In Österreich ist seit wenigen Wochen eine neue Regierung aus der rechtskonservativen ÖVP und der faschistischen FPÖ im Amt. Wir sprachen mit David Albrich, Koordinator der Plattform für eine menschliche Asylpolitik, über den Protest gegen die neue Regierung, die Strategie der Nazis in Nadelstreifen und linke Perspektiven.
marx21: Am vergangenen Samstag haben in Österreich 70.000 Menschen gegen die neue schwarz-blaue Regierung protestiert. Hat dich die enorme Beteiligung überrascht?
David: Nein, nicht wirklich. Spätestens seit die Wiener Grünen und die SPÖ aufgerufen hatten, wussten wir, dass die Proteste riesig werden. In den Tagen vorher hatte sich auch abgezeichnet, dass Teile der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA-djp) sich beteiligen. Zwar hat ihre Führung noch nicht offiziell aufgerufen, aber viele Engagierte haben sich unter einer Plattform mit dem Namen »SozialdemokratInnen und GewerkschaftInnen gegen Notstandspolitik« formiert. Obwohl Die Regierung will unsere Bewegung zurückdrängen. Doch die Demonstration hat vielen Menschen in Österreich wieder Mut gemacht. Für mich ist klar: Die Proteste am Samstag waren erst der Anfang.
Du sagst, dass sich auch die Gewerkschaften beteiligt haben. Warum?
Es gibt verschiedene Gründe, warum Menschen jetzt gegen die schwarz-blaue Regierung in Österreich protestieren wollen. Für die Gewerkschaften stehen ganz sicher die angekündigten sozialen Kürzungen, wie die Abschaffung der Notstandshilfe, im Vordergrund. Die Notstandshilfe ist eine Versicherungsleistung, die Menschen, die länger arbeitslos sind, hilft. Die Kürzung der Notstandshilfe hätte dramatische Auswirkungen, vergleichbar mit den Hartz IV-Gesetzen in Deutschland. Zum anderen will die Regierung weitere Verschlechterungen durchsetzen: Wie die Einführung des 12 Stunden Tages, die Kürzung der Beiträge für die Arbeiterkammer oder ein radikaler Umbau des Sozialversicherungssystems.
Initiiert wurde der Protestes aber nicht von den Gewerkschaften, sondern von der »Plattform für menschliche Asylpolitik« und der »Offensive gegen Rechts«.
Das stimmt zwar, aber die Gewerkschaften hatten maßgeblichen Anteil, insbesondere was die Organisation der Demonstration betrifft. Wir sehen es als einen gewaltigen Fortschritt an, dass wir die sozialen Themen mit Antifaschismus, Antirassismus und auch der Klimapolitik verbinden konnten.
Warum ist das wichtig?
Die schwarz-blaue Regierung in Österreich nutzt den Rassismus gegen Muslime und Geflüchtete um von den realen Probleme wie Gesundheit, Renten, Klima, Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Armut abzulenken. Rassismus ist kein bloßer Reflex auf Krisen und neoliberale Verarmungsprogramme der Herrschenden, sondern wird von Oben geschürt.
Kannst du Beispiele nennen?
Für große Empörung hat beispielsweise eine Aussage von Innenminister Herbert Kickl ein paar Tage vor der Demonstration gesorgt. In einem Interview erklärte er, dass er Geflüchtete in großen Lagern »konzentrieren« wolle. Das ist eine Rhetorik, die an die 30er Jahre erinnert. Viele Menschen sind besorgt über den Rechtsruck in Österreich. Solche Aussagen wie die des Innenministers sind nur die Spitze des Eisberges. Jeden Tag hetzen Politikerinnen und Politiker im Verbund mit Teile der Medien gegen Geflüchtete und Muslime.
Aber auf Nachfrage bestritt Kickl, das Wort bewusst in Anlehnung an die NS-Konzentrationslager benutzt zu haben?
Kickl war jahrelang Generalsekretär der FPÖ, einer von antisemitischen deutschnationalen Burschenschaftern geführten Partei, die sich nie von den Traditionen des Nationalsozialismus losgelöst haben (Belege sie im Buch von Hans-Henning Scharsach, »Stille Machtergreifung«). Sie ehren Nazi-Kriegsverbrecher in ihren Mitgliederlisten und rufen ihre »Brüder« dazu auf, diesen ein »ehrendes Andenken« zu bewahren. Ein Mann wie Kickl überlegt sich ganz bewusst, was er sagt, wann er es sagt und wie er es sagt. Er hat die Wahlkampf der FPÖ geplant, er hat Straches wichtigste Reden geschrieben und er hat jahrelange Erfahrung im Umgang mit rechten »Einzelfällen«, die nicht den Arm unten lassen können. Kickl selbst hat »rote Linien« in der Partei definiert, die nicht überschritten werden dürfen – offenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus und Antisemitismus.
Warum bringt Kickl dann wenige Tage nach seinem Antritt als Innenminister »Konzentrationslager« ins Spiel?
Die FPÖ ist eine im Kern faschistische Partei, die nicht bloß eine Wahlbewegung aufbaut (etwa wie Trump oder die britische UKIP), sondern versucht diese Bewegung zu radikalisieren und aus ihr einen Kern aus faschistischen Aktivisten zu schmieden. »Grenzüberschreitungen«, wie das die Medien oft verharmlosend bezeichnen, sind integraler Bestandteil dieses faschistischen Projekts, und nicht bloße Ausrutscher. Sie sollen neu gewonnen Wähler und Wählerinnen »abhärten« und näher an die Partei binden. Kickl handelt mit einem politischen Kalkül, das die antifaschistische Bewegung durchschauen muss, wenn sie die FPÖ wirksam bekämpfen möchte.
Im Aufruf für die Demonstration gibt es einen extra Absatz über den antimuslimische Rassismus. Haben sich auch Muslime an der Demonstration beteiligt?
Ja und es ist ein großer Fortschritt, dass es uns jetzt gelungen ist, muslimische Verbände in die Bewegung zu integrieren. Sie haben sich an die Spitze gestellt, wie das »Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft« (NMZ). Eine der kämpferischsten Reden hielt eine Vertreterin des Netzwerks. Sie sagte, sie habe es satt, dass Muslime für Verschlechterungen verantwortlich gemacht werden, dafür gab es den meisten Applaus.
Was plant die Regierung gegenüber Muslimen?
Die FPÖ fährt seit Jahren einen islamfeindlichen Kurs und hat als eine der ersten auf die Islamfeindlichkeit gesetzt, wie davor auf Hetze gegen Osteuropäer oder Roma. Im Wahlkampf hat sich die FPÖ allerdings kaum noch von der ÖVP unterschieden. Rassismus war ihr gemeinsamer Nenner. Der Versuch von Sebastian Kurz, die rassistischen Hetzkampagnen von rechts außen zu übertönen und zu übertrumpfen, ist gescheitert. Jetzt plant die Regierung schreckliches: Kurz und Strache wollen »Härte« gegenüber dem Islam zeigen. Im Regierungsprogramm wird unter dem Punkt Integration festgehalten, dass »islamischen Kindergärten« und »islamischen Privatschulen« eine stärkere Kontrolle und in letzter Konsequenz die Schließung bei Nichterfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen drohe. Weiter planen ÖVP und FPÖ eine standardisierte Koran-Ausgabe sowie eine »umfassende Kontrolle der Darstellung der Lehre.« Das Verbot der Auslandsfinanzierung soll nicht nur auf Moscheevereine beschränkt bleiben, sondern auch im Bildungsbereich verankert sein. Wir halten das für ungeheuerlich. Deswegen war es uns so wichtig mit Muslimen Seite an Seite zu demonstrieren.
Gab es von vornherein die Intention mit Muslimen zusammenzuarbeiten oder gab es erst eine Debatte?
Die Islamfeindlichkeit ist das einigende Band der herrschenden Klasse in Österreich. Wir schätzen es so ein, dass die Mächtigen künftig noch stärker auf Islamfeindlichkeit setzen werden, um ihre eigenen Konflikte zu kaschieren. Die Islamophobie wird derart stark von oben geschürt, dass sie leider auch Einzug in die Linke erhält. Gerade deshalb halte ich es für einen so wichtigen Fortschritt, dass Teile der organisierten Arbeiterklasse gemeinsam mit Muslimen demonstriert haben und sich mit ihnen und ihren Anliegen solidarisiert haben. Wir werden die Bewegung noch stärker gegen Rassismus »impfen« müssen, wenn wir verhindern wollen, dass uns die Herrschenden auseinander dividieren.
Trotz der großen Beteiligung an der Demonstration hat der neue SPÖ-Bundesgeschäftsführer am Tag darauf der FPÖ vorgeworfen, sie plane neue Migranten ins Land zu holen. Was denkst du darüber?
Teile der Sozialdemokraten in Österreich versuchen die FPÖ von rechts anzugreifen. Doch diese Strategie hat sich als völlig unfähig erwiesen, dem Rechtsruck Einhalt zu gebieten. Gleichzeitig ist die Sozialdemokratie tief gespalten. Es haben sich führende Sozialdemokraten, wie der Klubobmann der Sozialdemokraten im Parlament Andreas Schieder oder die Nationalratsabgeordnete Sabine Schatz an der Demonstration beteiligt. Mit dabei war die Sozialistischen Jugend, die sozialdemokratischen Studierenden (VSStÖ) und Schüler (AKS), wie auch sichtbar große Kontingente von sozialdemokratischen Gewerkschaftern (FSG). Dass die SPÖ-Spitze am Tag darauf behauptet, Migranten seien für die schlechten Löhne im Land verantwortlich , ist ein starkes Stück. . Wenn 70.000 Menschen gegen Rassismus demonstrieren, erwarte ich von der Sozialdemokratie, dass man diese Leute abholt und eine mächtige Oppositionsbewegung im Parlament und außerhalb aufbaut, statt sie vor den Kopf zu stoßen.
Wie geht es weiter?
Ich hoffe, dass der Widerstand – egal, ob es nun um Antirassismus oder mehr soziale Gerechtigkeit geht – weiter zunimmt. Ich wünsche mir den Sturz dieser Regierung und dass die Gewerkschaften zu Streiks mobilisieren. Klar ist: Wir brauchen einen langen Atem. Aber die Großdemonstrationen hat vielen Menschen Mut gemacht. Unser nächsten Pläne sind der Aufbau von Protesten gegen den FPÖ-Akademikerball, der einen Tag vor dem Holocaustgedenktag stattfindet. Außerdem werden wir am internationalen Aktionstag gegen Rassismus am 17. März teilnehmen.
Zum Autor: David Albrich ist Mitglied von Linkswende jetzt und Koordinator der Plattform für eine menschliche Asylpolitik. Er lebt in Wien.
Das Interview führten Jules El-Khatib und Yaak Pabst
Foto: Isabelle Ouvrard
Schlagwörter: FPÖ, Islamfeindlichkeit, Islamophobie, Österreich, ÖVP, Rassismus, SPÖ