Die Bundeswehr ist seit mehreren Jahren in dem westafrikanischen Land Mali im Einsatz. Wir sprachen mit Christine Buchholz über die Situation vor Ort und warum die Bundeswehr sofort abziehen sollte
marx21: Christine, Du bist im Februar mit einer Delegation vom Verteidigungsausschuss des Bundestags nach Mali in Westafrika gereist. Warum?
Christine Buchholz: Anlass war die anstehende Verlängerung der Mandate, in deren Rahmen die Bundeswehr in Mali stationiert ist. Dabei handelt es sich die UN-Mission MINUSMA und die EU-Trainingsmission EUTM Mali. Beide Mandate sind im Bundestag im Mai schließlich erneut um ein Jahr verlängert worden. Für mich war es die vierte Reise nach Mali. Da sich gerade die Sicherheitslage in dem Land dramatisch verschlechtert, war es mir wichtig, einen eigenen Eindruck zu bekommen.
Welche Stützpunkte hast Du besichtigt?
Mit der Delegation war ich zuerst am Luftwaffenstützpunkt in Niamey, der Hauptstadt des Nigers, dann im nordmalischen Gao. Von Niamey aus wird die Bundeswehr versorgt. Es ist eines der wichtigsten Lager von MINUSMA, wo sich auch das Gros der Bundeswehr mitsamt Aufklärungsdrohne befindet. Anschließend führte uns die Reise in die Hauptstadt Bamako sowie nach Koulikoro, 60 Kilometer von Bamako entfernt. Dort ist eine alte Militärschule, in der die EUTM-Trainingsmission bislang ihren wichtigsten Stützpunkt hat.
Bekommt man mit einer Delegation des Verteidigungsausschusses überhaupt einen realistischen Blick auf das Land?
Die Reise wurde vom Verteidigungsministerium organisiert. Wir bekommen also die Sichtweise der militärischen Führung präsentiert sowie die von malischen Regierungsvertretern. Wenn man sich das bewusst macht, dann kann man das einordnen. Aber trotz dieser Einschränkung hat man nach der Reise ein viel plastischeres Bild von den Orten, den Akteuren und der Situation über die wir sonst nur in der Zeitung lesen. Wenige Tage vor unserer Ankunft ist die Militärschule in Koulikoro mit einem Selbstmordanschlag angegriffen worden. Ich habe die Schäden an den Gebäuden gesehen und habe sofort gesehen, wie sich die Lage verändert hat. Vor zwei Jahren war ich am selben Ort, da fühlte man sich in Koulikoro noch sicher. Die Bundesregierung kann dir viel davon erzählen, dass der Bundeswehreinsatz wichtig für die »Stabilisierung« des Landes ist. Vor Ort siehst Du, dass das nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat.
Wie gehst Du damit um, dass Du es vor allem mit Akteuren des Militäreinsatzes zu tun hast?
Für mich ist es entscheidend mit malischen Linken und der sogenannten Zivilgesellschaft in Kontakt zu kommen. Die interessieren sich sehr, was linke Abgeordnete so alles über die Militäreinsätze erzählen. Ich erfahre in den Gesprächen, wie es wirklich im Land aussieht, wie die Stimmung ist, was die wirklichen Probleme der Malierinnen und Malier sind. Bei einer selbstorganisierten Reise im November 2014 habe ich verschiedene Kontakte aufgebaut, die ich bis heute pflege. Im Februar traf ich so in Bamako am Rande der Delegationsreise noch mit einer Gruppe von Abgeordneten der linken Partei Solidarité Africaine pour la Démocratie et l’Indépendance (SADI) zusammen, einer Partnerpartei der LINKEN.
Was macht SADI denn so?
SADI ist aktiv in den Gewerkschaften. Sie haben früher Radiosender gegründet und um diese herum Unterstützerkreise ausgebaut. Im Zentrum des letzten Jahres standen Proteste gegen die Korruption der Regierung sowie die ausländische Militärpräsenz. Bei einer Demonstration letzten Dezember haben Sicherheitskräfte einen ihrer Abgeordneten krankenhausreif geprügelt. Als ich da war, ließen die fünf Abgeordneten der Partei gerade ihre Mandate aus Protest gegen undemokratische Maßnahmen der Regierung ruhen. Ihr Parteikongress hat diese Maßnahme nun aufgehoben. SADI ist Teil der Massenproteste, die im April zum Sturz des Premierministers Maïga geführt haben.
Wenn man an Mali denkt, dann denkt man vor allem an Perspektivlosigkeit und Elend. Gibt es überhaupt so etwas wie eine Arbeiterbewegung?
Mali hat eine vergleichsweise starke Tradition politischen Protests. 1992 fand dort eine Revolution statt. In der Folge entstanden viele Vereinigungen, die sich für demokratische Rechte einsetzen. Auch die »globalisierungskritische Bewegung« der 2000er Jahre war in Mali präsent.
Aber die Armut macht es natürlich schwer, klassische gewerkschaftliche Betriebskämpfe zu organisieren. Mali ist der drittgrößte Goldproduzent in Afrika, ansonsten gibt es wenig Industrie oder Großbetriebe. Es gibt mehrere Gewerkschaftsverbände. Rückgrat der Arbeiterbewegung ist der öffentliche Sektor, das heißt die Krankenhäuser, Schulen und der öffentliche Dienst. Als ich im Februar da war, gab es einen großen Streik der Lehrkräfte. Im August 2014 hat ein zweitägiger Generalstreik im öffentlichen Sektor die Anhebung des Mindestlohn um fast ein Drittel erreicht. Es ist bezeichnend, dass der neue Premierminister Boubou Cissé als erstes die Opposition an einen Tisch geholt und ein Papier vorgelegt hat, das im Gegenzug für die Beteiligung von gewerkschaftsnahen Vertretern an der Regierung ein Streikmoratorium von 9 Monaten vorsieht.
In Mali finden derzeit verschiedene Militäreinsätze statt. In was für eine Situation wurde interveniert?
Die Tuareg, die im Norden Malis in der Sahara leben, haben eine lange Tradition nationaler Unabhängigkeitsbestrebungen. Der Kampf wurde von Armut und politischer Repression immer wieder angefacht. Im Jahr 2012 rief die Nationale Befreiungsbewegung MNLA den unabhängigen Staat Azawad aus. Die »Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf« GSPC, die über fünfzehn Jahre im benachbarten Algerien einen von beiden Seiten grausam geführten Krieg mit der algerische Armee ausfocht und sich in »Al-Qaida im islamischen Maghreb« (AQMI) umbenannt hat, nutzte die Gelegenheit und setzte sich an die Spitze der Auseinandersetzung.
Aus der malischen Armee heraus wurde damals geputscht. Es kam mit Hauptmann Sanogo ein populärer, mittlerer Dienstgrad an die Macht, der überhaupt nicht nach dem Geschmack der französischen Regierung war. Frankreich betrachtet Mali wie viele andere ehemalige Kolonien in Westafrika als »chasse gardée«, als eigene Einflusssphäre. Als im Januar 2013 dann einige hundert so genannter Islamisten Richtung Süden vorstießen, griff die französische Armee ein. Folge war nicht nur das Zurückdrängen der Dschihadisten, sondern auch die dauerhafte Wiederherstellung französischer militärischer Dominanz im Land. Sanogo wurde später abgesetzt und inhaftiert. Die heutige Regierung ist völlig abhängig von dem, was Paris und andere EU-Staaten an militärischer und finanzieller Unterstützung gewähren.
Du sprichst von »sogenannten Islamisten«. Dreht sich der Konflikt nicht auch um Religion?
Der Islam ist nur das Logo, unter dem sich bestimmte Interessen vereinen. Der Anführer einer Tuareg-Gruppe, die sich damals in Ansar ad-Din umbenannte (»Anhänger des Glaubens«), führte nicht gerade ein strenggläubiges Leben, sondern war als Whiskey-Liebhaber bekannt. Der Chef von AQMI soll vom Zigarettenschmuggel profitiert haben und hatte den Spitznamen »Mr. Marlboro«. Im Kern ging und geht es um die Kontrolle der Routen durch die Sahara, über die Waren und Menschen geschmuggelt werden. Die internationalen militärischen Einsätze können den Konflikt nicht lösen, weil er vielfältige soziale und politische Wurzeln hat.
Kannst du noch einmal genauer erklären, welche Einsätze derzeit in Mali stattfinden?
Es gibt zwei Einsätze, an denen deutsche Truppen beteiligt sind: MINUSMA und EUTM Mali. Sie kooperieren eng mit dem französische Kampfeinsatz »Operation Barkhane«, in dessen Rahmen zahlreiche sogenannter Terroristen »neutralisiert«, also umgebracht werden. Im letzten Jahr kam heraus, dass die Bundeswehr mit ihrer Heron-Drohne auch nächtliche Razzien der Operation Barkhane begleitet. Bis dahin hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen immer das Märchen vom friedlichen MINUSMA-Einsatz verbreitet, der nichts mit den Kampfoperationen der französischen Armee zu tun habe. Nun auf einmal hat die Bundesregierung entdeckt, dass diese Art der Zusammenarbeit vom Mandat gedeckt sei – und die SPD macht da mit. Faktisch wurde die Bundeswehr im Laufe der letzten sechs Jahre immer tiefer in den Konflikt hineingezogen, so dass sie zunehmend als aktive Kriegspartei erscheint.
Wie gefährlich ist der Einsatz?
MINUSMA hat über 190 Todesopfer zu beklagen und gilt als blutigster UN-einsatz überhaupt. Allerdings sind es Soldaten aus armen Ländern wie Guinea, Tschad oder Ägypten, die die meisten Todesopfer zu beklagen haben. Der Großteil der Bundeswehr sitzt im Camp Gao ohne aus dem Lager herauszukommen. Und wenn, dann nur in Kolonnen gepanzerter Wagen. Ein Kontakt mit der normalen Bevölkerung, die man angeblich schützen will, kommt gar nicht zustande. Mir ist völlig unklar, wie jemand ernsthaft glauben kann, so den Frieden wiederherzustellen.
Aber ist nicht zumindest die Ausbildungsmission zu begrüßen, die die einheimischen Streitkräfte befähigt?
Die malische Armee ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Um ein Beispiel zu nennen: Im Juni letzten Jahres musste das Verteidigungsministerium in Bamako einräumen, dass in der Region um Mopti in Zentralmali Massengräber entdeckt worden sind. An diesem Tag haben malische Soldaten eine Reihe von Personen festgenommen. Alle, die nicht zur Ethnie der Peuls gehörten, wurden freigelassen. Die 25 Peuls wurden ermordet und dann im Massengrab verscharrt. MINUSMA hat in der Folge einen Bericht verfasst, der weitere vergleichbare Fälle dokumentiert.
Insgesamt wurden schon 12.000 malische Soldaten ausgebildet. Das hat nicht verhindert, dass sich in Zentralmali ein völlig neuer Konfliktherd entwickelt hat, in den malische Soldaten verstrickt sind. Bei dem letzten fürchterlichen Massaker am 23. März in dem Ort Ogossagou sind 157 Menschen getötet worden, darunter laut Unicef 46 Kinder. Beteiligt waren Berichten von Überlebenden zufolge mindestens ein gutes Hundert bewaffnete Männer, gekleidet in der Tracht der traditonellen Jäger der Ethnie der Dogon, begleitet von einem Dutzend Uniformierter.
Dabei hört man doch, dass in Mali ein Entwaffnungsprozess stattfindet?
Ja, das unterstreicht die Bundesregierung auch in ihrem Mandat. Der Prozess findet unter dem Kürzel »DDR« statt, was für Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration in die Armee steht. Tatsächlich hat dieser Prozess zu einer Vervielfachung der bewaffneten Milizen geführt, da nur die Anerkennung als Mitglied einer bewaffneten Gruppe Aussicht auf die Vorteile bringt, die der Prozess mitbringt. Dabei geht es um Stellen in Armee und Verwaltung. Das Massaker in Ogossagou war kein blindwütiger Akt, sondern ging sehr planvoll erst gegen die örtliche »DDR«-Miliz vor, bevor der Dorfmarabu, der Bürgermeister und dann alle anderen Bewohner grausam niedergemetzelt worden sind. Die internationale Intervention hat das Land militarisiert und traditionelle Streitschlichtungsmechanismen zwischen der von der Viehzucht lebenden Ethnie der Peul und anderen Viehzüchtern untergraben.
Wieso ist die Bundeswehr dann eigentlich in Mali?
Ausgelöst wurde der Einsatz 2013 durch die Absicht der französischen Regierung, in der Region den Zugang zu Rohstoffen zu sichern und kooperationswillige Staatsführungen zu unterstützen. Das Problem der Regierung in Paris sind die Kosten, die ein Einsatz nach sich zieht, dessen Ende nicht abzusehen ist. Daher lud die Regierung in Paris ihre europäischen Verbündeten ein, allen voran Deutschland, einen Teil der Lasten zu übernehmen. Das ließ sich die Bundesregierung nicht zweimal sagen. Im französischen Windschatten eine deutsche Militärpräsenz am Südrand der Sahara aufzubauen, stellte eine einmalige Gelegenheit dar. Der Einsatz fügt sich in den seit 1991 währenden Umbau der Bundeswehr zu einer global agierenden Einsatzarmee ein.
Wenn die Bundeswehr sagt, sie bilde die malische Armee aus, ist das nur die halbe Wahrheit. Zugleich macht sie sich selbst fit, international unter schwierigen klimatischen Bedingungen zu agieren. Das unternehmerfreundliche Handelsblatt kommentierte anlässlich des Besuchs von Kanzlerin Merkel in Mali und Niger, dass es in der Sahelzone auch darum geht, sich ein Stück weit von der amerikanischen Militärsupermacht zu emanzipieren und zu lernen, »selbständig Interessen durchzusetzen«. Das bringt es gut auf den Punkt: Es geht nicht um die malische Bevölkerung, sondern um »militärische Glaubwürdigkeit« und die geostrategischen Interessen des deutschen Kapitals.
Was sind Handlungsmöglichkeiten für die deutsche Linke?
Die Gegner, mit denen die sich die malische Linke rumschlägt, sind einmal die malische Regierung, das nationale und internationale Kapital sowie das Militär. Wenn wir das Agieren der Bundesregierung kritisieren, den Militäreinsatz kritisieren, das Schweigen der Bundesregierung zu der Korruption und dem Agieren der malischen Regierung kritisieren, ist das eine Hilfe für die malische Linke, ihre Position auszubauen und eine Alternative aus Mali heraus aufzubauen.
Ein Grundprinzip für Linke in Europa muss sein: Ein Frieden von außen kann niemals geschaffen werden. Frieden, Versöhnung und Gerechtigkeit müssen erkämpft werden – gegen die Interessen des internationalen Kapitals und der imperialistischen Staaten Frankreich und Deutschland, die jeweils mit den Einsätzen eigene Interessen verfolgen. Deshalb ist es notwendig, die eigentlichen Interessen hinter diesen Einsätzen offen zu legen und sich für den Abzug der Bundeswehr aus Mali einzusetzen.
Die Fragen stellte Ava Matheis.
Schlagwörter: Bundeswehr, Christine Buchholz, Mali