Die Reaktion der Regierung Hollande auf die Anschläge in Paris war die Ausweitung der Bombardierung in Syrien. Aber das wird zukünftige Anschläge nicht verhindern, denn die sind ein Produkt eben solcher imperialistischer Politik. Von Stefan Ziefle
Wenn der französische Präsident Francois Hollande von einem Angriff des „Islamischen Staates“ spricht und die Europäische Union zur militärischen Unterstützung im Rahmen eines Bündnisfall aufruft, erweckt er den Eindruck, jemand habe gerade einen Krieg gegen Frankreich begonnen. Hollande unterschlägt dabei, dass dieser Krieg schon länger läuft. Die aktuelle Welle imperialistischer Aggressionen gegen die Staaten und Menschen des Nahen und Mittleren Osten begann spätestens mit dem Golfkrieg 1991. In diesem Krieg, den darauf folgenden Jahren des Embargos gegen den Irak und dem Krieg 2003 starben weit über eine Million Iraker. Alleine das Embargo hat, nach Angaben der UNO, rund 500.000 irakische Kinder das Leben gekostet. Auch wenn die treibende Kraft hinter diesen Kriegen die US-Administrationen von George Bush senior, Bill Clinton und George W. Bush junior, und ihr Bestreben nach Vorherrschaft über die Ölfelder der Region, waren, war auch Frankreich beteiligt.
Die blutige Geschichte des französischen Imperialismus
Und auch wenn viele Menschen bei uns sich nicht daran erinnern, die französischen Kriege gegen die Menschen der Region gehen bis auf das Jahr 1798 zurück, als eine französische Armee unter dem Kommando Napoleons Ägypten eroberte. Schon damals war massenhafter Mord das Mittel der Wahl, um Widerstand gegen Besatzung zu brechen. Ein Aufstand in Kairo beantworteten die französischen Besatzer mit der Exekution von mindestens 2.000 Ägyptern.
1830 begann Frankreich mit der Eroberung Algeriens, 1881 eroberte es Tunesien und 1921 Marokko. Dort setzte die französische Armee 1924 über 500 Tonnen Senfgas gegen Aufständische ein – ein beliebtes Mittel bei der Unterdrückung von Aufständen, das auch die britischen Kolonialherren ab 1919 gegen einen kurdischen Aufstand im heutigen Nordirak einsetzten. Der verantwortliche Winston Churchill wies Kritik zurück: «Ich verstehe die Zimperlichkeit bezüglich des Einsatzes von Gas nicht. Ich bin sehr dafür Giftgas gegen unzivilisierte Stämme einzusetzen.» Es müsse ja nicht tödlich sein, sondern nur «große Schmerzen hervorrufen und einen umfassenden Terror verbreiten». Terror verbreitete Frankreich auch in Algerien, wo die Armee und französische Siedlermilizen bis zur Befreiung 1962 über eine Million Algerier ermordet haben.
Imperialismus im Gedächtnis der Opfer
Auch wenn westliche Medien diesen Teil der Geschichte unerwähnt lassen, er bleibt im Gedächtnis der Opfer und ihrer Nachkommen präsent. Ein Teil dieser Nachkommen lebt heute in Frankreich, wirtschaftlich und politisch ausgegrenzt von der französischen Mehrheitsgesellschaft. Diese in den «Banlieues», den trostlosen Vorstädten Frankreichs, zusammengepferchten Außenseiter bilden den Rekrutierungspool für Organisationen aus dem Nahen und Mittleren Osten. Die anti-koloniale Sprache, der Hass auf das französische Establishment und die Gesellschaft fällt hier auf einen fruchtbaren Boden.
Die Ursprünge des IS
Aber der «Islamische Staat» selbst entstand im Irak. Sie ist eine direkte Konsequenz der US-geführten Invasion und der folgenden Zerstörung des irakischen Staates und der irakischen Gesellschaft. Zu der Politik der Besatzer gehörten brutale Unterdrückung jeglicher Opposition gegen die Besatzung, der neoliberale Um-, beziehungsweise Abbau des Staates, hartes Vorgehen gegen jegliche unabhängige gewerkschaftliche Tätigkeit und die Einrichtung eines politischen Systems, das auf ethnischem und religiösem Sektierertum basiert.
Die Nachkriegsordnung des Imperialismus
Die Nachkriegsordnung basierte auf der Herrschaft einer Clique von Schiiten, die mit Hilfe der Besatzungsmacht sämtliche Sunniten aus dem Staatsapparat und der Armee entfernen konnte. Sunniten, insbesondere solche, die der alten Regierungspartei Saddam Husseins nahestanden, wurden als Terroristen bezeichnet und als solche bekämpft. Unter diesen Bedingungen entstand das, was die US-Politik ursprünglich zu bekämpfen vorgaben: Al Kaida im Irak formierte sich als sunnitische Miliz, die Unterstützer in den nun ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen fand.
Die Politik des Teile und Herrsche zwischen verschiedenen Gruppen, Araber und Kurden, Schiiten und Sunniten, war die bewusste Antwort der Besatzungsmacht auf das Aufflammen von Widerstand gegen Besatzung, das auch durch die Flächenbombarierung der Großstadt Falludja 2004 nicht ausgetreten werden konnte. Systematisch wurden in der Folge Gruppen unterstützt, die sektierische Anschläge auf die jeweils anderen Bevölkerungsgruppen verübten. Dies war die Grundlage für die blutigen Auseinandersetzungen zwischen schiitischen und sunnitischen Gruppen, die in den Jahren 2005 bis 2008 zu durchschnittlich 3000 Toten pro Monat geführt haben.
Widerstand der Bevölkerung im Irak
Es war schließlich der massenhafte Widerstand der Bevölkerung gegen die jeweils «eigenen» Milizen, der die Gewalt beendete und zum Ende Al Kaidas im Irak führte. Der irakische Ministerpräsident Nouri al-Maliki aber wollte die Vertreter dieser Bewegung nicht in die Regierung integrieren und setzte die Politik der ethnischen Segregation fort. Die Entstehung des «Islamischen Staates» hängt mit einem weiteren Faktor zusammen: Der Unterdrückung jeglicher sozialer Bewegung durch des irakische Regime. Unter dem Eindruck des Arabischen Frühlings riefen Gewerkschafter, Frauengruppen und andere Vertreter der Zivilgesellschaft für den 25. Februar 2011 zu einem «Tag des Zorns» auf. Es folge eine Bewegung mit wöchentlichen Demonstrationen in allen größeren Städten. Die Forderungen der Bewegung reichten vom Kampf gegen die hohe Arbeitslosigkeit über die Verurteilung fehlender Infrastruktur wie Strom oder Wasser, der Freilassung politischer Gefangener bis hin zur Ablehnung des von der US-Besatzung eingeführten sektiererischen Regierungssystems.
Irak: Brutale Gewalt gegen demokratische Bewegung
Die Regierung reagierte mir dem Einsatz von Tränengas und scharfer Munition. Sie stellte Straßensperren auf, so dass potenzielle Demonstranten Stunden in der brütenden Hitze brauchten, um öffentliche Plätze zu erreichen. 2013 flammte in den sunnitischen Gebieten erneut eine gewaltfreie Massenbewegung gegen die Regierung Maliki auf. Wieder antworteten die «Sicherheitskräfte» mit dem Einsatz brutaler Gewalt, entsprechend der Taktiken, die bereits von der US-Besatzung bis 2010 eingesetzt wurden: Zerstörung von Wohnvierteln, Massenverhaftungen und Folter.
In diesem Zusammenhang entstand eine neue sunnitische Miliz, wieder mit starker Unterstützung aus den sunnitischen Bevölkerungsteilen: der «Islamische Staat» war geboren. Zu Anfang wurde er auch noch von der Regionalmacht Saudi-Arabien unterstützt, die befürchtete, die Regierung Maliki könnte zu nah am saudischen Rivalen Iran stehen. Auf diesem Wege kamen US- und deutsche Waffen in die Hände des IS.
Der Imperialismus ist das Problem
Jeder Versuch imperialistischer Staaten, seien es die USA, Frankreich, Deutschlands oder auch der von Regionalmächten wie Saudi-Arabien, der Türkei oder Iran, die Lage in ihrem jeweiligen Sinne zu beeinflussen, führte zu Leid und Elend, zu Verbitterung und Hass. Das Ergebnis war immer ein Teufelskreis der Gewalt. Es ist ein absurder Glaube, dass es bei zukünftigen Interventionen anders sein könnte. Was tatsächlich den «Islamischen Staat» stoppen könnte, sind nicht mehr Bomben, sondern ein neues entflammen des Arabischen Frühlings. Nur eine soziale Massenbewegung kann erstens die regionalen Herrschenden stürzen, zweitens eine andere, soziale, menschenfreundliche Antwort auf die Probleme der Menschen bieten und drittens glaubwürdig den Kampf gegen jene führen, die hauptsächlich an der ganzen Katastrophe Schuld sind: die imperialistischen Mächte. Wir in Deutschland können nicht «den IS besiegen», wie uns die kriegstreibenden Medien glauben machen wollen. Aber wir können dazu beitragen, den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen, indem wir eine Bewegung gegen die Kriegspolitik und die Waffenexporte unserer Regierung aufbauen.
Foto: renoleon
Schlagwörter: Analyse, Frankreich, Geschichte, Imperialismus, Irak, Isis, Islamischer Staat, Krieg, marx21, Syrien, USA