Klaus Dörre untersucht in »In der Warteschlange« das Verhältnis von Arbeitenden und der radikalen Rechten und entwickelt Strategien für den Kampf der Linken um Hegemonie. Von Jan-Noah Friedrichs
Das neue Buch des Jenaer Soziologen Klaus Dörre »In der Warteschlange: Arbeiter:innen und die radikale Rechte« erschien Ende 2020. Das Buch ist mehr, als sein Untertitel erahnen lässt: Es ist ein »Werkzeug« im Kampf gegen rechts und ein wichtiger Debattenbeitrag für eine klassenkämpferische Partei- und Gewerkschaftspolitik im neuen Krisenjahrzehnt.
Die Kernaussage des Forschungsteams um Dörre wird schnell klar: Die durch Globalisierung und internationalisierte Wirtschaft vorangetriebene Prekarisierung liefert den »Problemrohstoff«, der zum Nährboden für rechtspopulistische Orientierungen bei Lohnabhängigen werden kann. Was sie mehrfach betonen: Diese Entwicklung ist nie »schicksalhaft vorgezeichnet«. So sehr die abgebildeten Ergebnisse ein klares Warnsignal darstellen, geben sie Hoffnung, dass der linke Kampf um Mehrheiten noch nicht verloren ist. Es wird deutlich, dass im Bewusstsein der Beschäftigten verschiedene Formen von Gesellschafts- und Kapitalismuskritik existieren, die der Linken als Anknüpfungspunkte dienen können. Was es hierfür braucht, ist eine Politik, die den scheinbaren Konflikt zwischen Innen und Außen zu einem zwischen Oben und Unten werden lässt.
Demokratische Klassenpolitik von unten statt Warteschlange
Dörre wählt den Begriff »demobilisierte Klassengesellschaft« als momentane gesellschaftliche Zustandsbeschreibung. Er führt das Entstehen der »demobilisierten Klassengesellschaft« unter anderem auf korporative Gewerkschaftspolitik und den Niedergang der Sozialdemokratie zurück. Die Enttäuschung der Arbeiterinnen und Arbeiter über das ewige »In-der-Warteschlange-Stehen« und darüber, auf den sozialen Aufstieg warten zu müssen, wird besonders in Livia Schuberts Exkurs »Arbeiterschaft und Rechtspopulismus in Österreich – eine etwas andere deep story« deutlich. In Österreich gelang es der rechtspopulistischen FPÖ, zu einem akzeptierten Teil der bürgerlichen Mitte zu werden. Laut Dörre seien die europäischen Gewerkschaften so schwach wie seit 1949 nicht mehr und soziale Parteien hätten ihre Verankerung in den lohnabhängigen Klassen verloren. Den einzigen Ausweg sieht der Soziologe in einer »demokratischen Klassenpolitik von unten«, die Gewerkschaften und soziale Parteien wieder zum Bezugspunkt lohnabhängiger Klassen werden lässt. Im Umgang mit der Rechten fordert Dörre im Gegensatz zum Lafontaine-Wagenknecht-Kurs eine klare Abgrenzung und geduldige Auseinandersetzung. Während er sich in seinen früheren Arbeiten noch vage ausdrückte, bezieht Dörre nun deutlicher Position. Unter Bezugnahme auf DIE LINKE in Thüringen spricht er sich für eine starke Opposition statt Regierungsbeteiligung aus. Nur mit einer glaubwürdigen Vision einer »neo- oder ökosozialistischen Gesellschaft« habe die europäische Linke noch eine Chance.
Durch verbindende Kämpfe zu linken Hegemonien
Die Notwendigkeit einer Debatte um einen linken Green New Deal erfährt in seinem Begriff der »ökonomisch-ökologischen Zangenkrise« noch einmal besondere Erwähnung. In Anlehnung an Lenin und Gramsci fordert Dörre die Bildung eines sozialen Blocks lohnabhängiger Klassen, dessen Zusammenhalt durch »hegemoniefähige Projekte und unter Berücksichtigung von realen Interessenunterschieden immer wieder neu begründet werden« muss. Die noch immer ausschlaggebende Prämisse: Nachhaltigkeitsziele sind nur mit Hilfe von Mehrheiten, also nur mit und durch die lohnabhängigen Klassen durchzusetzen.
Trotz akademischer Züge trägt Dörre unmittelbar zu einer öko-politischen Praxis bei und gibt der neuen Protestgeneration wertvolle Anstöße. Die Zusammenarbeit von Fridays for Future und ver.di im Rahmen der Tarifauseinandersetzungen im Nahverkehr vergangenes Jahr hat gezeigt, dass das, was Dörre als »neue Klassenpolitik« skizziert, möglich ist.
Das Buch:
Klaus Dörre
In der Warteschlange: Arbeiter:innen und die radikale Rechte
Verlag Westfälisches Dampfboot
Berlin 2020
335 Seiten
30 Euro
Schlagwörter: Bücher, Buchrezension, Gewerkschaft, Kultur, Rezension