Liebe, Freundschaft und die eigene Zukunft: Die Coming-of-Age-Geschichte eines Palästinensers in Israel zeigt das Leben unter Besatzung aus persönlicher Sichtweise. Leider geht der Film »Mein Herz tanzt« über diese Ebene nicht hinaus. Von Phil Butland
Eyad ist der einziger Palästinenser in einer israelischen Eliteschule. Er verliebt sich in seine jüdische Mitschülerin Naomi und sie sich in ihn. Kann ihre Liebe sich gegen gesellschaftlichen und familiären Druck durchsetzen? Eyad freundet sich mit dem körperbehinderten Israeli Yonatan an, der an Muskeldystrophie leidet und im Rollstuhl sitzt. Können die beiden Außenseiter voneinander lernen und von einer diskriminierenden Gesellschaft akzeptiert werden?
Solche Fragen enden oft in Klischees und andere Regisseure und Drehbuchautoren hätten einen sicherlich ehrbaren, aber uninteressanten Film daraus gemacht. Regisseur Eran Riklis (»Die syrische Braut«, »Lemon Tree«) und Drehbuchautor Sayed Kashua (Autor des autobiografischen Romans »Der tanzende Araber«, der die Grundlage des Films ist) muss hingegen zugute gehalten werden, dass sie keinen Zweifel daran lassen, dass solche Probleme gesellschaftlich verursacht werden. Sie bieten uns keine »Romeo und Julia«-Geschichte mit der Botschaft, dass wir alle Konflikte lösen könnten, wenn nur Eltern ihren Kindern zuhören und alle sich lieben würden.
Keine »Romeo und Julia«-Geschichte
Von der israelischen Besatzung sind alle Protagonisten des Films betroffen – aber nicht alle in gleichem Maße. Für Eyad bedeutet das Leben unter der Besatzung, dass er an einer Bushaltestelle angegriffen wird und Soldaten ihn kontrollieren, wenn er einen Satz Arabisch spricht. Naomi muss sich zwischen ihren Gefühlen und einem guten Posten in der Armee entscheiden.
Wie bereits »Paradise Now« des Regisseurs Hany Abu-Assad zeigt auch »Mein Herz tanzt«, dass hellhäutige Araberinnen und Araber als jüdisch wahrgenommen werden und so der alltäglichen Diskriminierung entgehen können. Der Film zeigt aber auch, welchen Preis sie dafür bezahlen müssen: auf die eigene Sprache und Kultur verzichten und sich von seinen Freundinnen und Freunden lossagen zu müssen.
In einer Szene hören Arbeiter in der Küche eines Restaurants arabische Musik. Kommt der Chef herein, schalten sie die Musik aus und beginnen plötzlich, Hebräisch zu reden. Es sind alles Araber, die jüdische Namen benutzen, um Arbeit zu finden. Ihr Traum ist es, Kellner zu werden – ein Job, den kein Araber bekommt.
Individuelle Auswege
Die Besatzung bestimmt nicht nur die Karrieremöglichkeiten und das Liebesleben. Überall sind bewaffnete Soldaten und rassistische Graffiti und Aufkleber zu sehen. Vor dem Felsendom in Jerusalem weht nur die israelische Fahne. Sie wirkt aber auch noch viel subtiler. Im Literaturunterricht lesen Eyad und seine Mitschülerinnen und Mitschüler einen Roman von Amos Oz, dem bekanntesten Vertreter des liberalen Zionismus. Eyad zeigt in einer überzeugenden Rede, dass auch vermeintliche Antirassisten wie Oz der orientalistischen Denkart anhängen und Palästinenserinnen und Palästinenser als unselbstständige, kindgleiche Bürger zweiter Klasse ansehen, die von progressiven Israelis befreit werden müssen.
»Mein Herz tanzt« stellt dar, dass der israelisch-palästinensische Konflikt nicht zwischen zwei gleich mächtigen Völkern besteht, und steht eindeutig auf die Seite der Unterdrückten. Umso tragischer ist es, dass der Film nur individuelle Auswege aus der schrecklichen Situation aufzeigt.
Jüdische Israelis können sich den Strukturen des Staatsapparats anpassen oder widersetzen – und damit von ihrer Umwelt isolieren. Für Araberinnen und Araber besteht der einzige Ausweg darin, ihre Familie und ihre Kultur zu verlassen, entweder durch Assimilation oder durch Flucht (Eyad erlebt eine Art persönlicher Befreiung, als er nach Berlin flieht). Egal, welche individuellen Lösungen die Menschen finden, das System der Unterdrückung bleibt bestehen.
Auf Saddam Hussein hoffen
Alternativen wären zwar vorstellbar, aber nur in begrenztem Maße. Der Film spielt in den 1980er und 1990er Jahren, es herrscht Krieg in der Region, erst im Libanon, dann im Irak. Kurz hoffen die verzweifelten Palästinenserinnen und Palästinenser, dass Saddam Hussein sie befreien könnte. Doch schnell wird deutlich, dass die arabischen Regierungschefs zu schwach sind – und sich für das Schicksal der Palästinenser sowieso nicht interessieren.
Die Möglichkeit, sich selbst zu befreien, sieht der Film nur in der Vergangenheit. Eyads Vater war in den 1960er Jahren Kommunist und Widerstandskämpfer. Damit verlor er jede Chance auf Bildung und Karriere. Jetzt scheint eine Befreiung nur von außen möglich. Wenn überhaupt.
Dabei brach im Jahr 1987 – genau in der Zeit, in der der Film spielt – die erste Intifada aus, als Palästinenserinnen und Palästinenser versucht haben, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Die Intifada konnte die Kräfteverhältnisse im kolonialen Staat nicht umwälzen, aber sie verlieh den Palästinenserinnen und Palästinensern neues Selbstbewusstsein. Von dieser emanzipatorischen Erfahrung und von der Intifada selbst erzählt der Film leider nur sehr wenig.
Es wäre aber nicht fair, »Mein Herz tanzt« nur danach zu bewerten, dass er die gescheiterten Versuche der Befreiung nicht ausreichend thematisiert. Die momentane Lage der Palästinenserinnen und Palästinenser ist genau so desolat, wie der Film sie darstellt.
Jetzt kommt es darauf an, die Situation zu verändern.
Mein Herz tanzt /Regie: Eran Riklis /Israel, Deutschland, Frankreich 2014
Seit 21. Mai im Kino
Schlagwörter: Intifada, Israel, Kultur, Palästina