Anfang August hat die deutsche Polizei vier Menschen getötet. Es ist die Folge einer Politik, die auf Gewalt statt soziale Gerechtigkeit setzt, meint Hans Krause
Die Maschinenpistole MP5 von Heckler & Koch ist eine gefährliche Waffe. Ein Magazin hat 30 Patronen, die man im Dauerfeuer in weniger als 10 Sekunden verschießen kann. Sie ist die Standardwaffe der Elite-Soldaten des deutschen »Kommando Spezialkräfte« und der US-amerikanischen »Navy SEALS«.
Trotzdem hat auch jede Streife eine MP5 im Auto und am 8. August glaubten Dortmunder Polizisten, sie mit in den Einsatz nehmen zu müssen. In einer Jugendhilfe-Einrichtung hatte ein Betreuer die Polizei gerufen, weil er befürchtete, dass der 16-jährige schwarze Geflüchtete Mouhamed Dramé aus Senegal, der seelisch schwer krank war, sich selbst umbringt.
Alle Bodycams abgeschaltet
Als die Polizei kommt, ist der Junge mit einem Messer im Innenhof. Sonst ist niemand in der Nähe. Obwohl elf Polizisten im Hof sind, finden sie keinen anderen Weg, als mit der MP5 sechsmal auf Dramé zu schießen. Fünf Kugeln treffen ihn, davon eine ins Gesicht. Kurz danach ist er tot.
Alle elf Polizisten hatten ihre Bodycam während des Einsatzes ausgeschaltet. So dass es kein Video der tödlichen Schüsse gibt. Warum das so war, wird noch untersucht.
»MP ist für Amoklagen«
Zum Vorgehen der Polizei sagte Thomas Feltes, bis 2019 Professor für Kriminologie an der Universität Bochum: »Der Einsatz einer Maschinenpistole ist nicht nachvollziehbar. Diese ist für Amoklagen gedacht, nicht für Einsätze gegen psychisch auffällige Jugendliche. Das martialische Auftreten von elf Polizisten mit der automatischen Waffe erweckt bei Menschen den Eindruck eines Angriffs. Vor allem wenn sie kein Deutsch verstehen«.
Man könnte den Tod Dramés für eine bedauerliche Verkettung unglücklicher Umstände halten. Doch er war der vierte Mensch, den deutsche Polizisten allein im August getötet haben.
Den Hund auf ihn gehetzt
Am 2. August in Frankfurt schießt ein Spezialeinsatzkommando (SEK) sechsmal auf den 23-jährigen Amin F., darunter ein Schuss in den Kopf. Er war ebenfalls schwarz, ebenfalls seelisch krank, wohnungslos, drogensüchtig und in jener Nacht stark betrunken.
Zwei Prostituierte hatten das Hotel, in dem er sich aufhielt, bereits verlassen und die Polizei gerufen. F. war allein im Hotelzimmer. Die Polizisten ließen einen Hund auf F. los und erschossen ihn, nachdem dieser den Hund mit einem Messer schwer verletzt hatte.
Am Boden fixiert, bewusstlos, tot
Am 3. August in Köln erschossen Polizisten Jouzef Berditchevski, der sie mit einem Messer bedroht hatte, um seine Zwangsräumung aus seiner Wohnung zu verhindern. Auch er war seelisch krank, alkoholsüchtig und hatte mit Selbstmord gedroht.
Am 7. August bei Recklinghausen randalierte ein 39-jähriger so laut allein in seiner Wohnung, dass die Nachbarn die Polizei riefen. Als sie kam, wurde der Mann aggressiv. Die Polizisten benutzten Pfefferspray und fixierten ihn am Boden. Er wurde bewusstlos und starb später im Krankenhaus.
63 Tote in 5 Jahren
Politiker und Medien stellen die Polizei fast immer als Elite unserer Gesellschaft dar, die trotz ihrer Heldentaten von bösen Menschen beschimpft und geschlagen wird. In Wirklichkeit üben Polizisten wesentlich häufiger tödliche Gewalt aus als sie Opfer davon werden. Was schon deshalb kaum anders möglich ist, weil jeder Polizist eine Schusswaffe trägt, in Deutschland sonst aber fast niemand.
Laut der Bürgerrechtsorganisation CILIP hat die Polizei in den letzten fünf Jahren 63 Menschen getötet, Tendenz steigend. Im selben Zeitraum starben drei Polizisten durch Gewalt.
Polizei schafft tödliche Konflikte
Wie oft die Polizei nicht tödliche Gewalt anwendet, ist buchstäblich unschätzbar. Anwälte raten Opfern meist von einer Anzeige gegen gewalttätige Polizisten ab, weil darauf nahezu immer eine Gegenanzeige wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte folgt. Vor Gericht sagen meist alle beteiligten Polizisten aus, dass ausschließlich die Betroffenen gewalttätig gewesen seien. Richter glauben Polizisten mehr als anderen Menschen und die Verfahren enden fast immer mit einer Strafe für die Opfer, nicht die Täter.
Wie auch die neuesten Fälle zeigen, begehen Opfer von Polizeigewalt meist keine Straftat und sind keine Gefahr für andere. Sehr viel häufiger sind es Menschen in einer seelischen Ausnahmesituation, ohne Geld, Arbeit, Wohnung, Aufenthaltsrecht oder mit Drogenproblemen. Wenn Menschen in einer Verfassung sind, in der sie ihr Geschirr durch die Wohnung schmeißen und genau dann Polizisten die Tür aufbrechen, wirkt das nicht beruhigend, sondern macht noch aggressiver. Oft verhindern Polizisten keine gefährlichen Konflikte, sondern führen sie durch ihr Auftreten erst herbei.
Politik der Gewalt
Wann immer jemand zu Recht oder zu Unrecht irgendetwas meldet oder man nur eine Kundgebung machen will, rücken uniformierte Polizisten mit geladenen Waffen an. Auch wenn nur die Musik zu laut ist und auch wenn eine Psychologin, ein Arzt, eine Sozialarbeiterin oder eine vertraute Person notwendig wäre, um die Situation zu beruhigen. Stattdessen kommen Polizisten, die gelernt haben, bei Konflikten Gewalt anzuwenden und nichts anderes. Professor Feltes zum vielleicht vermeidbaren Tod Dramés in Dortmund: »Bei solchen Einsätzen sollte immer ein Psychologe oder Psychiater dabei sein.«
Die Ursache sind Bundes- und Landesregierungen, die seit Jahren jedes Jahr mehr Geld für gewalttätige Politik ausgeben: Für die deutsche Armee weltweit und für die Polizei in Deutschland. Während gleichzeitig überall Lehrer:innen, Erzieher:innen und Mitarbeiter:innen in den Sozial- und Jugendämtern fehlen.
Linkspartei für Polizei
Statt die häufige Gewalt auch nur kritisch zu hinterfragen, sehen alle großen Parteien an der Regierung die Polizei als öffentlichen Dienst, der zum Wohle der Menschen ausgebaut werden müsse. Und das bedeutet: leider auch die LINKE.
In Berlin beschloss die Rot-Rot-Grüne Landesregierung im Juni einen Haushalt mit 506 zusätzlichen Stellen für die Polizei. Die LINKE Thüringen hat eine eigene Internetseite, auf der sie stolz zeigt, was unter Ministerpräsident Bodo Ramelow für die Polizei getan wird: »Die CDU-Vorgängerregierung hat die Polizei immer weiter heruntergespart. Rot-Rot-Grün hat diesen Trend umgekehrt.« Und als 2021 SPD und LINKE die Regierung in Mecklenburg-Vorpommern bildeten, beschlossen sie, am Ziel der vorherigen SPD-CDU-Regierung festzuhalten: Die Zahl der Polizisten soll von 5800 auf 6200 steigen.
»Kürzt die Polizei«
Die LINKE fordert seit ihrer Gründung mehr Unterstützung für Arme und Arbeitslose, für Einwanderer und rassistisch Unterdrückte, Menschen die Probleme mit Drogen oder seelischen Krankheiten haben; für alle, die in einer kapitalistischen Welt nicht verwertbar für die Wirtschaft sind und deshalb an den Rand gedrängt werden. Doch diese Haltung ist unglaubwürdig, wenn die LINKE keine Meinung mehr hat, sobald es um Leben und Tod geht und nicht laut ausspricht, dass die ständige Polizeigewalt keine Lösung für irgendein gesellschaftliches Problem ist.
»Defund the Police«, sinngemäß »Kürzt die Polizei«, war eine der beliebtesten Parolen der »Black Lives Matter«-Bewegung, die 2020 die ganze Welt erfasste. Die LINKE sollte diese Forderung übernehmen, die Verbrechen der Polizei aufzeigen und in den Landesregierungen die Kürzung der Polizei-Ausgaben durchsetzen. Statt so zu tun, als wüssten wir nicht, dass der Kapitalismus auf alle Probleme mit Gewalt antwortet, damit die Konzerne nicht für soziale Einrichtungen, gute seelische und körperliche Gesundheitsversorgung, Suchthilfe und die Integration von Einwanderern bezahlen müssen.
Foto: Brainbitch
Schlagwörter: Polizei, Polizeigewalt