»Breaking Bad« war eine der erfolgreichsten und populärsten TV-Serien der Fernsehgeschichte. Aber die actiongeladene Handlung rund um den Drogen verkaufenden Ex-Lehrer Walter White vermittelt zudem eine moralische Anklage gegen die heutige Gesellschaft, findet Alexander Schröder.
Heisenberg war der Name eines deutschen Physikers, der die bisherigen weltanschaulichen Gewissheiten der Physik zerschlug. Die »Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation« besagt, dass die Bewegungsrichtung von physikalischen Teilchen nicht eindeutig bestimmt werden kann. Seither kann man Ursachen und Wirkungen in der Physik nicht mehr scharf von einander trennen. Nicht nur erscheint alles relativ wie bei Einstein, sondern alles in der Physik hat an Trennschärfe verloren. Unsicherheit und Ungewissheit dominiert seither die Naturwissenschaften.
Heisenberg ist auch der Name eines Drogenbarons in der TV-Serie Breaking Bad, der die bisherigen weltanschaulichen Gewissheiten der gutbürgerlichen Moral zerschlug. Die Bewegungsrichtung der Moral des Drogenbarons Heisenberg kann ebenso wenig eindeutig bestimmt werden wie die der physikalischen Teilchen in der Theorie des Physikers Heisenberg. Die Uneindeutigkeit der Moral ist das Hauptthema der Serie.
Eine Serie über verschenktes Potenzial
Gut und Böse können nicht mehr klar unterschieden werden. Gutes verwandelt sich permanent in Schlechtes und umgekehrt. Das macht die Serie so packend und für eine Ideologiekritik interessant.
Wie sieht die künstlerische Inszenierung dieser Moral in der Handlung der Serie aus? Der brave Familienvater und Chemielehrer Walter White erfährt, dass er an Lungenkrebs erkrankt ist. Obwohl er zudem ein äußerst intelligenter Wissenschaftler ist (seine ehemaligen Kollegen sind durch sein Wissen stinkreich geworden), kann er sein enormes Potenzial bis zu seiner Erkrankung nicht voll ausnutzen.
Tyler Durden aus Fight Club hätte gesagt: »Ich sehe soviel Potential, wie es vergeudet wird!« Walter Whites schlecht bezahlter Beruf als Schreibtisch-Sklave ermöglicht seiner Familie nur ein dürftiges Leben, weswegen auch seine Ehe zu einem bloß mittelmäßigen Zusammenleben verkommen ist.
Ein Held verzweifelt
Sein Sohn, der an einer Behinderung leidet – der also von der kapitalistischen Gesellschaft wie der Vater an der Ausschöpfung seines Potenzials gehindert wird – verehrt seinen liebenden Vater dennoch und versucht, diesem durch seine eigene Spendenaktion zu helfen. Er beschreibt den braven Mann wie folgt: »Er ist ein toller Vater, ein toller Lehrer. Er kennt sich hervorragend mit Chemie aus. Er hat Geduld mit einem. Er ist immer für einen da. Er ist einfach anständig. Und er tut immer genau das Richtige… Mein Dad ist mein Held.«
Dieser brave Held, dessen Name bereits auf seine »weiße Weste« hinweist, verzweifelt jedoch bald an seiner miserablen ökonomischen Lage. Wie Leo Tolstojs sterbenskranker Iwan Ilitsch und Tyler Durden in Fight Club wird unser Protagonist durch eine Nahtoderfahrung verändert. Wie sein Vorgänger Durden begreift auch Walter White die zynische Realität: »Wenn Menschen denken, dass du stirbst, hören sie dir richtig zu…«
Aber das Zuhören rettet seine Familie nicht. Denn die Behandlung der Krankheit, die in seinem Körper heranwächst, garantiert keine Heilung und erst recht keine ökonomische Absicherung seiner Familie. Sie ist Symbol für die gesellschaftliche Krankheit, die man Kapitalismus nennt.
Vom Lehrer zum »Meth-Koch«
Die privatwirtschaftlich organisierte Chemotherapie kann ihm keine Sicherheit gewähren (wohl, weil im Kapitalismus mehr für militärische Aufrüstung als für gesundheitliche Ausrüstung ausgegeben wird). Daher nutzt er die »hervorragenden« Kenntnisse, die sein Sohn so sehr an ihm schätzt, um Methylamin zu produzieren und zu verkaufen. Unterstützt wird der von seinem drogensüchtigen ehemaligen Schüler Jesse Pinkman, der wie er eine gescheiterte Existenz darstellt.
Als gefragte, hochkarätige »Meth-Köche« geraten sie immer weiter in kriminelle Machenschaften. Das Meth-Kochen wird für den braven Chemielehrer so etwas wie der Fight Club im gleichnamigen Film für die »Männer ohne Zweck, ohne Ziel«, die zum Aufstand gegen die gutbürgerliche Moral rufen und den gesitteten Bürgern so plastisch drohen: »Wir kochen eure Mahlzeiten, fahren eure Krankenwagen, stellen eure Anrufe durch, holen euren Müll ab… Wir bewachen euch, während ihr schlaft… Versucht nicht, uns zu verarschen!«
Morden auf kreative Weise
Bis aus dem braven US-Bürger mit der »weißen Weste« der berüchtigte Drogenbaron »Heisenberg« wird, strauchelt er von einem moralischen Dilemma zum nächsten. Sein erster Auftraggeber, ein brutaler Drogendealer, wird von einem Sprengstoffanschlag durch unseren »Helden« getötet. Ein ebenso brutaler Drogenboss, wird mit seinen eigenen Drogen geschickt vergiftet: »Dieser Crétin schnupft doch alles, was ihm in die Finger kommt«, stellt Heisenberg kritisch fest.
Natürlich werden noch viele weitere Bösewichte auf kreative Weise aus dem Verkehr gezogen. Aber auch Unschuldige kommen immer wieder zu Tode. Schon allein der fatale Konsum von »Meth« führt zu mehreren Todesopfern. Eine süchtige Frau tötet ihren Partner im Streit um die Droge. Und gerade aufgrund der moralischen Empörung über seinen abhängigen Partner Jesse lässt Heisenberg dessen Freundin an einer Überdosis sterben. Ihr Tod wiederum führt zu einem Flugzeugcrash, da ihr unglücklicher Vater als Fluglotse seine Nerven verliert. Ein Jugendlicher wird nur deswegen ermordet, weil er Zeuge der Machenschaften der Meth-Köche geworden ist.
Die Moral der Kriminellen
Auch Heisenbergs Familie wird immer tiefer in Korruption und persönliche Konflikte hineingezogen. Zwischen Mord und Totschlag kommen den Protagonisten immer wieder Zweifel an ihrem Tun. Aber gerade die verzweifelte Situation der Menschen führt ja zu immer übleren Verstrickungen. Sie können ihrer Lage nicht einfach entfliehen, weil sie an ihren sozialen Beziehungen und moralischen Vorstellungen festhalten.
Moral bei Kriminellen? Sind die denn nicht furchtbar unmoralisch? Und verherrlicht die Serie denn nicht alles Schlechte in der Welt? Jein. Man muss es nämlich, wie alles, dialektisch betrachten. Denn gerade die eingangs erwähnte »Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation« kommt in Anwendung auf moralische Fragen der heutigen Gesellschaft in der Sendung zum Tragen.
Immer wieder wird deutlich, dass Walter White vor allem zum Drogen verkaufenden Antihelden degeneriert, weil die Gesellschaft ihm nicht ermöglicht hat, ein braver Familienvater und Held zu bleiben. Zudem bleibt sein großes Ideal einer stabilen Familie in ökonomischer Sicherheit in veränderter Form bestehen. Am Ende der Serie zählt er sein Geld z.B. anhand der Ausgaben seiner Familie nach seinem erwarteten Tod genauso wie am Anfang der Serie.
Die weiße Weste muss schmutzig werden
Nicht das Geld an sich interessiert ihn, sondern das Geld als Mittel für familiäre Absicherung. Trotz aller Konflikte mit seinen Verbündeten, Freunden und Familienmitgliedern will er gerade sie retten, wo er kann. All seine verbrecherischen Mittel dienen dem Zweck der praktizierten Nächstenliebe. Es ist eine im Kern zutiefst moralische und sozialkritische Idee, die auf diese Weise transportiert wird.
Allerdings ist sie mit dem illusionären amerikanischen Traum verwoben, der in der Serie auf den Boden der Tatsachen gestellt wird. Denn Breaking Bad zeigt, dass der utopische Traum vom Aufstieg aus den unteren Schichten im heutigen US-Kapitalismus für den durchschnittlichen Bürger kaum mit einer »weißen Weste« zu realisieren ist.
Walter White repräsentiert den Typus des normalen Amerikaners, des Joe Average, der aus seiner sozialen Misere mit harter Arbeit nicht mehr herauskommt – es sei denn er ist bereit, sich die ehemals »weiße Weste« schmutzig zu machen. Der gutbürgerliche Geduldfaden des Joe Average muss reißen. Er muss das Falsche tun und ein skrupelloser Antiheld werden, um den amerikanischen Traum zu verwirklichen.
Ein Meisterwerk der Gegenwartskunst
Breaking Bad bietet zwar keine klaren Antworten auf die sozialen Fragen, die die Serie aufwirft. Sie bietet auch keine eindeutigen Antworten auf die Fragen der Moral, die sogar im Serientitel mitschwingen. Es fehlt ihr auch an einer Drohung wie in ihrem Vorläufer Fight Club: »Wir wurden durch das Fernsehen aufgezogen in dem Glauben, dass wir alle irgendwann mal Millionäre werden, Filmgötter, Rockstars… Werden wir aber nicht! Und das wird uns langsam klar! Und wir sind kurz, ganz kurz vorm Ausrasten…« Dennoch: Heisenbergs Schicksal ist eine vernichtende Kritik des gegenwärtigen Kapitalismus, der sogar seinen bravsten Bürgern keine menschenwürdige Existenz mehr ermöglicht.
Breaking Bad provoziert daher ein kritisches Nachdenken über »Gott«, der schon lange tot zu sein scheint, und die kapitalistische Welt, die ihn verschleppt hat. Und das tut sie auf packende Weise, mit beeindruckenden Bildern, einer eigenartigen musikalischen Unterlegung und hervorragender Schauspielerei. Die Serie ist daher ein unvergessliches Meisterwerk der Gegenwartskunst.
Von Alexander Schröder
Schlagwörter: Drogen, Fernsehen, Kultur, Rezension, Serie, TV, TV-Serie