Obwohl Millionen Griechen beim Referendum am vergangenen Sonntag mit »Nein« stimmten, will die Syriza-Führung um Alexis Tsipras dem Druck der Troika nachgeben und die Kürzungspolitik auf Kosten der Arbeiter, Angestellten und Rentner weiterführen. Doch der Widerstand gegen diesen Kurs wächst. Die Bevölkerung in Griechenland braucht einen Schuldenschnitt und ein Ende der Sozialkürzungen. Von Yaak Pabst
Am vergangenen Sonntag lehnte eine deutliche Mehrheit von 61,3 Prozent die Forderungen der Gläubiger an Griechenland ab. Während die Mehrheit der Griechen und viele Millionen Menschen in Europa das »Nein« des Referendum feiern, arbeitet die Syriza-Führung aus Angst vor einem Banken- und Staatsbankrott auf einen Deal mit der Troika hin, der für die Menschen schlimmer ist, als alles was bisher da war. Denn die Gläubiger wollen keine Lösung für die Menschen in Griechenland, sondern die vollständige Unterwerfung unter das neoliberale Kürzungsdiktat der Europäischen Union, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds. Der Erpressung der Troika hat Tsipras jetzt nachgegeben. Seit gestern 21 Uhr sind die neuen Kürzungsvorschläge der Regierung Tsipras öffentlich (hier geht es zu dem Papier). Athen bietet in dem Papier unter anderem eine Erhöhung des Renteneintrittsalters, Steuererhöhungen sowie Privatisierungen an. Der Text des jetzigen Tsipras-Vorschlags entspricht praktisch dem Angebot der Gläubiger vom 26. Juni 2015.
Griechenland: Schuldenerlass ohne Bedingungen
Die Reaktionen auf der Seite derer, die die Austeritätspolitik der Troika befürworten, ließen nicht lange auf sich warten. Postbank-Chefvolkswirt Marco Bargel beurteilt die Vorschläge als »einen Schritt auf die Gläubiger zu. Das war nicht zu erwarten nach dem Referendum am Sonntag«, sagte er. Das neoliberale Handelsblatt schreibt: »Dax-Anleger bejubeln Tsipras-Papier« und die Bild-Zeitung, die seit Woche gegen die griechische Regierung hetzt, freut sich: »Es ist eine Bombe – für Griechenland, für den radikal-linken Regierungschef Alexis Tsipras (40).« Statt das »Nein« des Referendums zu nutzen, um die Verhandlungsposition gegenüber den Gläubigerinstitutionen zu verbessern, werden im Kürzungsliste allen Forderungen der Troika übernommen. Die Vorschläge treffen vor allem diejenigen, die schon seit Jahren für die Krise bezahlen: Angestellte, Arbeiterinnen und Arbeiter, Rentnerinnen und Rentner.
Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Sigmar Gabriel und Finanzminister Wolfgang Schäuble sind verantwortlich für den harten Kurs der EU gegenüber Griechenland. Deswegen ist es die Aufgabe der deutschen Linken, der Gewerkschaften und der sozialen Bewegungen, Druck gegen die Erpressungspolitik von Merkel und Schäuble aufzubauen – für einen sofortigen Schuldenerlass ohne Bedingungen.
Wofür alle diese Kürzungen in Griechenland?
Wofür alle diese Kürzungen? Tsipras hofft darauf, dass Griechenland ein Teil der Schulden erlassen wird und der Schuldendienst verringert undzeitlich gestreckt wird. Da in den nächsten Jahren immer wieder Kredite auslaufen und durch neue Kredite – meist von den selben Gläubigern – ersetzt werden müssen, soll Griechenland neue Kredite im Umfang von 53,5 Milliarden Euro erhalten. Von diesem Geld fließt aber nichts in den griechischen Staatshaushalt oder die griechische Wirtschaft.
Die Politik »Kredite für Kürzungen« ist gescheitert
Doch die Politik »Kredite für Kürzungen« ist gescheitert. Sie hat die griechische Wirtschaft zu Fall gebracht, Massenarbeitslosigkeit und den Zusammenbruch des Bankensystems verursacht und die externe Schuldenkrise deutlich verschärft. Die Schulden sind auf unbezahlbare 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angestiegen. Ein Schuldenerlass macht nur Sinn, wenn damit ein Ende der Kürzungspolitik einhergeht. In einem Offener Brief von verschiedenen Ökonomen, wie Thomas Piketty, Heiner Flassbeck und Jeffrey Sachs an Angela Merkel heißt es: »Die Serie der sogenannten »Anpassungsprogramme«, denen sich Griechenland und andere unterziehen mussten, hat Auswirkungen, die man seit der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1933 in Europa nicht mehr gesehen hat. Die Medizin, die in Berlin und Brüssel zusammengebraut wird, ist schlimmer als die Krankheit selbst. Sie schadet sogar denjenigen, die zu Beginn der Krise noch nicht einmal geboren waren. () Momentan wird die griechische Regierung dazu gedrängt, sich einen Revolver an die Schläfe zu halten und abzudrücken.«
In Griechenland wächst die Kritik an der Tsipras-Liste
In Tsipras Partei Syriza stößt der Vorschlag jedoch auf scharfe Kritik. Die Zahl der Abgeordneten, die sich gegen die Kehrtwende der Regierung stellen, steigt. Nach dem die »Giftliste« bekannt wurde, haben bereits 15 Abgeordnete öffentlich ihren Widerstand angekündigt. Sie fordern Neuwahlen oder ein neues Referendum. Einer der Sprecher der Parteilinken, Energieminister Panagiotis Lafazanis sagte nach Informationen der Zeitung »Protothema« während einer Kabinettssondersitzung am Donnerstag: »Das Angebot löst unsere Probleme nicht.« Er sprach sich gegen eine Einigung mit der Troika aus und verwies auf das »Nein« beim Referendum am Sonntag: »Wir lassen uns aus diesem Nein kein Ja machen.« So ist auch zu erklären, warum die Regierung den Fraktionszwang aufgehoben hat.
Nachdem die Details der Kürzungsliste auch in Griechenland durchsickerten, hat die Syriza-Parteilinke, gemeinsam mit den Gewerkschaften zu ersten Demonstrationen gegen die Kürzungsliste aufgerufen. »Syriza hat die Wahl zwischen Bruch und Kapitulation«, sagte Stathis Kouvelakis, Mitglied des Parteivorstands und der »Linken Plattform« von Syriza. »Ich bin gegen die Kapitulation vor der Troika und für ein Ende der Kürzungspolitik. Um diesen Weg zu betreten, müssen wir uns auf Arbeitskämpfe und Demonstrationen stützen und zu deren Revitalisierung beitragen. Weiterhin müssen wir an der kontinuierlichen Ausdehnung unserer öffentlichen Unterstützung arbeiten, um jeder Form der Erpressung zu widerstehen und für die Perspektive eines alternativen Plans und die volle Umsetzung unserer radikalen Ziele zu werben.«
Die Strategie der Troika gegen Griechenland
Der Wahlsieg von Syriza und der Ausgang des Referendums waren große Niederlagen für die griechischen Kapitalisten und die EU-Eliten. Aber sie geben nicht auf: Sie wollen die Regierung in die Knie zwingen und die Linke insgesamt demütigen. Sie wollten die bedingungslose Kapitulation der linken Syriza-Regierung. Für die deutschen Eliten ist die europaweite Kürzungspolitik eine Möglichkeit, soziale Errungenschaften der Arbeiterbewegungen zu zerschlagen und ihr Wirtschaftsmodell einer deflationären Politik, die die Binnennachfrage einschränkt und nur durch eine Steigerung der Exporte auf Kosten der Handelspartner überhaupt durchführbar ist, aufrechtzuerhalten.
Würden Schäuble & Co. nachgeben, wären Millionen Menschen in Europa – vor allem in den anderen von der Krise betroffenen Staaten wie Spanien, Portugal und Italien – in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt, ihrerseits ein Ende der Kürzungspolitik zu fordern. Deswegen will die Euro-Gruppe, unter der Führung Deutschlands, an Griechenland ein Exempel statuieren.
Alternativen in Griechenland
Solange die Macht des Kapitals im täglichen Leben der Menschen und insbesondere in den Betrieben nicht angetastet wird, steht jede politische Veränderung auf wackeligen Beinen. Die griechische Linke muss daher die politische Dynamik insbesondere dazu nutzen, eine Bewegung zur Demokratisierung der ökonomischen Macht voranzutreiben, die zum Kern einer Gegenmacht zu den EU-Institutionen und den griechischen Kapitalisten wird. Die linke Plattform von Syriza hat im Mai im Zentralkomitee beantragt, den Schuldendienst einzustellen, die Reichen zur Kasse zu bitten, die Banken zu verstaatlichen und Kapitalverkehrskontrollen einzuführen. Sie nimmt einen Grexit bewusst in Kauf. Auch Thomas Sablowski von der Rosa-Luxemburg-Stiftung diskutier mögliche Alternativen. Er kommt in seinem Analyse »Ja zur Demokratie, Nein zur Austeritätspolitik in ganz Europa« zu dem Schluss, dass in der aktuellen Situation in Griechenland Banken verstaatlicht, eine eigene Währung eingeführt und brachliegende Produktionskapazitäten staatlich reaktiviert werden müssen. »Dies wäre dringend notwendig. Denn mit jedem weiteren Tag, an dem die Produktionsmittel nicht genutzt werden, wird es schließlich schwieriger, sie überhaupt jemals wieder in Gang zu setzen. Und das Problem verschärft sich auch von Tag zu Tag mit dem offenkundigen Investitionsstreik der Bourgeoisie, der dazu geführt hat, dass die Rezession weiter anhält. Dem kann nur durch eine Offensive der Linken begegnet werden. Insofern wäre ein Austritt aus der Eurozone in der gegenwärtigen Situation für die Linke und für die griechische Bevölkerung das kleinere Übel.«
Foto: aestheticsofcrisis
Schlagwörter: EU, EZB, Griechenland, Linke, marx21, Schuldenerlass, Tsipras