Winterzeit ist Sofazeit und die Gelegenheit, wieder einmal eine Auswahl von TV-Serien vorzustellen, die zu Unrecht fast völlig unbekannt sind. Von Alban Werner
Büro der Legenden
Grob gibt es wahrscheinlich zwei Hauptsorten von Spionage-Filmen und -Serien. Zum einen ist da die glamouröse Variante, zu der »James Bond«, »Mission Impossible«, »The Saint« und neuerdings »Kingsmen« gehören. Hier weiß man nicht nur immer von Anfang an genau, wer »die Guten« und wer »die Bösen« sind, sondern das Vorgehen der Protagonisten lässt auch bis zum Schluss daran selten einen Zweifel.
Und dann gibt es die »dreckige« Variante von Geschichten um Geheimdienste, Spionage und kriegsbezogene Informationsbeschaffung, die uns vor Augen führen, dass sich alle Seiten die Hände schmutzig machen, auch diejenigen, die wir gemeinhin als »die Guten« ansehen. Zu dieser Sorte zählen z.B. die John-Le-Carré-Verfilmungen »Der Spion, der aus der Kälte kam«, die Filme um George Smiley oder jüngst Denis Villeneuves Film »Sicario«.
Die französische Serie »Büro der Legenden« gehört ohne jeden Zweifel zur zweiten Kategorie. Das titelgebende »Büro« ist eine Abteilung des französischen Auslandsgeheimdienstes DGSE, von der Informantinnen und Informanten im In- und Ausland rekrutiert, eingesetzt und notfalls exfiltriert werden. Im Mittelpunkt stehen zum einen der hochrangige Geheimdienstler Guillaume Debailly, der nach einem sechsjährigen Einsatz unter falscher Identität aus Syrien zurückkehrt, sich aber dort in eine syrische Historikerin verliebt hat und nun in einen Loyalitätskonflikt gerät, weil er seine Geliebte aus dem kriegsgeplagten Land zurückholen möchte. Zum anderen geht es um die junge Geographin Marina Loiseau, die von der DGSE angeworben wird, um das iranische Atomprogramm zu infiltrieren.
Für Mathieu Kassovitz in der Rolle des Debailly ist die Serie so etwas wie eine lang ersehnte Ankunft nach langer filmischer Durststrecke. Kassovitz hatte 1995 Regie geführt beim phänomenalen Film »La Haine – Hass« über perspektivlose Jugendliche aus der Pariser Banlieue, hatte an diesen Erfolg aber nicht anknüpfen können. Dem deutschen Publikum war er zuletzt vor 16 Jahren in »Die fabelhafte Welt der Amélie« aufgefallen.
»Büro der Legenden« besticht zunächst durch seinen eindringlichen Realismus. Man kann sich ziemlich gut vorstellen, dass Geheimdienste so oder zumindest so ähnlich funktionieren, wie es in dieser Serie dargestellt wird, und auch die verschiedenen inneren und zwischenmenschlichen Konflikte, Bewährungsproben, Enttäuschungen und Verletzungen bleiben glaubhaft – sei es, dass eine Hauptfigur einen Deal eingeht, als Doppelagent für die CIA zu arbeiten, sei es, dass ein anderer Charakter eine kurdische Verbündete aufgeben muss, weil sich die geopolitische Interessenlage Frankreichs gewandelt hat, sei es, dass lange Freundschaften wegen harscher Vertrauensbrüche scheitern. Durch ihre hochspannenden Geschichten sagt die Serie viel aus über die strukturelle Gewalt einer von Krieg, Imperialismus, Kolonialerbschaften und Misstrauen geprägten Welt, die sich nicht anderer Mittel zu bedienen weiß.
»Büro der Legenden« hat bislang 30 Folgen in drei Staffeln und ist erhältlich auf DVD sowie bei Amazon Video.
American Crime
John Ridley, Drehbuchautor des Oscar-preisgekrönten Dramas »12 Years a Slave« von Steve McQueen, hat mit »American Crime« die vielleicht beste Serie über Rassismus, soziale Ungleichheit, Sexismus und andere Übel unserer Gegenwartsgesellschaft geschaffen. Die leider nach nur drei Jahren eingestellte Serie bietet in jeder Staffel eine andere durchgehende Geschichte, die von demselben, wirklich herausragenden Schauspielerensemble präsentiert wird.
In der ersten Staffel glänzt Felicity Huffmann (vielen noch bekannt als Lynette Scavo in »Desperate Housewives«) als offen Vorurteile gegen Afroamerikaner pflegende Mutter, deren Sohn bei einem Einbruch getötet wurde. In der zweiten Staffel spielt sie die Rektorin einer Privatschule, an der Fotos von einem sexuellen Übergriff auf einen Schüler auftauchen. In der dritten Staffel trifft man sie in North Carolina, wo die unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen eingewanderter Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter Thema sind.
Während man es gewohnt ist, dass ein Ensemble immer in gleiche Rollenkorsetts gesteckt wird, überrascht es hier mit seiner beachtlichen Wandlungsfähigkeit. Die zu Recht preisgekrönte Regina King spielt in Staffel 1 die zum Islam konvertierte Schwester des Mordverdächtigen, in Staffel 2 die arg erfolgsorientierte Aufsteigerin und Mutter eines Privatschülers, in Staffel 3 eine Sozialarbeiterin, die sich (oft vergeblich) um jugendliche Prostituierte bemüht, deren eigener Kinderwunsch ihr aber versagt geblieben ist.
»American Crime« zeigt, dass man eine mitreißende Serie über die verschiedenen Facetten sozialer Ungleichheit machen kann, die nicht zum »Erklärfernsehen« verkommt. Für die Serie spricht weiterhin, dass sie es weder sich selbst noch dem Publikum jemals zu einfach macht. Ganz ähnlich wie in den Filmen des unverwüstlichen linken Regisseurs Ken Loach in seinen Filmen erleben wir in »American Crime«, dass auch die Benachteiligten keine besseren Menschen sind, und welche perfiden Zwänge es verhindern, dass eigentlich gutgesinnte Leute »das Richtige« ohne erhebliche persönliche Opfer tun können. Bei »American Crime« gibt es ebenso wenig wie bei Loach ein höh’res Wesen, das mit wenigen Handlungen das soziale Übel aus der Welt schaffen könnte.
»American Crime« hat 29 Folgen in drei Staffeln und ist bei Amazon Video verfügbar.
The People v. OJ Simpson: American Crime Story
Diese Miniserie, die unter anderem von den Machern von »American Horror Story« mitgeschaffen wurde, schafft es, den Mordprozess gegen den ehemaligen Football-Spieler OJ Simpson in den 1990er Jahren enorm spannend aufzubereiten, obwohl der Ausgang von Anfang an bekannt ist. Auf clevere und überaus unterhaltsame Weise werden Beobachtungen zur nach wie vor wirkenden rassistischen Spaltung der Gesellschaft und zur unrühmlichen Rolle der Medien sowie der US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden eingeflochten. Zudem gibt es ein Wiedersehen mit John Travolta als OJs schmieriger Anwalt Robert Shapiro sowie David Schwimmer aus »Friends« als OJs Busenfreund Robert Kardashian; nahezu alle überstrahlt jedoch Sarah Paulson als Staatsanwältin Marcia Clark.
Der afroamerikanische Journalist Ta-Nehisi Coates hat im »Atlantic« beschrieben, wie unzählige Schwarze in den USA sich damals solidarisch mit OJ Simpson erklärten, trotz der beachtlichen Indizienbeweislage gegen ihn, obwohl Simpson immer auf Distanz zur schwarzen Bürgerrechtsbewegung geblieben, ja sein Erfolg sogar wesentlich seiner Beliebtheit beim weißen Sportpublikum und Medien- wie Konzerneliten geschuldet war.
Die erschreckende wie einleuchtende Begründung ist für Coates, dass Simpsons Davonkommen, so erschreckend es aufgrund seiner wahrscheinlichen Schuld sein mag, zugleich in perverser Form einen Ausdruck erreichter Gleichheit gegen die Übermacht rassistischer Strukturen in seinem Land bedeutet: »Simpsons große Errungenschaft lag darin, für ein Verbrechen angeklagt zu werden, dann aber die Behandlung zu erfahren, die eigentlich für reiche weiße Typen vorgesehen war.«
»The People v. O. J. Simpson: American Crime Story« hat 10 Folgen und ist verfügbar bei Amazon Video sowie erhältlich auf Blue Ray und DVD.
Spiral
Die derzeit wahrscheinlich beste weltweit laufende Krimiserie kommt aus Frankreich und heißt »Engrenages«. Der schwierig zu übersetzende Originaltitel kann im Französischen »Mahlwerk« oder auch »Teufelskreis« bedeuten, weshalb die Serie hierzulande unter ihrem englischen Titel »Spiral« läuft. Die Reihe geht vielfach über die Thematik des Kriminalfalls, der die Hauptfiguren jeweils für eine gesamte Staffel beschäftigt, hinaus. Es geht um Abgründe, Dynastien und Korruptionsanfälligkeiten in der französischen Justiz und Politik, um Teufelskreise von Heuchelei, Lügen und gesellschaftliche Missstände. Darin, und in ihrer haargenau-unerbittlichen Charakterzeichnung, ist »Engrenages« der legendären Serie »The Wire« von David Simon ähnlich.
Die wichtigsten Handlungsstränge kreisen um ein Quartett: die Kommissarin Laure Berthaud, die ein absoluter Workaholic ist und der die bürokratischen Mühlen des Justizapparates zuwider sind; der Ermittlungsrichter François Roban – eine Besonderheit des französischen Rechtswesens –, ein glühender Streiter des Rechtsstaats im Anzug, in dessen Augen immer wieder ein geradezu jakobinisches Glühen fanatischer Gerechtigkeitssuche aufflackert; der Staatsanwalt Pierre Clément, dem es immer schwerer fällt, allen perversen Fehlanreizen seines Umfelds zum Trotz rechtschaffen zu bleiben; sowie die gewissen- und rücksichtslose Strafverteidigerin Joséphine Karlsson.
Während zunehmend Serien aus Deutschland und dem angelsächsischen Raum Zuflucht darin nehmen, ihren Mangel an Einfallsreichtum und erzählerischen Mut durch teures Retro-Setting vergangener Jahrzehnte zu übertünchen, zeigt »Engrenages«, dass man selbst in einem so angestaubten Genre wie dem Krimi viel über unsere Gegenwart sagen kann – wenn man weiß, wie es geht.
»Spiral« ist erhältlich auf Blue Ray, DVD sowie bei Amazon Video.
Zum Autor: Alban Werner ist Politikwissenschaftler aus Aachen und filminteressiert, seitdem er 1994 ehrenamtlich im kommunalen Kino mitarbeitete. Neben Kapitalismus und Frauenunterdrückung findet er auch Filme von Michael Bay, Roland Emmerich und Zack Snyder zum Kotzen
Mehr lesen: Alban Werners erste Auswahl der besten TV-Serien, die keiner kennt, findest Du hier.
Foto: Daniel Go
Schlagwörter: Fernsehen, Krimi, Serientipps, TV