Sudan. Jetzt ist internationale Solidarität gefragt! Von Ava Matheis
»Hoffnungen und Träume sind zerstört – das Herz des zukünftigen Sudan, nun mit offenen Arterien und Venen.« So beschreibt ein Aktivist gegenüber dem Fernsehsender Al Jazeera das Protestcamp auf dem Al-Ghiyada-Platz vor dem Militär-Hauptgebäude in der sudanesischen Hauptstadt Khartoum. Seit dem 6. April war das Zeltcamp ein Zentrum der Revolution, ein Treffpunkt, an dem ethnische und religiöse Spaltungen überwunden, Debatten geführt, gemeinsam gebetet und revolutionäre Musik gespielt wurde.
Blutbad in Khartoum
Der 3. Juni 2019 sollte ein freudiger, hoffnungsfroher Tag werden: Das erste Eid (der letzte Tag des muslimischen Fastenmonats Ramadan) des neuen Sudan ohne Omar al-Bashir. Militärkräfte dagegen setzten auf Konfrontation und Eskalation und griffen das Herz des neuen Sudan an. Soldaten der Rapid Support Forces (RSF) in Toyota Pick-Ups griffen das Camp an. Sie schossen auf die friedlichen Demonstranten und Demonstrantinnen, schlugen und peitschten sie aus. Laut Aussagen von Amnesty International nahmen 10.000 Soldaten Khartoum regelrecht ein.
Über 110 Menschen wurden getötet. Dutzende Leichen wurden aus dem Nil geborgen, manche von ihnen mit schweren Steinen um den Hals, andere mit Schusswunden. Soldaten drangen in Krankenhäuser ein, unzählige Frauen wurden vergewaltigt. Auch der Internetzugang wurde gekappt. In 13 anderen Städten des Landes, unter anderem in Ad-Damazin, Al-Nuhud and Atbara, wurden Protestcamps ebenfalls gewaltvoll gestürmt.
Als Antwort auf das »Blutvergießen von Eid« weiteten die Demonstrierenden ihre Aktionen zivilen Ungehorsams massiv aus. Ein Generalstreik, der bis zum Ende der Militärherrschaft aufrecht erhalten werden sollte, wurde ausgerufen. Mutige Demonstrierende errichteten Straßenblockaden und erschwerten damit den RSF das Patrouillieren in der Stadt. Die Beteiligung am Generalstreik war in allen Sektoren enorm, obwohl Arbeiter und Arbeiterinnen in der Zentralbank, den Flughäfen und Ingenieure gezielt von Sicherheitskräften unter Druck gesetzt wurden.
Nach drei Tagen Generalstreik verkündeten die »Kräfte für Freiheit und Wandel« das Ende des Streiks. Stattdessen sollten Gespräche mit dem Militärrat wieder aufgenommen werden.
Eskalation der Proteste im Sudan
Knapp zwei Wochen nach dem Massaker, am 16. Juni verkündeten die Koalition der »Kräfte für Freiheit und Wandel« einen Fahrplan für die Eskalation der Proteste. Die Sudanese Professional Association verkündete: »Zu den Tyrannen, die für eine Weile glaubten, dass der Sieg ihrer ist, sagen wir: Unsere Leute werden aufstehen, um den Weg weiter zu beschreiten und die Revolution zu vollenden.« Die seit einigen Tagen in Khartoum und in anderen Städten stattfindenden Nachtproteste und kleine Sit-Ins verleihen dieser Drohung Kraft.
Zeitgleich findet am 21. Juni in Berlin ein Treffen zwischen den USA, Großbritannien, Norwegen, Deutschland, den Vereinigten Nationen, der Afrikanischen Union und der Europäischen Union statt. Eingeladen sind auch die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien sowie Ägypten. Thema der Gespräche soll der Übergang zu einer zivilen Regierung im Sudan sein.
Berliner Kolonialkonferenz 2.0?
Die Scheinheiligkeit und koloniale Manier dieser Verhandlungen steht im Zentrum eines zweitägigen Protests der Initiative SudanUprising Germany: »Dieselben Länder, die sich jetzt als Vermittler präsentieren, unterstützen weiterhin den Terror im Sudan mit ihren schmutzigen Geschäften und ihrer Handlungsverweigerung.«
Zur Erinnerung: Im Rahmen des Khartoum-Prozesses flossen Millionen von der EU an die sudanesische Regierung für den »Grenzschutz«. Vorangetrieben wurde das auch durch die deutsche Bundesregierung. Dabei wurden vor allem die mordenden Rapid Support Forces als Türsteher Europas aufgebaut.
Die Rapid Support Forces sind eine Neuformierung der Dschandschawid-Miliz. Diese führte Kriegsverbrechen – Massentötungen und -vergewaltigungen – in Darfur durch. Mit Mohamed Hamdan Dagalo, genannt »Hemeti«, dem Kopf der RSF als Vize-Präsident des Militärrats sind sie nun de facto an der Macht und tragen das Blutbad vom Hinterland in die Hauptstadt.
Dabei erhalten sie auch Unterstützung von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. »Hemeti« koordiniert die Entsendung tausender sudanesischer Soldaten – darunter viele Kindersoldaten – in den Jemen-Krieg. Dafür fließt notwendige finanzielle Unterstützung in den Sudan. Auch exportieren Deutschland, Großbritannien und die USA Waffen an die Golfstaaten – Waffen, die im Jemen-Krieg zur Anwendung kommen. Abdel Fattah Al-Burhan, Kopf des Militärrates, und »Hemeti« waren kurz vor dem Massaker in Khartoum in Jeddah. Berichten zufolge soll dort eine Niederschlagung der Revolution von der saudischen Regierung abgesegnet worden sein.
Weltweite Proteste
Ein friedlicher und demokratischer Übergang kann nicht von Kriegstreibern verhandelt und von außen diktiert werden. Er muss von unten organisiert werden, in Nachbarschafts- und Arbeiterkomitees und an Orten wie den jetzt geräumten Sit-Ins. Der Generalstreik, das hat sich Anfang Juni gezeigt, ist dabei die schärfste Waffe.
Nicht nur in Berlin, sondern weltweit – in Bonn vor den Vereinten Nationen, in London, Washington DC, Dublin und Nairobi – gehen Menschen in Solidarität mit den sudanesischen Revolutionärinnen und Revolutionären auf die Straße. Schließen wir uns ihnen an, um ein Zeichen zu setzen gegen die Unterstützung unserer Regierungen für ein mörderisches Regime, Waffenlieferungen und Kriege; gegen die unmenschliche Behandlung von Migranten und Migratinnen und gegen die Niederschlagung der friedlichen Proteste im Sudan.
Für aktuelle Informationen über Aktivitäten der sudanesischen Solidaritätsbewegung in Deutschland folgt SudanUprising Germany auf Facebook.
Foto: M.Saleh
Schlagwörter: Konterrevolution, Migrationspolitik, Revolution, Sudan