Seit Jahrzehnten versuchen konservative Sicherheitspolitiker, den Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu normalisieren. Die Corona-Krise bietet dafür einen Anlass: Sie erlaubt der Bundeswehr, sich als Krisenhelfer zu beweisen. Christine Buchholz legt dar, wieso die LINKE gegen jeden Bundeswehreinsatz im Innern ist
Das gab es noch nie: Seit dem 3. April werden alle Aktivitäten der Bundeswehr im Rahmen der sogenannten Amtshilfe durch ein eigenes »Einsatzkontingent Hilfeleistungen Corona« unter dem Kommando Territoriale Aufgaben zusammengefasst. Das bundesweit operierende Einsatzkontingent, militärisch geführt durch Generalleutnant Schelleis, umfasst 15.000 Soldatinnen und Soldaten. Beteiligt sind alle drei Teilstreitkräfte, das heißt Heer, Marine und Luftwaffe. Die Bundesrepublik wird zu diesem Zweck in vier Regionen aufgeteilt, die jeweils einem Regionalen Führungsstab unterstehen.
Überschrieben sind die Aufgabenfelder des Einsatzkontingentes mit »Absicherung / Schutz« (5500 Soldaten), »Unterstützung der Bevölkerung« (6000 Soldaten), »Ordnung / Verkehrsdienst« (600 Feldjäger, d.h. Militärpolizei), »ABC-Abwehr« (250 Soldaten) und »Logistik« (2500 Soldaten). Das Kontingent kann durch bis zu 15.000 Reservistinnen und Reservisten aufgestockt werden. Daneben leistet der Sanitätsdienst der Bundeswehr unabhängig davon Unterstützung für die Infrastruktur der Gesundheitsämter und Krankenhäuser, unter Leitung eines Einsatzstabes im Bundeswehrkrankenhaus Koblenz.
Eine derart umfassende und landesweite militärische Operation zur Erledigung von Aufgaben, die üblicherweise zivilen Einrichtungen wie dem Gesundheitswesen, dem Katastrophenschutz oder der Polizei obliegen, hat es seit Bestehen der Bundeswehr noch nicht gegeben. Alles unter einem militärischen Kommando, das über das aufgestellte Einsatzkontingents bundesweit disponiert. Brachte das Corona-Virus mit Defender 2020 im März das größte Manöver der Bundeswehr in Deutschland seit Ende des Kalten Krieges zum Erliegen, gab es einen Monat später den Anlass für ein andersartiges, bedeutendes Manöver.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Das »Einsatzkontingent Hilfeleistungen Corona« mag in seinem Umfang und Zuschnitt neuartig sein. Nicht neu sind die Versuche der Generäle und konservativen Politiker, die verfassungsrechtlichen Schranken für den Bundeswehreinsatz im Innern zu lockern. Genauer: Der Corona-Einsatz fügt sich in diese Bestrebungen ein.
Die verfassungsrechtlichen Grenzen für den Einsatz von Soldaten als Hilfstruppen im Innern sind ein Erbe der Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg. Die Siegermächte, die in den 50er Jahren die schrittweise Wiederbewaffnung zuließen, misstrauten einer Bundeswehr, in der damals immer noch das Offizierskorps der Wehrmacht das Sagen hatte. Auch war der Gedanke an einen möglichen Einsatz der Bundeswehr neben oder anstelle der Polizei innerhalb der deutschen Bevölkerung unpopulär. Dies machte es unmöglich, die SPD für eine erforderliche Zweidrittelmehrheit zur Veränderung des Grundgesetzes zu gewinnen.
Die Bildung der Großen Koalition 1967 veränderte die Rahmenbedingungen. Die SPD willigte unter der Führung des späteren Kanzlers Willy Brandt in die sogenannten Notstandsgesetze ein, die unter anderem eine Veränderung zahlreicher Artikel des Grundgesetzes vorsahen. Es ging dabei es um die Einschränkung von Grundrechten, unter anderem im Falle eines »inneren Notstands«. Unter diesem vagen Begriff lässt sich sowohl eine landesweite Katastrophe, aber auch ein Aufstand verstehen.
Notstandsgesetze 1968
Bei der Einführung der Notstandsgesetze handelt es sich gewissermaßen um eine vorsorgliche Maßnahme im Interesse der herrschenden Klasse. Es ging um nichts anderes, als die Armee als letzte Stütze zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung verfassungsrechtlich legitimieren zu lassen. Dass dies nicht zu weit hergeholt ist, zeigen die Umstände, unter denen sie entstanden worden sind. Motiviert wurden diese Maßnahmen durch den globalen Aufstieg einer neuen radikalen Linken. Der Bundestag verabschiedete die Notstandsgesetze Ende Mai 1968 unter dem direkten Einfluss des großen Generalstreiks in Frankreich, der das Land an den Rand einer Revolution brachte und Präsident de Gaulle nach militärischer Unterstützung bei einem führenden General nachsuchen ließ.
Doch die Notstandsgesetze haben den Konservativen und vielen führenden Militärs nie gereicht. Ihr Problem: Solch ein »innerer Notstand« ist so selten, dass die Bundeswehr praktisch kaum Gelegenheit hat, um den Einsatz im Inneren zu üben. Außerdem bringt diese Abwesenheit der Bundeswehr im öffentlichen Raum Akzeptanzprobleme in der Bevölkerung mit sich.
Mit der Bildung einer Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD 2013 sahen Konservative die Chance gekommen, erneut über eine Zweidrittelmehrheit die verfassungsmäßigen Befugnisse der Bundeswehr zu erweitern, um den Einsatz im Inneren zu »normalisieren«. Doch die SPD zog an diesem Punkt bislang nicht mit. Dies führte dazu, dass die konservative Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen keine Gelegenheit ausließ, um die bestehenden Instrumente über die Gewährung von »Amtshilfe« im Rahmen des Artikels 35 des Grundgesetzes auszunutzen, um die Bundeswehr als »Krisenhelfer« im Innern präsent zu machen.
Ausweitung der Einsatzbereiche
Zahlenmäßig am relevantesten war die Bereitstellung von Liegenschaften sowie Soldatinnen und Soldaten zur Bewältigung der Ankunft von Geflüchteten ab 2015. Diese Maßnahmen waren eine in der Bundeswehrhierarchie wenig beliebte PR-Maßnahme, um andere Schritte vorzubereiten. Im Weißbuch der Bundeswehr, das von der Leyen 2016 veröffentlichte, wird auffällig häufig »äußere und innere Sicherheit« in einem Atemzug genannt. Dabei ging es zum einen um die Legitimierung der neuen Cyber-Streitmacht, da im Cyberraum weder zwischen Angriff und Verteidigung, sowie zwischen militärischen und zivilen Zielen unterschieden werden kann. Zum anderen um die Übernahme polizeilicher Aufgaben.
Die Umsetzung wurde prompt geprobt. Als am 22. Juli 2016 ein 18-Jähriger Rassist in einem Münchner Einkaufszentrum Amok lief, ließ von der Leyen Soldaten des Feldjägerregiments 3 in Bereitschaft versetzen. Unmittelbares Ziel war es, mit einem bewaffneten Einsatz im Innern einen Präzedenzfall zu schaffen. Von der Leyens Pech war, dass das bayerische Innenministerium sich nicht spontan hineinregieren lassen wollte und keinen Antrag auf Amtshilfe stellte. Im Folgejahr hatte von der Leyen mehr Erfolg, als sie mit den Innenministern einiger Länder das erste Mal Bundeswehr und Polizei gemeinsame Übungen für den Krisenfall durchführen ließ.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer knüpft an diese Politik nahtlos an. Dies ist der Sinn hinter dem Einsatz der Bundeswehr in der Corona-Krise. Das nun aufgestellte Einsatzkontingent soll alle Szenarien abdecken: Hilfsmaßnahmen beim Transport von medizinischen Gütern ebenso wie die mögliche Übernahme von polizeilichen Aufgaben wie Bewachung von Einrichtungen. Nach Jahren des Abbaus staatlicher Infrastruktur ist die Nachfrage aus den Ländern und Kommunen da. In Oberbayern forderte beispielsweise der Landkreis Miesbach 10 Soldaten zur Bewachung eines Depots des Technischen Hilfswerks an. Ob die Soldaten bei der Absicherung des Gebäudes bewaffnet seien, sei Sache der Bundeswehr sagte die Kreissprecherin. In Thüringen wurde Amtshilfe zur Unterstützung des Betriebs einer Flüchtlingsunterkunft beantragt.
Reservisten als ständige Hilfstruppe
Am 19. März mobilisierte Kramp-Karrenbauer die bislang reichlich brachliegende Reserve mit der martialischen Parole: »Lassen Sie uns den Gegner gemeinsam bekämpfen!“ Hintergrund: Mit der Aussetzung der Wehrpflicht und dem Umbau der Bundeswehr zu einer Armee im Auslandseinsatz, wurden ergänzend neue Reservisten-Strukturen aufgebaut. Unter dem Label »Zivil-Militärische Zusammenarbeit« wurden in Ländern, Landkreisen und kreisfreien Städten Kommandos aus Reservisten eingerichtet, die im Katastrophenfall aktiviert werden können. Zudem wurden sogenannte Regionale Sicherungs- und Unterstützungskräfte aufgestellt. Die Reservisten führen alle Arten von Übungen – von scheinbar harmlosen Hilfseinsätzen bis zur Niederschlagung von inneren Unruhen – durch, um als ständige Hilfstruppe einsatzbereit zu sein.
Die mediale Diskussion um die Amtshilfe durch die Bundeswehr steht in keinem Verhältnis zu dem tatsächlichen Effekt dieser Maßnahmen. Tatsache ist, dass die meisten Anforderungen auf Amtshilfe aus den Kommunen in den ersten Wochen der Corona-Krise von der Bundeswehr gar nicht angenommen wurden. Dahinter steckt eine ökonomische Logik. Das finanzielle Ausbluten der Kommunen durch die Bundesregierung und ihre Bundestagsfraktionen macht es für sie attraktiv, kostenlose Leistungen durch die Streitkräfte anzufordern, statt zivile Unternehmen aus den klammen Kassen zu bezahlen. Beispiel Berlin, wo die Landesregierung die Bundeswehr um den Lufttranstransport von medizinischer Ausrüstung aus China gebeten hat. Die Bundeswehr lehnte ab mit dem Verweis auf nach wie vor bestehenden Möglichkeiten, zivile Frachtunternehmen zu beauftragen. Großzügig wurde dann der Transport vom Flughafen Leizpig/Halle nach Berlin mit Bundeswehrlastern bewilligt.
Dass die Bundeswehr sich nun als Retter aufspielen kann, obgleich der reale Anteil an den Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Krise überschaubar ist, ist Ergebnis einer bewussten Politik der Bundesregierung. Kurzfristig könnten nahezu alle Maßnahmen, die die Bundeswehr durchführt, durch Bereitstellung von Mitteln zur Finanzierung ziviler Unternehmen geleistet werden. Dies würde, im Unterschied zum Bundeswehreinsatz im Innern, der einbrechenden wirtschaftlichen Krise entgegenwirken.
Ausbau ziviler Kapazitäten
Langfristig wäre es zum einen notwendig, endlich Mittel für einen effektiven zivilen Katastrophenschutz bereitzustellen. Dies fordert DIE LINKE bereits beharrlich seit ihrem Einzug in den Bundestag vor nun fünfzehn Jahren. Zum anderen müssen alle Bereiche des Gesundheitssystems in öffentliche Hände zurückgeführt und der Profitlogik entzogen werden. So wurden seit 1990 laut Angaben von Gewerkschaften in Deutschland 150.000 Krankhausbetten abgeschafft. Der in den Medien häufig angeführte Vergleich mit den schlechteren Gesundheitssystemen anderer Ländern, ist irreführend. Schließlich war dafür die gleiche neoliberale Politik verantwortlich. Besser als ganz schlecht ist nicht gut.
Im Übrigen kann die Bundeswehr hier kaum Löcher stopfen. Die Sanitätsdienste bei der Bundeswehr sind durch die ständigen Auslandseinsätze völlig überdehnt. Am 3. April, dem Tag der Indienststellung des »Einsatzkontingents Hilfeleitungen Corona«, räumte Generalleutnant Bernd Schütt ein, dass die Sanitätsdienste der Bundeswehr bereits an die Grenzen gestoßen sind, was sie überhaupt leisten stößt. Die fünf Bundeswehrkrankenhäuser stehen ohnehin für alle offen. Sie waren vor Ausbruch der Corona-Krise daher bereits bis zu 80 % durch zivile Patienten ausgelastet. Das macht weniger als ein Prozent der personellen und materiellen Ausstattung des deutschen Gesundheitswesens aus.
Kampf um die Köpfe
Die Wirkung des Bundeswehr in der Corona-Krise ist, gemessen am medialen Hype, minimal. Doch um die Wirkung in der Sache geht es auch nicht vorrangig. Sondern um den Kampf um die Köpfe. Es geht darum, die Bundeswehr als Helfer dastehen zu lassen, als im Dienste der Allgemeinheit wirkend. Tatsächlich ist sie ein Problem. Der Militärhaushalt wächst seit einem Jahrzehnt überproportional – in den letzten fünf Jahren um über zehn Milliarden Euro. Dieses Geld fehlt an anderer Stelle, etwa bei Gesundheit oder im Katastrophenschutz.
Die Corona-Krise verdeutlicht die Grenzen marktwirtschaftlicher »Lösungen«, wenn es um die öffentliche Daseinsvorsorge geht. Jetzt, wo in der Corona-Krise das Problem offensichtlich der Kollaps droht, wird der Staat von Konservativen und Liberalen als Teil der Antwort für Gesundheitswesen und Katastrophenschutz gepriesen – aber nur in seiner militärischen Form. Ihr Kalkül: Der Bundeswehreinsatz ist gute Werbung für das Militär – und nimmt den Einsatz als Krisenhelfer im Innern den Ausnahmecharakter.
Unter dem Druck der Corona-Krise, zieht die SPD hier mit und befürworten rundheraus den Bundeswehreinsatz. DIE LINKE muss diesem Druck widerstehen.
DIE LINKE lehnt den Einsatz der Bundeswehr im Innern, insbesondere Einsätze die zur Unterstützung der Polizei ab –auch in Corona-Zeiten. Das heißt nicht, den individuellen Einsatz von Personen nicht zu würdigen, auch wenn sie Uniform tragen. Es geht um die Ablehnung einer Politik, die einen solchen Einsatz zur Militarisierung der Gesellschaft nutzen will.
Foto: Wikimedia
Schlagwörter: Bundeswehr, Corona, Einsatz im Inneren, Inland