Frauenquoten, Elterngeld, Kitaausbau: Es sieht so aus, als würde die Regierung endlich etwas gegen die Benachteiligung von Frauen tun. Doch nicht Emanzipation und Gleichberechtigung sind das Ziel dieser Politik, wie ein neues Buch zeigt. Von Silke Stöckle
Lilly Lent und Andrea Trumann analysieren in dem Büchlein »Kritik des Staatsfeminismus« die Gleichstellungspolitik der Bundesregierung. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würde diese feministische Forderungen erfüllen. Aber der Schein trügt, befinden die Autorinnen: Anstatt gegen die strukturelle Benachteiligung von Frauen zu wirken, entsprächen die Maßnahmen einer staatlichen Kosten-Nutzen-Rechnung und den Interessen der Wirtschaft, die gut ausgebildete Frauen im Arbeitsmarkt halten will.
Das erste Kapitel ist der »Ideologie der guten Mutter« gewidmet. Das Stillgebot oder die Konzepte der Mutter-Kind-Bindung seien heute Teil einer Staatsdoktrin geworden. Solche ideologischen Vorgaben stellten alle Mütter vor unlösbare Aufgaben, da neben der umfassenden Fürsorge für das Kind von ihnen erwartet werde, einer Lohnarbeit nachzugehen.
Die Familie ist der zentrale Ort für die Isolation der Frau
Im Folgenden identifizieren die Autorinnen die Familie als den zentralen Ort für die Isolation der Frau und die Aufrechterhaltung der Rollen- und Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Frauen erledigen nicht nur nach wie vor das Gros der Hausarbeit und Kinderbetreuung, sondern arbeiten deshalb auch überproportional in Teilzeitjobs. Hierbei erscheint die Haltung der Autorinnen jedoch widersprüchlich. Denn später stellen sie das Betreuungsgeld, welches eben diese Isolation von Frauen in der Familie zementiert, als potenziell emanzipativer als Lohnarbeit dar: Was sei der Nachteil, »wenn Frauen mal ein oder zwei Jahre nicht für 400 Euro bei Lidl an der Kasse sitzen«?
Ebenso widersprechen Lent und Trumann der These, dass der Staat sich im Zuge der Neoliberalisierung aus der Reproduktionsarbeit zurückzieht. Denn es würde ja »viel Geld« in den Kitaausbau investiert. Kein Wort verlieren sie jedoch über die Sparpolitik der Länder und Kommunen, die mit der Unterfinanzierung oder Schließung von Schulen, Bibliotheken, Schwimmbädern oder Jugendclubs sowie Kürzungen in der sozialen Arbeit den Familien ein Mehr an reproduktiver Arbeit aufbürdet.
Die Autorinnen verweilen im Abstrakten
Lent und Trumann beschreiben anschaulich die Lebensrealität vieler Mütter und Eltern mit der Doppelbelastung durch Lohn- und Reproduktionsarbeit. Den Ursprung der Misere verorten sie richtigerweise im kapitalistischen System, der Rolle des Staats sowie der herrschenden Ideologie.
Sie bleiben jedoch nach teilweise widersprüchlichen Argumenten konkrete Vorschläge für einen Ausweg schuldig und verweilen im Abstrakten. So müssten laut Lent und Trumann die »staatlichen Institutionen«, die Familie, die »Mutterideologie« sowie »die Lohnarbeit« in Frage gestellt werden. An welchen Stellen das geschehen sollte und wie die herrschenden Verhältnisse verändert werden können, sagen sie nicht.
Die Care-Bewegung bietet eine Perspektive im Kampf um Gleichberechtigung
Die Care-Bewegung, die für bessere Arbeitsbedingungen in den Sozial- und Erziehungsdiensten und der Pflegearbeit kämpft, kritisieren die Autorinnen dafür, ausschließlich Forderungen an den kapitalistischen Staat zu richten. Dadurch würde sie sich ihres »radikalen Stachels« berauben. Lent und Trumann fordern dagegen, dass »staatskritische Positionen« sowie »kollektive Praxen« zur Entlastung von Kleinfamilien entwickelt werden müssten. Auch an dieser Stelle sind die Leserinnen und Leser auf ihre eigene Kreativität angewiesen, um für sich Handlungsoptionen zu eröffnen.
Es hätte dem Buch gut getan, wenn die Autorinnen trotz berechtigter Kritik mehr auf die Arbeitskämpfe der Care-Bewegung eingegangen wären, denn sie berühren alle genannten Problemfelder. Indem die meist weiblichen Beschäftigten den staatlichen Arbeitgebern Zugeständnisse abringen, verändern sie nicht nur ihre soziale Stellung, sondern auch die herrschende Ideologie.
Das Buch: Lilly Lent, Andrea Trumann: Kritik des Staatsfeminismus. Oder: Kinder, Küche, Kapitalismus, Bertz und Fischer, Berlin 2015, 120 Seiten, 7,90 Euro
Foto: Frank Mago
Schlagwörter: Arbeitskämpfe, Buch, Bücher, Buchrezension, Care, Care-Arbeit, Familie, Feminismus, Frauen, Frauenbefreiung, Frauenbewegung, Frauenunterdrückung, Hausarbeit, Ideologie, Kapitalismus, Kinder, Kultur, Reproduktion, Reproduktionsarbeit, Rezension, Staat