Kathrin Henneberger ist aktiv bei »Ende Gelände« und war während der Räumung unterwegs im Hambacher Forst. Warum der Kampf um diesen Wald für uns alle so wichtig ist und was bei den nächsten Massenaktionen vom 25. bis 29. Oktober geplant ist, erklärt sie im marx21-Gespräch
marx21.de: Kathrin, was ist »Ende Gelände«?
Kathrin Henneberger: Ein großes Bündnis von Menschen, dass einen sofortigen Ausstieg aus der Kohlekraft aktiv durchsetzen möchte und europaweit vernetzt ist.
Das OVG Münster hat die Rodung des Hambacher Forsts gestoppt. Seid ihr begeistert?
Einerseits ja. Am Wochenende danach haben wir tanzend demonstriert. RWE und die nordrhein-westfälische Landesregierung wollten mit einer schnellen Räumung und Rodung des Waldes Fakten schaffen, bevor es zu einem Gerichtsurteil kommen konnte. Die Rodung wurde im Eilverfahren verboten, bis das eigentliche Gerichtsurteil gesprochen ist. Wie hätte diese Verhandlung denn auch geführt werden sollen, wenn der Konzern einfach vorher abholzt? Der Hambi ist aber noch nicht gerettet, die Kohlebagger noch nicht gestoppt und wir dürfen uns nicht auf Gerichtsentscheidungen verlassen. Deshalb geht unser Widerstand weiter.
Wie lief die Besetzung des Waldes?
Ich war fast drei Wochen täglich im Wald. Zu erleben wie solidarisch und erfolgreich der Widerstand zusammengehalten hat, das war besonders. Von Leuten die seit Jahren im Baumhaus leben bis zu Demonstrantinnen, die »nur« einen Nachmittag im Wald waren, haben wir alle gemeinsam für unser großes Ziel gekämpft.
Klingt nach einer guten Zeit.
Leider nicht nur. Denn die Landesregierung hat uns als »Kriminelle« bezeichnet. Polizisten haben Menschen geschlagen und Pfefferspray wahllos in Gruppen gesprüht. Die Landesregierung hat einmal mehr bewiesen, dass sie die Interessen der Konzerne gegen die Menschen zu Not mit Gewalt durchsetzt. Wie sie Menschen behandelt, die für eine bessere Welt streiten, dass dürfen wir ihr nicht durchgehen lassen.
Auch die LINKE beteiligt sich an den Protesten. Ist das gut oder schlecht?
Das ist super. Wir brauchen jede mögliche Unterstützung für unsere Mobilisierung. Außerdem waren LINKE- und Grüne-Abgeordnete bei der Besetzung des Waldes dabei, haben die Polizei beobachtet, zwischen den Fronten vermittelt und uns damit vor noch brutalerer Polizeigewalt geschützt. Ganz besonders freuen wir uns natürlich, wenn LINKE-Mitglieder nicht nur im Rheinland, sondern auch in der Lausitz mit uns protestieren, wo unter rot-rot der Braunkohleabbau vorangetrieben wird.
Ist der Wald jetzt gerettet?
Nein. Beim Fußball würde ich sagen: Wir führen 1:0, aber das Spiel ist noch lang. Der Gegner ist stark und kann jederzeit zurückkommen. Gerade deshalb brauchen wir schnell das zweite Tor.
Das heißt …?
… 50.000 Demonstrierende waren gut, aber unser Widerstand fängt jetzt erst richtig an. Vom 25. bis 29. Oktober machen wir die nächste Massenaktion.Wir besetzen den Tagebau am Hambacher Forst und sorgen dafür, dass keine dreckige Kohle mehr verbrannt wird. Angesichts der Klimakrise fordern wir: Kohleausstieg jetzt!
Video:
Wer kann da mitmachen?
Alle, denen Gerechtigkeit und eine Zukunftsperspektive wichtig sind, sollten mitmachen. Kohleausstieg ist eine Frage der Gerechtigkeit, denn schon jetzt leiden Menschen weltweit unter den Folgen der Klimakrise – und zwar Menschen, die diese Krise nicht verursacht haben. Wir haben in Deutschland jetzt endlich die Chance, beim Klimaschutz einen entscheidenden Schritt zu machen und den sofortigen Kohleausstieg durchzusetzen.
75 Prozent in Deutschland sind dafür, den Hambacher Forst zu erhalten und 73 Prozent sind für einen schnellen Kohleausstieg. Die will ich endlich auf der Straße sehen und wenn möglich auch in der Grube. Kommt Ende Oktober alle ins Rheinland. Es lohnt sich!
Den Tagebau zu besetzen ist illegal. Warum begeht ihr Straftaten?
Es gab in der Geschichte immer wieder Momente, in denen man die Gesetze der alten Welt brechen musste, um eine neue zu erreichen. Ein solcher Moment ist gekommen. Es gilt, eine der größten Bedrohungen in der Geschichte der Menschheit zu verhindern. Für dieses Ziel halte ich das unbefugte Betreten von Privatgelände für vertretbar.
Warum ist dieser Tagebau so wichtig?
Im Rheinischen Revier fördert RWE jedes Jahr 100 Millionen Tonnen Braunkohle, mehr als in ganz Russland oder den USA. Drei der fünf Kraftwerke mit dem höchsten Kohlendioxid-Ausstoß in der EU, sind RWE-Braunkohlekraftwerke im Rheinland. Wenn wir hier das Ende des Abbaus erzwingen …
… ist das ein Zeichen für die ganze Welt?
Genau. Aus aller Welt sind Solidaritäts-Botschaften in den Hambi gekommen: Von den Pacific Climate Warriors bis zu Standing Rock in den USA. Es geht jetzt darum, einen Strich zu ziehen und zu sagen: Bis hierher und nicht weiter. Ihr habt uns lange genug vorgelogen, am Klimaschutz würde fleißig gearbeitet. Jetzt nehmen wir unser Schicksal in die Hand, statt Rücksicht auf Profite der Konzerne.
China und die USA stoßen deutlich mehr CO² aus als die gesamte EU …
… und damit willst du sagen, dass wir nicht so viel tun brauchen? Mit diesem Argument macht es sich die deutsche Delegation auf den UN-Klimakonferenzen regelmäßig gemütlich. Jetzt ist aber nicht der Zeitpunkt, sich zurückzulehnen und auf andere zu warten. Es wird niemand kommen um uns zu retten, wir müssen Klimaschutz selbst in die Hand nehmen.
Deshalb gehen so viele Menschen, in den USA, in China, in Ländern des globalen Südens und hier in Deutschland auf die Straße. Ende Gelände sieht sich als Teil der globalen Bewegung für Klimagerechtigkeit. Wir streiten für ein gutes Leben für alle und für künftige Generationen. Und dafür sehen wir uns, als Menschen des globalen Nordens, in der Verantwortung, die Kohlekraftwerke auszuschalten.
Gefährden wir mit zu viel Klimaschutz den Wohlstand?
Klimagerechtigkeit gefährdet nur den Wohlstand der reichen Konzernspitzen fossiler Unternehmen, wie RWE. Wollen wir wirklich für deren kurzfristige Profitinteressen unser globales Klimasystem durcheinanderbringen? Der stärkste Hurrikan in der Geschichte Floridas oder die Dürre in Deutschland diesen Sommer: Das sind durch den Klimawandel verstärkte Wetterextreme. Wir haben das Klima bereits um 1 Grad Celsius erwärmt. Die Klimakrise ist grausame Realität. Sie zerstört die Lebensgrundlage von Menschen, besonders in den Ländern des globalen Südens. Sie gefährdet also das Wohlergeben von uns allen und verstärkt existierende Ungerechtigkeiten.
Es sind jene mit geringen Einkommen, die zuerst spüren, wenn zum Beispiel die Grundnahrungsmittelpreise steigen, auch hier in Deutschland. Konsequenter Klimaschutz ist die Voraussetzung, um eine gerechte und solidarische Weltgemeinschaft überhaupt aufbauen zu können. Mit Klimaschutz gefährden wir den Reichtum einer extrem kleinen Minderheit zum Wohle der großen Mehrheit.
Ist es wirklich so gefährlich?
Wenn wir jetzt nicht handeln, tauen die Permafrostböden auf und das Eis um den Nordpol schmilzt. Dadurch werden große Mengen Methan freigesetzt, ein Gas, das zur Erderwärmung 25mal stärker beiträgt als Kohlendioxid. Uns droht ein Klimawandel, der sich selbst immer weiter beschleunigt und Regionen unbewohnbar macht, in denen heute über eine Milliarde Menschen leben. Ja, es ist so gefährlich. Und wir sollten alles Menschenmögliche tun, um das zu verhindern.
Die Gewerkschaft IG BCE unterstützt Braunkohleabbau, um Arbeitsplätze zu erhalten. Was denkst du darüber?
Laut der neuen UNO-Studie müssen wir den Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 halbieren, um katastrophale Folgen zu vermeiden. Das sind zwölf Jahre. Wir müssen Kohleabbau und -kraftwerke also um jeden Preis jetzt stilllegen …
… und die Beschäftigten in die Arbeitslosigkeit entlassen?
Auf keinen Fall! Die Frage ist: Warum baut die Politik keine Alternativen auf? Warum bietet sie den Beschäftigten keine kostenlosen Umschulungen in zukunftsfähige Berufe an? Warum wird nicht in erneuerbare Energien investiert und den Beschäftigten aus der Kohle-Industrie dort neue, gut bezahlte Jobs angeboten? Stattdessen werden durch falsche Politik in der Windindustrie gerade tausende Arbeitsplätze vernichtet. Totaler Wahnsinn.
Wir sind es alle so sehr gewohnt, dass die Politik nichts zukunftsweisendes zustande bringt, dass wir aufgehört haben, danach zu fragen. Aber das ist falsch. Denn dadurch sehen manche Leute keine Alternative zum Festhalten am Bestehenden, mit grauenhaften Folgen.
Wir wollen eine Dezentralisierung und Demokratisierung der Energieversorgung, damit sauberer Strom für alle bezahlbar ist. Und wir wollen eine Beschäftigungsgarantie für alle Menschen, die im Kohle-Sektor arbeiten. Aber das geht auch, wenn die Kohle im Boden bleibt. Die Konzerne, die jahrzehntelang vom Staat subventioniert wurden und Profite machen konnten auf Kosten der Gesellschaft, die müssen jetzt den Strukturwandel mitfinanzieren.
Hast du also Verständnis, wenn manche Gewerkschafter an der Kohle festhalten wollen?
Nein. Ich habe Verständnis dafür, dass sie an den Jobs festhalten wollen. Aber Jobs sind nicht gleich Kohle. Auf einem toten Planeten gibt es gar keine Jobs mehr. Deshalb müssen Gewerkschaften für die Zukunft der Beschäftigten kämpfen, statt das Märchen zu erzählen, die Kohle könne bleiben. Wer vor 100 Jahren gerufen hat: »Rettet die Arbeitsplätze in der Pferdekutschen-Industrie«, half den Kolleginnen und Kollegen damit kein Stück weiter (Lies hier den Artikel »Kampf um den Braunkohleabbau:Die unrühmliche Rolle der Gewerkschaften«).
Warum ist euer Slogan: »System Change, not Climate Change«?
Weil wir die Klimakrise nur stoppen können, wenn wir ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem aufbauen. Auf einem begrenzten Planeten kann es kein unbegrenztes Wachstum geben. Im Kapitalismus machen Großkonzernen wie RWE riesige Profite und die Folgekosten werden ausgelagert in den globalen Süden und an nachkommende Generationen. Dieses »System« müssen wir ändern und dann können wir auch für Klimagerechtigkeit sorgen. Der Kohleausstieg ist also erst der Anfang. Wir als »Ende Gelände« streben eine grundlegende Transformation der Gesellschaft an.
Können wir das Klima auch mit Kapitalismus retten?
Offenbar nicht, sonst wäre es die letzten Jahrzehnte passiert. Die Gefahr des Klimawandels ist seit langem bekannt. Fast alle Politiker und Wissenschaftler sind sich einig und trotzdem passiert – gar nichts.
Wie ist das möglich?
Politikerinnen wie Merkel sagen das eine und tun das andere, weil für sie die Interessen der Wirtschaft immer allerhöchste Priorität haben und jede Veränderung nur im Rahmen der freien Marktwirtschaft stattfinden darf.
Deshalb wurde in der EU 2005 der Emissionshandel eingeführt, statt die Emissionen zu begrenzen. Wie erwartet ist das bis jetzt komplett gescheitert. Wir können uns also nicht auf die Politik verlassen und wir können auch nicht immer auf Gerichtsentscheidungen warten. Wir müssen unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen, gemeinsam mit tausenden Menschen und stellvertretend für weitere Milliarden Menschen aktiv werden und den Kohleausstieg jetzt selber machen.
Kann man bei »Ende Gelände« auch zu Hause mitmachen?
Klar. Du findet auf unserer Internetseite dutzende Ortsgruppen. Im Moment organisieren wir allerdings alle den Protest im Rheinischen Revier. Da sollte jeder, der kann mitmachen.
Was wird bei den Protesten Ende Oktober genau passieren?
Vom 25. bis zum 29.10.2018 rufen wir als Ende Gelände Bündnis erneut dazu auf, Richtung Hambach zu reisen. Mit tausenden Menschen werden wir Kohle-Infrastruktur im Tagebaugebiet lahmlegen und zeigen: Wir hören nicht auf, uns mit voller Kraft für einen sofortigen Kohleausstieg und für globale Klimagerechtigkeit einzusetzen.
Wie komme ich dorthin?
Es wird einen Ende Gelände Sonderzug geben, der euch in Prag, Dresden, Leipzig, Berlin oder Hannover einsammelt und euch mit Hunderten anderer Aktiven in Richtung Köln bringt. Außerdem gibt es noch Busse, die euch auch nach Köln bringen. Mehr Informationen findet ihr auf unserer Homepage. Wir brauchen jede Unterstützung und nur alle gemeinsam können wir den Klimawandel aufhalten. One Struggle, One Fight – Hambi bleibt!
Die Fragen stellte Hans Krause
Foto: endegelaende
Schlagwörter: Braunkohle, ende gelände, Hambacher Forst, Klimakrise, Ökologie