Nach der Machtübernahme Stalins versuchte Moskau, die Kommunistische Partei Deutschlands stramm auf Linie zu bringen – und stieß dabei auf erheblichen Widerstand. Eine spannende und lesbare Darstellung dieser weitgehend unbekannten Geschichte ist kürzlich erschienen. Von Stefan Bornost
In der Geschichtsschreibung gilt: Menschen können verloren gehen, auch große Gruppen von Menschen – wenn sich niemand findet, der ihre Taten aufschreibt. So geschehen mit der sogenannten Linken Opposition in der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), die 20.000 bis 50.000 Anhänger zählte. Sie war zersplittert in verschiedene Gruppen und Fraktionen, aber geeint in ihrer Ablehnung der zunehmend von Moskau diktierten Politik der Parteiführung: der rapiden Entdemokratisierung der Partei ab Mitte der 1920er Jahre und später dem Katastrophenkurs der KPD-Führung gegenüber den immer stärker werdenden Nazis. In der Vergangenheit sind zwar einzelne Gruppen und Personen aus der »Linken Opposition« erforscht worden, eine Gesamtdarstellung aber fehlte.
Bis jetzt. Der Historiker Marcel Bois hat sich ihr in seiner Doktorarbeit angenommen. Nun ist die Arbeit im Klartext Verlag unter dem Titel »Kommunisten gegen Hitler und Stalin« erschienen.
Gleich vorweg: Das Buch ist spannend, stellenweise deprimierend, wenn es die Animositäten der linken Grüppchen untereinander beschreibt, und wirklich zugänglich geschrieben – eher ungewöhnlich für akademische Arbeiten. Bei der Lektüre kommt spontan der Wunsch auf, jeder Wissenschaftler möge eine journalistische Grundausbildung durchlaufen, bevor er sein Material in Buchform herausbringt.
Der Kampf um die KPD
Die bloße Existenz des Forschungsgegenstandes widerlegt ein gängiges Klischee über die KPD: Nämlich, dass die Partei von Anfang an eine undemokratische moskauhörige Truppe war, die folgerichtig die Schussfahrt in die Stalinisierung angetreten hat. Doch die Degeneration der KPD in den 1920er Jahren war ein langer und widerspruchsvoller Prozess, der mit einem weitgehenden Austausch der Mitgliedschaft durch Austritte und Ausschlüsse verbunden war. Von den 350.000 bis 400.000 Mitgliedern im Jahr 1920 waren sieben Jahre später nicht einmal mehr 40.000 in der Partei verblieben.
Die Geschichte der Linken Opposition ist keine einfache Heldengeschichte des Kampfes der »guten Aufrechten« gegen die »böse Parteiführung«. Viele Akteurinnen und Akteure der Linken Opposition, zum Beispiel Ruth Fischer, waren selbst einst in der Parteiführung gewesen und hatten – relativ unabhängig von den Entwicklungen in der Sowjetunion – ihre innerparteilichen Gegner auf autoritäre Weise kaltgestellt. Dies bescherte der Linken Opposition ein Glaubwürdigkeitsproblem in ihrem Kampf um eine demokratischere KPD, das sie bis zum Schluss verfolgte.
Gleichzeitig war der politische Kurs der Parteiführung nicht durchgängig schlecht – 1925/26 initiierte sie mit dem Volksentscheid zur Fürstenenteignung eine der erfolgreichsten Kampagnen der KPD-Geschichte. Diese schlug auch bei den Mitgliedern der SPD derart ein, dass sich deren Führung schließlich gezwungen sah, den Entscheid zu unterstützen. Große Teile der Linken Opposition lehnten die Initiative hingegen ab, weil sie, gemäß ihren linksradikalen Wurzeln, prinzipiell gegen jede Zusammenarbeit mit der SPD waren – eine Haltung, die sie erst angesichts der Gefahr durch das Erstarken der Nazis aufgaben.
Die kommunistische Opposition stellt die russische Frage
Spannend ist die Verzahnung des innerparteilichen Kampfs mit der internationalen Diskussion, insbesondere über die Entwicklungen in der Sowjetunion. Konstituierend für die Linke Opposition war die Forderung, die Parteiführung solle eine offene Debatte über die offensichtlichen Fehlentwicklungen im nachrevolutionären Russland erlauben. Rund 700 Parteifunktionäre, darunter zahlreiche Abgeordnete und sowohl aktuelle als auch ehemalige Mitglieder des Zentralkomitees, lancierten im Jahr 1926 eine »Erklärung zur russischen Frage«. Darin sympathisierten sie offen mit der innerparteilichen Opposition in der KPdSU gegen Stalin. Der russische Geheimdienst telegrafierte nach Moskau, dass seiner Einschätzung nach in bedeutenden Parteibezirken wie Berlin, Thüringen und Sachsen ein Viertel bis ein Drittel der KPD-Mitglieder die Opposition gegen Stalin unterstützte – und das, bevor der stalinistische Terror überhaupt begonnen hatte.
Solche spannenden Einblicke gibt es in dem Buch zuhauf: Etwa die bisher ungeschriebene Geschichte der »Weddinger Opposition«. Anders als die Hetze der Parteiführung gegen die »kleinbürgerlichen Intellektuellen« behauptete, versammelten sich in ihr gestandene Arbeiterkader. Wegen ihrer tiefen Verwurzelung im revolutionären proletarischen Milieu konnten sich die Weddinger lange als organisierte Oppositionskraft halten. Oder der 1928 gegründete Leninbund, der 1930 an der Frage zerbrach, ob er weiter als Oppositionsgruppe innerhalb der KPD oder als eigenständige Organisation agieren sollte.
Neugierig geworden? Dann bitte tief vergraben in diesen Wälzer, es lohnt sich wirklich.
Das Buch: Marcel Bois: Kommunisten gegen Hitler und Stalin. Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik. Eine Gesamtdarstellung, Klartext Verlag, Essen 2014, 614 Seiten, 39,90 Euro.
Foto: Bundesarchiv, B 145 Bild-P046279 / Weinrother, Carl / CC-BY-SA 3.0
Schlagwörter: Kommunismus, KPD, Linke Opposition, Stalin, Stalinisierung, Stalinismus, Trotzki