Der Ausgang des Referendums in Griechenland zeigt deutlich: Die Menschen wollen ein Ende der Kürzungspolitik. marx21 sprach mit dem Ökonomen Michael Roberts über einen möglichen Grexit und die Relevanz der Ideen von Keynes und Marx in der Griechenland-Krise.
marx21: Die Ökonomen innerhalb Syriza sind gespalten in der Frage, ob Griechenland Teil des Euroraumes bleiben sollte. Der jetzt zurückgetretene Finanzminister Yanis Varoufakis vertritt die Meinung, dass ein Austritt Griechenlands aus dem Euro zu riskant sei und ist für einen Verbleib Griechenlands in der Eurozone. Costas Lapavitsas, der den linken Flügel Syrizas verkörpert, ist der Meinung, dass es unmöglich sei die Austerität ohne einen Austritt aus dem Euro zu beenden. Wer hat Recht?
Michael Roberts: Ein freiwilliger Austritt aus dem Euro, wie ihn Lapavitsas fordert, wäre ein taktischer Fehler. Erstens, will die Mehrheit der Griechen im Euro bleiben und zweitens wäre es auch ein ökonomischer Fehler. Eine Abwertung der wiedereingeführten Drachme würde die Banken in die Pleite treiben, die Inflation beschleunigen und den Lebensstandard noch weiter verschlechtern. Unter jeden Umständen im Euro zu bleiben und alle nötigen Bedingungen der Troika anzunehmen wäre allerdings ebenso falsch – noch mehr Austerität wäre die Folge.
…die Frage wird also falsch gestellt…
Richtig, nicht die Frage ob Griechenland im Euro bleiben sollte oder nicht ist entscheidend, sondern was das griechische Volk braucht und wie es zu erreichen ist. Das griechische Volk braucht ein Ende der Austeritätspolitik oder eigentlich eher eine Umkehr von der Austeritätspolitik. Die griechische Wirtschaft muss wieder wachsen, die Einkommen müssen wieder auf ein gutes Niveau gehoben, öffentliche Dienstleistungen wieder hergestellt und Beschäftigung wieder möglich gemacht werden. Der griechische Kapitalismus ist an diesen Aufgaben kläglich gescheitert. Der Einbruch der griechischen Wirtschaft, lag vor allem am Versagen des griechischen Kapitals in der globalen Finanzkrise. Denn das griechische Kapital ist schwach, unproduktiv und abhängig von ausländischem Kapital, Korruption und Staatssubventionen. Das ist die eigentliche Krisenursache.
Die Schwäche des griechischen Kapitals
Was war dann das Ziel der Politik der Troika?
Die Troika bestand sehr schnell auf harte Sparmaßnahmen und neoliberale Reformen. Ihr Ziel war es nicht den griechischen Staatshaushalt zu stabilisieren, sondern die Profitabilität des griechischen Kapitals zu steigern. Das hat allerdings nicht funktioniert. Lediglich die griechische Staatsverschuldung stieg rapide an, da der Staat durch die Troika gezwungen wurde, jegliche Verluste der Zocker- und Bad-Banks auszugleichen. Das zugrundliegende Problem war die Schwäche des griechischen Kapitals in der globalen Finanzkrise und das spätere Problem, dass die ausländischen Banken aus Steuergeldern gerettet wurden. So wurde die Schlinge um die Griechen immer fester gezurrt.
Welche Rolle fällt den Finanzmärkten und Spekulationen mit fiktivem Kapital zu?
Sie sind Teil der globalen Finanzkrise. Fallende Profitraten im produktiven Sektor der großen Volkswirtschaften führten zu Spekulationen auf den Immobilien- und Aktienmärkten. Dies führte letztendlich zum Kollaps – die Blase platzte. Krisen erscheinen als Krisen des Finanzsektors aber ihre Ursache liegt tiefer – in der Profitrate des produktiven Sektors.
Syriza und die Zwei-Stufen Theorie
Der griechische Ökonom Costas Lapavitsas, der für Syriza im Parlament sitzt, sieht Keynes Methoden als Politik-Empfehlungen für das hier und jetzt an und Marx als Methode für die lange Frist. Wie beurteilst du diese Unterscheidung?
Diese Zwei-Stufen Theorie ist das Spiegelbild zu Varoufakis Stufenansatz. Sie nehmen sich beide nichts. Beide wollen zuerst keynesianische Methoden anwenden um den griechischen Kapitalismus zu stärken. Erst wenn das passiert ist, soll über sozialistische Maßnahmen gesprochen werden. Das ist verkehrt herum. Aus sozialistischer Perspektive hat keynesianische Politik keine Chance.
Kannst du das genauer erklären?
Angenommen es würde einen europaweiten »Marshallplan« geben, der Investitionen insbesondere in die schwächeren Eurostaaten vorsieht und diese durch die Reichen finanziert und eine Form der Fiskal- und Transferunion etablieren würde, die ähnlich wie der deutsche Länderfinanzausgleich, die bedürftigen Staaten unterstützt. Das könnte ein Weg aus der Krise sein. Aber die Herrschenden in Europa ziehen solche Schritte nicht einmal in Betracht. Kein Marxist ist gegen Errungenschaften wie Tarifverhandlungen, Arbeitnehmerrechte oder gar Vollbeschäftigung. Aber viele diese »Reformen« können gar nicht erreicht werden ohne das kapitalistische System mit demokratischer Kontrolle zu ersetzen. Reformen sind nicht gleich Reformismus. Der Schlüssel für eine solche Politik liegt in der Selbstorganisation der Beschäftigten in Griechenland.
Syriza steht vor großen Herausforderungen
Costas Lapavitsas schlägt vor kleine und mittelständige Unternehmen in Griechenland zu fördern und nennt seinen Vorschlag NEP, nach Lenins Neuer Ökonomischer Politik. Siehst du hier eine Chance für Griechenland und ist der Vergleich zu Lenins NEP richtig?
Nein, ich denke es wäre notwendig die Schlüsselindustrien unter vollständige staatliche Kontrolle zu bringen. Die großen Unternehmen dürfen nicht in der Hand weniger Oligarchen sein. Für die Entwicklung eines Landes sind die großen Industrien entscheidend und nicht kleine Familienunternehmen. Letztere werden vom Wachstum der, vom Staat unterstützten, großen Unternehmen profitieren. Warum sollten nur kleine Unternehmen angetastet werden und die großen Unternehmen in der Hand von Oligarchen und ausländischem Kapital gelassen?
Wie könnte eine alternative Strategie aussehen?
Die Anstrengungen der Syriza Regierung die Austeritätspolitik aufzuhalten stößt auf Gegenwehr des griechischen Kapitals und der herrschenden Klasse in Brüssel und Berlin. Die Zukunft von Syriza kann nur in der Offensive liegen. Syriza muss eine Kampagne starten in der sie den Kapitalismus für gescheitert erklären und die politische Dynamik nutzen um eine Bewegung zur Demokratisierung der ökonomischen Macht voranzutreiben. Der Staat muss die Kontrolle über die Banken übernehmen. Rückzahlungen an die Troika sollten gestoppt werden und es muss in Beschäftigung, neue nachhaltige Projekte und die Daseinsvorsorge investiert werden. Syriza muss an die europäische Arbeiterklasse appellieren, um die konservative neoliberale Hegemonie in Europa zu brechen und echte Hilfe für Griechenland zu leisten. Die bisherigen »Rettungspakete« haben diesen Namen nicht verdient. Allerdings wurde von der Syriza-Führung bisher kaum Versuche in diese Richtung unternommen. Stattdessen wird sich in den Verhandlungen in technischen Details verloren, auf welchem Grad die Austerität fortgeführt werden soll, um weitere Kreditprogramme in den Finanzsektor zu pumpen. Auf diese Weise wird Griechenland Stück für Stück aus dem Euro gedrängt.
Das deutliche »Nein« der Griechen im Referendum ist ein klares Signal an den Rest der europäischen Arbeiterklasse, dass die Griechen vor dem europäischen Kapital nicht einknicken. Sie haben die Hoffnung immer mehr Menschen in Europa zu inspirieren, ihre Regierungen, die weiterhin dem Diktat der Troika folgen, abzusetzen. Nur so kann sich eine neue Bewegung formieren, die das Projekt der Eurozone des Französisch-Deutschen Kapitals herausfordert.
(Die Fragen stellte Tilman von Berlepsch. Übersetzung: Tilman von Berlepsch)
Zum Autor: Der britische Ökonom Michael Roberts schreibt regelmäßig zu ökonomischen Themen aus marxistischer Perspektive in seinem Blog
Foto: Denis Bocquet
Schlagwörter: Analyse, Austerität, EU, EZB, Griechenland, IWF, marx21, Merkel, Referendum, Strategie, Varoufakis