Mit acht Seminaren zu marxistischer Theorie und einer kämpferischen Eröffnungs-Rally startete gestern der MARX IS MUSS-Kongress 2018. Noch bis Sonntag finden in Berlin mehr als 100 Veranstaltungen, Workshops und Podiumsdiskussionen statt
Strahlender Sonnenschein im Innenhof des FMP1 und in jeder schattigen Ecke kleine Gruppen, die in Stuhlkreisen sitzend in den Seminartags-Readern lesen und sich gemeinsam die theoretischen Grundlagen des Marxismus erarbeiten. Ob Ökonomie, Philosophie, Faschismustheorie oder Frauenbefreiung — in verschiedenen Workshops wurde den etwa 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine Einführung in zahlreiche Aspekte marxistischer Theorie geboten.
Dass nach intensiver Theoriearbeit auch für das leibliche Wohl gesorgt sein muss, versteht sich von selbst. Zum ersten Mal bekocht uns dieses Jahr das »Refugees Catering Team Kardamon«. Vom äthiopischen Kohleintopf bis zum chinesischen Paprikasalat ist für jede und jeden etwas dabei.
Auftakt-Rally: Perspektiven für den Widerstand
Gesättigt ging es dann zur Auftakt-Rally. Neben Bernd Riexinger, dem Parteivorsitzenden der LINKEN, heizten die Pariser Aktivistin Sana Belaid von der »Nouveau parti anticapitaliste«, die Sprecherin der LINKEN in Münster, Katharina Geuking, sowie Julia Holzhauser, Pflegekraft und Gewerkschaftsaktivistin aus dem Saarland, der Menge ein. Den Abschluss machte Stefan Bornost vom marx21-Koordinierungskreis.
»Ich bin jetzt zum sechsten Mal auf diesem Kongress als Vorsitzender der LINKEN eingeladen und habe das Gefühl, das Podium wird immer jünger oder ich werde immer älter«, so Riexinger zur Eröffnung seiner Rede. Mit beidem hat er wohl recht. In einem kämpferischen Vortrag ließ er dann kein gutes Haar an der Politik der neuen Bundesregierung und analysierte, warum deren Versuch, die AfD kleinzuhalten, indem sie ihre Positionen übernimmt, zum Scheitern verurteilt ist. Zudem machte er klar, dass es die Aufgabe der LINKEN ist »überall, wo die Rechten ihren Dreck verbreiten — an den Stammtischen, in den Betrieben, in den Stadtteilen — dagegenzuhalten und einen klaren Wall gegen ihre Ideologie aufzubauen.«
Antirassismus und Klassenkampf
Auch zu den Streitfragen in der LINKEN bezog Riexinger klar Stellung: »Ich bin völlig dagegen, die flüchtlingspolitischen Themen der LINKEN aufzuweichen« rief er unter großem Applaus in den Saal. »In einer Situation, in der die Rechte ausschließlich mit Hetze gegen Flüchtlinge, Ausländer und Muslime arbeitet, darfst du an dieser Stelle nicht wanken. Es muss eine Partei geben, die dagegen ist, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, die dagegen ist, dass Mauern um Europa gezogen werden und dass Menschen in Länder abgeschoben werden, aus denen sie aus gutem Grund geflohen sind.«
Der entschlossene Kampf gegen Rassismus bedeute aber keineswegs, dass DIE LINKE die soziale Frage hintenanstellen müsste: »Wir müssen soziale Kämpfe und Antirassismus miteinander verknüpfen. Wir müssen soziale Kämpfe führen, in denen die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen miteinander kämpfen und nicht gegeneinander ausgespielt werden«, so Riexinger. Nicht nur das gegeneinander Ausspielen von Geflüchteten und der einheimischen Arbeiterklasse, sondern auch von verschiedenen Milieus dieser Klasse kritisierte der LINKE-Vorsitzende scharf: Die Debatte, ob DIE LINKE jetzt auch »so eine grüne Hipster-Partei« werde, hält er für »Quatsch«. Junge Akademikerinnen und Akademiker seien heute genauso von Prekarität betroffen und würden häufig ein geringeres Einkommen erzielen als die Generation ihrer Eltern ohne ein Studium.
Kämpferische Grüße aus Paris, Münster und Saarbrücken
Im Anschluss berichtete die Aktivistin Sana Belaid aus Paris von den Kämpfen der Studierenden, Arbeiterinnen und Arbeiter gegen den Generalangriff der Regierung von Emmanuel Macron. Streiks, besetzte Universitäten und Massendemonstrationen — die französische Linke ist keinesfalls bereit sich geschlagen zu geben. »Tous ensemble. Toutes ensembles. Grève générale!« hallte es nach ihrem Vortrag durch den Münzenbergsaal.
Katharina Geuking zeigte auf, dass es alles andere als ein Zufall ist, dass Münster die bundesweit einzige Stadt ist, in der die AfD bei der Bundestagswahl unter fünf Prozent blieb. Hier ist es gelungen, ein breites und entschlossenes Bündnis aufzubauen, dass bislang jeden Versuch der AfD, einen Fuß in die Stadt zu bekommen, mit Massenprotesten verhinderte.
Schließlich berichtete die Krankenpflegerin Julia Holzhauser von ihren Arbeitsbedingungen in einem Saarbrücker Krankenhaus und darüber, wie sie zur Gewerkschaftsaktivistin wurde und wie es ihr nach und nach gelang, ihre Kolleginnen und Kollegen dafür zu gewinnen, sich ebenfalls zu organisieren und Widerstand gegen die Personalnot im Krankenhaus aufzubauen.
Bevor wir uns zum Abschluss in Solidarität mit den 40.000 Menschen, die am gleichen Tag in München gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz demonstrierten, zu einem Gruppenfoto aufstellten, spannte Stefan Bornost vom marx21-Koordinierungskreis noch mal eben den Bogen von der weltpolitischen Lage und der wachsenden Kriegsgefahr über die Lehren von 1968 bis hin zu den Perspektiven der LINKEN und des Klassenkampfs in Deutschland.
All diese Themen werden auch in den kommenden Tagen den Kongress prägen und in vielen Workshops und Veranstaltungen diskutiert. Einen Überblick über das Programm gibt es online auf www.marxismuss.de. Tageskarten sind vor Ort erhältlich.