Inmitten des Ukrainekriegs nutzen Militarist:innen die Gunst der Stunde, um das größte Aufrüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik vorzubereiten. Deutschland soll zum Staat mit den dritthöchsten Militärausgaben der Welt aufsteigen. Die Pläne dazu lagen bereits vorher in den Schubladen. Der deutsche Militarismus stellt sich offensiv auf, um im weltweiten Konkurrenzkampf um Einflusssphären, Rohstoffen und Absatzmärkten große Schritte zu machen. Innenpolitisch droht ein gesellschaftlicher Rechtsruck, außenpolitisch sind neue Auslandseinsätze der Bundeswehr vorprogrammiert. Von Hannes Draeger
Der deutsche Militarismus
Unter Beifallsstürmen und überschwänglichem Gejohle von Unions-, Grünen-, FDP- und SPD-Abgeordneten hielt Bundeskanzler Scholz am 27. Februar im Bundestag seine berüchtigte Rede zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Darin proklamierte der Kanzler eine »Zeitenwende« und kündigte an, ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr einzurichten. »Von nun an« solle das NATO-Zwei-Prozent-Ziel erfüllt werden, was eine Aufstockung des Rüstungsetat von 50 Milliarden auf fast 80 Milliarden Euro jährlich zur Folge hat. Der LINKE-Bundestagsabgeordnete Jan Korte kritisierte im Anschluss die aufgepeitschte Stimmung im Plenum, in der »man nicht mehr kritisch nachfragen kann, sondern mitklatschen muss«.
Begleitet wurde die Aufrüstungsrede mit wohlwollenden Kommentaren aus Medien und Establishment. Der »Seeheimer Kreis« der SPD jubelte im Anschluss auf Twitter und erklärte: »Unser Kanzler zeigt Führungsstärke«. Die konservative FAZ druckte gleich ganze Teile der Rede ab. Der Chef-Redakteur der BILD-Zeitung, der unter der Überschrift »Super, Scholz!« schrieb, ergänzt: »Da setzt ein linker Kanzler Forderungen um, für die konservative und bürgerliche Journalisten und Politiker sehr, sehr viele Jahre belächelt worden sind. Vielleicht geht es nur so. Es war auch ein Linker, der Hartz IV einführte.«
Die Gunst der Stunde
Doch ist das jetzt geplante Aufrüstungsprogramm wirklich eine kurzfristige Reaktion auf die aktuellen Ereignisse in der Ukraine oder wurde nur etwas exekutiert, wovon in den Machtzentralen des Staates schon seit Jahren geträumt wird? Der SPIEGEL berichtet, dass die Idee eines 100 Milliarden Euro Sondervermögens sowie eine massive Aufstockung des Rüstungsetats im Verteidigungsministerium schon lange vor dem Ukraine-Krieg diskutiert wurde. In einem sechsseitigen Argumentationspapier plädierte das Verteidigungsministerium schon am 26. Oktober 2021 für ein »Sondervermögen Bundeswehr« in Höhe von 102 Milliarden Euro, so der SPIEGEL.
Obwohl Deutschland schon jetzt die siebthöchsten Militärausgaben der Welt hat und die Bundeswehr aktuell auf drei Kontinenten in 11 Einsätzen mit ca. 3000 Soldaten im Einsatz ist, wurden die Stimmen im deutschen Establishment in den vergangenen Jahren immer lauter, die letzten Fesseln des deutschen Militarismus abzulegen.
Im September 2013 forderten 50 führende Mitglieder des außen- und sicherheitspolitischen Establishments in einem Papier der regierungsnahen »Stiftung Wissenschaft und Politik«, Deutschland müsse aufgrund seiner wirtschaftlichen Größe mehr (militärische) Verantwortung übernehmen. Am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 griff der damalige Außenminister Frank Walter Steinmeier (SPD) diese Losung auf. Er schrieb, Deutschland sei »zu groß, um die Weltpolitik nur zu kommentieren«. Es verging seitdem kaum ein Monat, in der nicht irgendein Politiker die Erfüllung des NATO-Zwei-Prozent-Ziel einforderte. Die Scholz-Rede markiert nun den vorläufigen Höhepunkt einer fortschreitenden Militarisierung der deutschen Außenpolitik. Die jüngsten Forderungen nach einer deutsch-französischen Atomwaffen-Partnerschaft lassen erahnen, welche weiteren Pläne in den Schubläden liegen, die sich zum richtigen Zeitpunkt auf den Tisch legen lassen.
Festtage für die Rüstungsindustrie
Für die Rüstungsindustrie sind es in diesen Zeiten »Festtage«, wie das Informationsportal »German Foreign Policy« schreibt. Ein Tag nach der Scholz-Rede waren die Manager der deutschen Rüstungskonzerne im Verteidigungsministerium zu Gast, um Angebote für die Aufrüstung vorzulegen. Demnach habe die Düsseldorfer Waffenschmiede Rheinmetall der Bundesregierung gar ein Rüstungspaket in Höhe von 42 Milliarden Euro vorgeschlagen und angeboten, die Einschicht-Produktion auf einen 24-Stunden-Betrieb umzustellen. Andere deutsche Rüstungskonzerne sollen dabei keinesfalls das Nachsehen haben. Unter anderem sind Aufträge für neue Kriegsschiffe bei ThyssenKrupp Marine Systems, neue Militärhubschrauber bei Airbus und neue Radarsysteme bei Hensoldt im Gespräch. Der bayerische Panzerhersteller Krauss Maffei-Wegmann darf sich Hoffnungen machen auf die schon länger ersehnte Bestellung von ca. 200 neuen Schützenpanzern (Typ: Puma).
Beim jetzigen Militarisierungsschub rangieren nun auch umstrittene Rüstungsprojekte wieder höher in der Prioritätenliste. Das deutsch-französischen Rüstungsvorhaben eines »Future Combat Air Systems« (FCAS) fand positive Erwähnung in der Scholz-Rede. Das bis zu 500 Milliarden Euro teure Megaprojekt verbindet Waffensysteme zu Land, zu Wasser, zu Luft, im Weltall und im Cyberbereich zu einem ganzheitlichen System einer hochgradig vernetzten Kriegsführung. Hierfür werden u.a. neue Eurofighter, autonome Begleitdrohnen und Kampfhubschrauber gebraucht. Profiteure dieses Projektes sind die Rüstungshersteller Airbus Defence and Space (Deutschland), Dassault Aviation (Frankreich) und Indra Systemas (Spanien). Von ähnlichen deutsch-europäischen Rüstungsprojekten wie das deutsch-niederländische Vorhaben zur Bestellung von Luftlandeplattformen oder das deutsch-französische Kampfpanzer-Projekt (»Main Ground Combat System«) ist seit der Verkündung des 100-Milliarden-Paketes in der Öffentlichkeit wieder vermehrt die Rede.
Killerdrohnen für die Bundeswehr
Nach der Scholz Rede gibt es innerhalb der Ampel-Koalition »keine nennenswerte Gegenwehr« (Die Zeit) gegen Kampfdrohnen mehr. Der Verteidigungsausschuss des Bundestages gab der Beschaffung von Kampfdrohnen (Typ: Heron-TP aus Israel) mit den Stimmen von SPD, Grünen, FDP, Union und AfD grünes Licht. Mit dieser Aufrüstung wird ein weiterer Schritt in Richtung autonomer Kriegsführung gegangen. Die LINKE-Europaabgeordnete Özlem Alev Demirel warnt in einem Vorwort der von ihr heraus gegebenen Studie »Künstliche Intelligenz in der Europäischen Verteidigung: Eine autonome Aufrüstung?« davor, damit »die gängigen Unterscheidungen zwischen Krieg und Frieden, Zivilist*innen und Kombattant*innen aufzuheben und das Gefechtsfeld völlig zu entgrenzen – wie dies in der Cyberkriegführung bereits der Fall ist.«
Als sicher gilt die Beschaffung von bis zu 35 amerikanischen Kampfjets des Typs F-35 vom US-Hersteller Lockheed Martins, von denen der frühere US-Präsident Donald Trump schwärmte, »wenn unsere Feinde den Lärm der F-35-Motoren hören, werden […] sie wissen, dass der Tag der Abrechnung gekommen ist.« Genutzt werden die US-Kampfjets zur Weiterführung der sogenannten »nuklearen Teilhabe« Deutschlands. Hintergrund sind die etwa 20 US-Atomsprengköpfe, die im rheinland-pfälzischen Fliegerhorst Büchel lagern und im Ernstfall von deutschen Piloten ins Ziel geflogen werden sollen. Einmal im Jahr trainieren Bundeswehr-Piloten den Abwurf dieser Atombomben.
Vom Abzug der US-Atombomben aus Deutschland spricht heute – außer der LINKEN – keine Partei mehr, obwohl diese Forderung sogar Eingang in den damaligen schwarz-gelben Koalitionsvertrag (2009-2013) fand und diese Position bis zuletzt von Teilen der SPD-Führung vertreten wurde. Die nukleare Teilhabe erhöht die Gefahr, dass Deutschland im Falle eines Atomkrieges zu einem hoch priorisierten Angriffsziel wirdwerden würde.
Geeint für NATO und Vaterland
Olaf Scholz beendet mit seiner Aufrüstungsrede auch einen Streit innerhalb der Herrschenden Klasse in Deutschland. Welches Rüstungsvorhaben wie hoch priorisiert wird, ist traditionell Teil eines Ringens innerhalb der verschiedenen Strömungen des Establishments. Karl Liebknecht wies in seiner Broschüre »Militarismus und Anti-Militarismus« schon 1907 darauf hin, dass der Militarismus eines jeden Landes immer auch das Spannungsverhältnis zu anderen Staaten offenlegt.
Hinter jedem Wettrüsten, aber auch hinter jeder Rüstungskooperation mit anderen Ländern verbergen sich tiefergehende Fragen. Im Moment haben diejenigen im Establishment Rückenwind, die auf eine schnelle Aufrüstung mit vorliegender amerikanischer Technik setzen. In der Hoffnung, im Fahrwasser der USA ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Ziele besser und schneller erreichen zu können als im langwierigen Aufbau einer autarken, hochtechnisierten deutsch-europäischen Rüstungsindustrie. »Nicht alles, was die Bundeswehr braucht, muss immer teuer neu entwickelt werden«, kommentiert der ehemalige Wehrbeauftragte Peter Barthels aktuell im Tagesspiegel und spricht damit für ersteren Ansatz. Die Ampel-Koalition hat mit dem jetzigen Geldregen für neues Kriegsgerät die Mittel locker gemacht, die sie braucht, um beide Ansätze vollständig zu befriedigen. Die deutsch-französische Eurodrohne kommt, ebenso wie die aus Israel bestellte Kampfdrohne für die Bundeswehr.
Die amerikanischen F35-Kampfjet und weiteres US-Kriegsgerät wie Boeing-Transporthubschrauber stehen jetzt ebenso auf der Beschaffungsliste wie das deutsch-französische Prestigeprojekt FCAS. Hinzu kommen zahlreiche exklusive Aufträge für deutsche Waffenschmieden, die von den Bundeswehr-Waffenlieferungen an die Ukraine nochmal doppelt profitieren. Zum einen müssen jetzt die Lücken in den Alt-Waffenbeständen der Bundeswehr mit neuen Waffen aufgefüllt werden. Zum anderen hat die Bundesregierung mit den Waffenlieferungen an die Ukraine ein Exempel statuiert. Mit jeder gelieferten Waffe an die Ukraine sinkt die Hemmschwelle, auch in andere Kriegsregionen Waffen zu liefern.
Landesverteidigung?
Die Ampel-Koalition begründet das größte Aufrüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik mit der Bedrohung durch Russland und gibt vor, damit die »Verteidigungslücke« des Landes und der NATO schließen zu wollen. Es ist die seit Jahren geführte Rede von einer »kaputtgesparten Bundeswehr«.
Noch nie haben uns Politik und Medien so belogen wie in dieser Frage: Der deutsche Militärhaushalt ist seit 2014 um knapp 50 % gestiegen. Mehr Sicherheit für die Menschen? Die Friedensforscherin Sabine Jaberg argumentierte im März gegenüber dem ARD-Magazin »Monitor« dagegen: »Kurzfristig bringen diese Maßnahmen überhaupt nichts. Langfristig bringen sie uns mehr Konfrontation, mehr Unsicherheit, mehr Gefahr. Wir begeben uns in eine Rüstungsspirale hinein, die unter Umständen nicht beherrschbar ist, die eine Eigendynamik entwickelt und in der die Gefahr einer militärischen Konfrontation steigt.«
Die NATO-Staaten geben zusammen jährlich etwa 17-Mal so viel Geld wie Russland für das Militär aus. Diese nüchternen Zahlen haben – auch aufgrund der Aufklärungskampagne der LINKEN – Eingang in den öffentlichen Diskurs gefunden. Um den Mythos der Notwendigkeit von mehr Rüstung zur Verteidigung aufrecht zu erhalten, bedienen sich Militaristen dem Brücken-Argument, dass konkrete Zahlen im Rüstungshaushalt noch nichts oder zumindest nicht viel über die reale Stärke von Armeen aussagen. Deshalb nochmal konkretere Zahlen: Die NATO unterhält 3,4 Millionen Soldaten unter Waffen, Russland 850.000. Die NATO-Staaten besitzen zusammen 4.575 Kampfflugzeuge, Russland 1.511. Bei den Kriegsschiffen ist das Verhältnis, 2.049 zu 605, bei den Kampfpanzern 9.155 zu 3.417.
Eine Kriegsarmee
Um »Landesverteidigung« geht es bei diesem Aufrüstungsprogramm nicht. Die fortgesetzte »nukleare Teilhabe« mit neuen F35-Atombombern wird von rivalisierenden Nicht-NATO-Staaten als Bedrohung empfunden. Auch weil sich die NATO-Atommächte USA, Frankreich und Großbritannien nicht auf einen offiziellen Verzicht eines möglichen Erstschlags festlegen lassen wollen.
Viele weitere geplante Aufrüstungsschritte – wie die Bestellung der israelischen Kampfdrohne – tragen offensiven Charakter und dienen dem fortgesetzten Umbau der Bundeswehr hin zu einer global agierenden Kriegsarmee. Der Bundeswehr Generalleutnant Alfons Mais sprach diesen Wunsch 2020 offen aus. Es gehe darum, die Bundeswehr »kriegsbereit und siegesfähig« zu machen.
Einflusssphären, Rohstoffe und Absatzmärkte
Kleiner Exkurs: Im Weltkapitalismus konkurrieren Nationalstaaten um die Stellung ihrer nationalen Konzerne auf dem Weltmarkt. Mit allen brutalen Konsequenzen. Von der einst unter Linken populären Theorie »auflösender Nationalstaaten«, die in einem gemeinsamen Kapitalismus-„Empire« aufgehen würden, spricht heute selbst an der Universität kaum noch jemand.
Keine Auslandsreise des Bundeskanzlers ohne eine Delegation der »deutschen Wirtschaft« mit im Flieger. Nicht immer gelingt es, über Handelsabkommen und Ähnliches zu einer Befriedigung deutscher Wirtschaftsinteressen zu kommen. Der Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten muss in diesem Konkurrenzverhältnis im Zweifel mit militärischer Gewalt durchgesetzt werden – unabhängig von der inneren Staatsform. Kriege werden dabei nicht immer nur unmittelbar für bestimmte Konzerninteressen geführt. Die militärische Kontrolle von wichtigen Handels- und Rohstoffregionen sorgt im zweiten Schritt wieder dafür, dass Kanzler Scholz – um im Bild zu bleiben – bei der nächsten Auslandsreise im diplomatischen Schachspiel mehr Figuren auf dem Brett hat.
Wirtschaftsinteressen und Militarismus
Franz Josef Jung (CDU), Verteidigungsminister von 2005 bis 2009, sprach offen aus, dass es für die Bundeswehr selbstverständlich sei, für den freien Rohstoffzugang zu sorgen. Ähnlich äußerten sich Bundespräsidenten, Generäle und außenpolitische Think-Tanks.. Die Grundlagen- und Strategiedokumente der Bundeswehr sprechen es seit Jahrzehnten etwas verklausulierter aus, meinen aber das Gleiche. Im aktuellen Weißbuch der Bundeswehr von 2016 wird der Zugang zu Waren und Rohstoffen explizit als Ziel formuliert. Die Notwendigkeit von sogenannten »Stabilisierungseinsätzen« wird hervorgehoben.
Von alleiniger Landesverteidigung spricht heute im Verteidigungsministerium niemand mehr. Auslandseinsätze sind das Kerngeschäft der Bundeswehr. Wie in Afghanistan geht es um die Fähigkeit, in »Out of Area«-Einsätzen andere Länder zu besetzen und zu kontrollieren. Mit aufgefüllten Waffenkammern, der Entfesselung des deutschen Militarismus, mit neuen Offensivwaffen und der jetzt einsetzenden Dämonisierung der Friedensbewegung sind neue Auslandseinsätze vorprogrammiert. Das Aufrüstungsprogramm und die damit verbundene Gleichschrittsparole hat weitreichende Konsequenzen auch nach innen.
Militarisierung erfasst Jugend
Auch wenn die Fragestellung einer Studie der Koerber-Stiftung ziemlich tendenziös war, so lassen sich Stimmungen herauslesen. Acht von zehn unter 35-Jährigen in Deutschland befürworten demnach eine »aktivere Rolle« Deutschlands in der Welt, während dem eine Mehrheit der LINKEN-Anhänger ablehnend gegenüberstehen. Die Militarisierung und das Kriegsfieber der letzten Wochen verändern das Kräfteverhältnis in der Gesellschaft. Die Bundeswehr nutzt diese Gunst der Stunde: Linke weisen aktuell auf verstärkte Aktivitäten der Bundeswehr in den sozialen Netzwerken hin. Unter dem Titel »Bereit, dich zu schützen« werden finanzstarke Bundeswehr-Kampagnen initiiert, um neue Rekruten für die geplante Personalaufstockung der Bundeswehr zu gewinnen.
Die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) fordert den vermehrten Einsatz von Jugendoffizieren der Bundeswehr an Schulen, um den Krieg in der Ukraine »altersgerecht zu thematisieren«. Das Online-Portal der Westdeutschen Zeitung stellt fest: »Die Nachfrage der Schulen nach Informationsveranstaltungen durch Jugendoffiziere der Bundeswehr nimmt immer weiter zu«.
Viele gesellschaftlichen Felder, die bisher umkämpft waren, kippen im Zuge der Kriegsrede von Olaf Scholz und des Drucks der Medien in Richtung Militarismus.
Militarismus in fortschrittlichen Zusammenhängen
Der Kriegstaumel hat Auswirkungen. Es gibt Berichte von LINKEN-Mitglieder, die auf Fridays for Future-Demonstrationen angefeindet wurden. Auch wenn Greenpeace in einer aktuellen Kurzexpertise einige kritische Fragen zur Aufrüstung stellt, hält die Organisation die Fähigkeit zur Erhöhung der »Verteidigungsfähigkeit« für »nachvollziehbar«.
Im Kriegsfieber werden Auftrittsverbote gegen russische Künstlerinnen und Künster ausgesprochen. Deutsch-russische Städtepartnerschaften sind aufgekündigt worden. Im Netz kursieren Boykottaufrufe gegen den Verkauf von deutscher Schokolade in Russland.
Die irrationale Mitschuldigmachung von hier und in Russland lebenden Russinnen und Russen sind Zutaten für einen nachhaltigen Rechtsruck in der Gesellschaft. Diese Denkmuster, die hinter die Aufklärung zurückfallen, können sich übermorgen auch gegen andere Minderheiten im Land entladen. Udo Lindenberg sang vor vielen Jahren gegen diese Form des nationalen Kriegstaumels im »Russen-Song« an:
»Ein Wessi spricht: Ey, vergessen Sie nicht
Der Russe, der ist schlecht!
Ich frag: Welcher denn? Das sind doch mehrere –
Tja, da hätt ich ja nun auch wieder recht«
Rechtsruck vorprogrammiert
Eine Stärkung des militaristischen Denkens in Deutschland wird mittelfristig die politische Rechte stärken, sofern es keinen breiten, gesellschaftlichen Widerspruch gibt. Nicht nur die Union treibt die Ampel von rechts vor sich her. So fordert CSU-Chef Söder etwa »mehr Tempo« in der Aufrüstung. Auch die AfD klatscht Beifall für das Vorhaben und verkündete kurz nach Scholz-Rede in einem Video stolz: »Die Bundesregierung auf Kurs der AfD-Fraktion«.
Die Geschichte zeigt: Immer dann, wenn der Mainstream Forderungen der AfD übernahm, stärkte dies früher oder später die AfD. Nicht zu vergessen ist Seehofers Grenzen-Dicht-Kampagne vom Sommer 2018. Die AfD konnte sich im Zuge dieser rechten CSU-Kampagne über ihre historisch höchsten Umfragewerte erfreuen. Rückenwind für die Bundeswehr bedeutet auch, dass kritischen Fragen der inneren Verfasstheit der Armee in den Hintergrund rücken. Zur Erinnerung: Im Januar 2020 musste der Militärische Abschirmdienst (MAD) auf öffentlichen Druck hin bekannt geben, dass gegen 550 Elite-Soldaten des »Kommandos Spezialkräfte« (KSK) wegen rechtsextremer Verdachtsfälle ermittelt wird.
In den Hintergrund rückt die Nazi-Schattenarmee »Hannibal«, die sich aus Soldaten und Ex-Soldaten rekrutierte, um einen rechten Umsturz und die Massentötung politischer Gegner vorzubereiten. In den Hintergrund rückt eine weiterhin existente Traditionslinie in der Bundeswehr, die Kasernen nach NS-Größen wie Erwin Rommel benennt oder bis heute Kolonial-Verbrecher ehrt.
Überstunden für die Aufrüstung
Unabhängig von den außenpolitischen Implikationen wird die Entfesselung des deutschen Militarismus zu Lasten der großen Mehrheit der Bevölkerung gehen. Zur Gegenfinanzierung der Bundeswehr-Sondervermögens sagte FDP-Finanzminister Lindner im Sat1-Morgenmagazin: »Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen Lust haben, Überstunden zu machen«.
Konzernlobbyisten drängen die Bundesregierung bereits, die Mehrausgaben auf die Bevölkerung abzuwälzen. Erste Risse in dieser Gleichschrittsparole werden erkennbar. So mehren sich Berichte aus den Betrieben über größere Unzufriedenheit bei den Beschäftigten – insbesondere dort, wo um soziale Verbesserungen gekämpft wird und die Löhne und Gehälter vom Staat abhängen. Während für das Aufrüstungsprogramm plötzlich Milliarden locker gemacht werden, wird den Beschäftigten beispielsweise im Sozial- und Erziehungsdienst oder im Gesundheitswesen seit Jahren erzählt, dass kein Geld da sei. Ein breiter Zusammenschluss von über 600 Persönlichkeiten aus Politik, Kirche, Wissenschaft und Kultur haben deshalb einen Appell initiiert, der Widerspruch gegen das Aufrüstungsprogramm anmeldet. Zehntausende haben bereits unterschrieben. Erste lokale Bündnisse formieren sich.
Und DIE LINKE?
Sie muss sich auf die neue Situation schnellstmöglich einstellen. Die SPD-Führung trabt nicht mehr – wie in den vergangenen Jahren – einer Unionspolitik hinterher, sondern ist selbst Taktgeber einer rechten Politik. Die neoliberalen Gürtel-enger-Losungen aus den 2000er Jahren sind zurück: Bundespräsident Steinmeier (SPD) schwört die Bevölkerung auf harte Zeiten ein. Umweltminister Habeck (Grüne) stößt ins gleiche Horn, wenn er sagt: »Wir werden alle ärmer werden.« Das führt über kurz oder lang zu Widersprüchen bei denjenigen, die sich etwas von der »Fortschrittskoalition« erhofft hatten. In der Klimabewegung rumort es seit längerem.
Auch wenn die aufgepeitschte Kriegsstimmung in Deutschland und das vorherrschende Denken in militärischer Logik DIE LINKE vorerst in die Defensive gebracht hat, ist der Gedanke absurd, dass DIE LINKE gerade jetzt von ihren antimilitaristischen Positionen Abstand nehmen soll. Das gilt weder für ihre Kritik an der NATO noch für ihre Absage an Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Im Gegenteil: Der Krieg in der Ukraine, das neues Wettrüsten und die gefährliche Ost-West-Konfrontation machen eine starke Stimme für den Frieden notwendiger denn je.
In der Praxis kann DIE LINKE zum Sammelpunkt derjenigen werden, die das Aufrüstungspaket ablehnen und gegen eine drohende militärische Eskalation zwischen der NATO und Russland aktiv werden wollen. Trotz nationalen Kriegstaumels lehnen 27 Prozent der Bevölkerung das Sondervermögen für die Bundeswehr ab. Der erwähnte Appell gegen die Aufrüstung ist eine gute Grundlage, um vor Ort den Kontakt zu Friedensbündnissen, Gewerkschaften, Kirchen, Moscheen, Synagogen (sowie andere Religionsgemeinschaften), kritischen Grünen- und Sozialdemokraten herzustellen, um sich frühzeitig auf eine langanhaltende Auseinandersetzung gegen Aufrüstung und Sozialabbau einzustellen.
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Schlagwörter: Antimilitarismus, Aufrüstung, Imperialismus, Militarismus, Ukraine